Die Stille in der Nachbarschaft
Ob morgens oder abends, beim nach Hause kommen oder gehen. Wir begegnen ihnen fast jeden Tag. Sie sind meist keine engen Freund*innen und in der Regel auch keine Familie und doch wohnt man auf engstem Raum nebeneinander oder gemeinsam in einem Mietshaus. Unsere Nachbar*innen. Es ist eine ganz eigene Beziehung, die man zu den Nachbar*innen pflegt. In meinem Fall ein „stilles Nebeneinander-her-leben“. Die gute Hilfe unter Nachbar*innen, Nachbarschaftsfeste auf der Straße oder mal eben Zucker ausleihen, all das findet heute kaum noch statt. So ist es jedenfalls bei mir. Statt Namen kenne ich „die nette Frau von schräg gegenüber“, „den Mann gegenüber“ oder „die Frau von oben mit den braunen Haaren“. Kommunikation oder längere Gespräche – Fehlanzeige.
An manchen Tagen geht es sogar so weit, dass ich darüber nachdenke, ob ich wirklich jetzt den Müll rausbringen soll, obwohl ich draußen jemanden hören kann. Vor allem, wenn ich am Sonntagmorgen gerade aufgestanden bin, in einem Schlafanzug stecke, der eigentlich aus einem ausgemusterten T-Shirt besteht, die Haare machen, was sie möchten und ich auch sonst noch recht verschlafen bin. Zur Info. Es handelt sich um einen Weg von drei Minuten durch den gemeinschaftlichen Hausflur und Innenhof. Aber höre ich draußen Schritte, warte ich die meistens lieber ab (Stille?) und gehe erst ein paar Minuten später raus. Doch ist das eine verpasste Chance? Eine Chance auf ein nettes Gespräch?
In einer Welt, in der wir uns hauptsächlich über soziale Medien vernetzen, uns aber kaum noch zuwinken, scheint es, als sei ein nachbarschaftliches Miteinander zur Kunst geworden. Unsere Nachbar*innen sind keine Unbekannten, schließlich leben sie nebenan. Und doch ist es eine feine Balance zwischen persönlichem Raum und Gemeinschaftssinn.
Von meinen direkten Nachbar*innen kenne ich die Namen nicht und mit manchen habe ich nicht einmal ein paar Minuten gesprochen. Stille? Fast! Denn eines kenne ich genau, dass „Nachbarschaftstheater“ oder die Geräuschkulisse, die sie umgibt. Das fängt mit dem morgendlichen Wecker an, geht weiter zum bellenden Hund, der mal für ein paar Stunden allein gelassen wird, bis hin zum Kind, das nicht einschlafen möchte. Das alles stört mich nicht und doch ist es auf eine ganz eigene Weise komisch. Man kennt die Tagesabläufe der anderen. Doch mehr als ein „Hallo“ schaffen wir nicht?
Heute nehmen wir unsere Nachbar*innen kaum noch wahr, vor allem, wenn wir in unseren Filterblasen stecken. Aber eines bleibt. Sie sind da. Auch wenn wir manchmal ein bisschen mehr hören, als uns lieb ist. Sicher ist, man ist nie wirklich allein. Vor allem in den Momenten, in denen man nicht weiterweiß. Wenn also wieder der Strom ausfällt, die Haustür klemmt oder sonst etwas passiert. Und das ist doch irgendwie auch schön.
Denn manchmal reicht schon ein freundliches Zulächeln oder ein kurzer Plausch, um den Tag zu verschönern. So ging es mir heute Morgen mit meiner Nachbarin. Statt auf mein Handy zu blicken, habe ich mich mit ihr unterhalten. Zuerst über das Wetter und dann über unsere Haustiere. Wir mussten beide lachen und konnten zumindest für einen kurzen Moment dem „stillen Nebeneinander-her-leben“ entfliehen. Denn mal ehrlich: Die wirkliche Welt spielt sich vor unseren Geräten ab, vor unserer Haustür, und dazu zählt auch der Hausflur.
Eine weitere Folge der Kolumne „Räume des Nebeneinander-her-lebens“ findest du hier.