Der Weg ist das Ziel
Erstmal auf Reisen gehen. Am besten nach Neuseeland, Thailand oder Australien – so lautet der Plan vieler junger Menschen nach dem Schulabschluss. Sie sind auf der Suche nach sich selbst und nach ihrem Platz im Leben. So auch Christopher. Als er 2008 im Alter von 20 Jahren sein hart erarbeitetes Abitur in der Tasche hatte, wusste er weder was noch ob er studieren will. Also traf er den Entschluss, wie viele andere, auf Reisen zu gehen – aber auf eine völlig andere Art und Weise: Christopher nahm sich vor, den beliebtesten Streckenabschnitt des Jakobwegs zu pilgern. Dieser nennt sich Camino Francés und führt stolze 800 Kilometer durch Spanien.
Bist du religiös?
Aber noch einmal ganz von vorne: Pilgern? Klar, dieser Begriff ist fast allen geläufig, denn spätestens nach Hape Kerkelings 2006 erschienenem Bestseller kennen viele jemanden, der „dann mal weg war“. Das Buch löste einen regelrechten Pilgerboom unter den Deutschen aus. Der Ursprung des Pilgerns liegt dabei schon tausende Jahre zurück und ist stark religiös geprägt.
Aber keine der bisher genannten Motive war der Auslöser für Christophers Reise. Da er schon als Kind mit seinen Eltern und seiner Schwester etappenweise gepilgert ist, wollte er das alleine wiederholen. Diesmal am Stück. Er erhoffte sich auf diese Art, seine Gedanken zu ordnen und sich unabhängig von Familie und Freunden entscheiden zu können, was er mit seinem Leben machen möchte.
Aufgeben? Klingt verlockend...
Fünf Wochen laufen, laufen, laufen. Immer nur laufen. Gerade der Camino Francés ist für seine monotonen, ebenerdigen Strecken bekannt. „Du hast zwei Tage, in denen du die Stadt siehst, sie aber nicht erreichst. Das ist frustrierend“, berichtet Christopher. Die Pilger treibe das nicht selten in den Wahnsinn. Ob man dann nicht insgeheim auch mal daran denkt, ins nächste Luxushotel einzuchecken, um die blasenübersähten Füße in den Whirlpool zu tauchen? Christopher bestätigt: „Ich dachte ständig daran, alles hinzuschmeißen. Ich bin selbst überrascht, dass ich an manchen Tagen die nötige Motivation beibehalten habe, um aufzustehen und weiterzulaufen.“ Dafür wurde jedes kleine Ziel gebührend mit Wein und gutem Essen gefeiert.
Unerreichbarkeit als Luxusgut
Auch Kathrin kennt den Wunsch, alles hinschmeißen zu wollen. Sie lief 2016 denselben Weg und sogar noch etwas darüber hinaus bis ans Meer. Nach ihrem Bachelor begann für die damals 24-Jährige ein neuer Lebensabschnitt – ein Abschnitt, über den sie sich erst einmal Gedanken machen musste. „Für mich war es wichtig, mir die Freiheit herausnehmen zu können, einfach mal nicht erreichbar zu sein. Das ist heutzutage ein seltener Luxus“, erklärt sie.
Diese Zeit, die sie sich nur für sich nahm, hat ihr gut getan, stellte sie aber auch vor eine Herausforderung: „Gerade während der Abschnitte, in denen es nichts gibt, das einen ablenken kann, ist man mit seinen Gedanken allein. Man denkt dann oft Sachen zu Ende, die man im Alltag schnell wieder verwirft, weil sie einen wütend oder traurig machen.“
Nachts unterwegs auf einsamen Wegen
Aber wie ist es, als Frau alleine zu pilgern? Fühlt man sich sicher? Kathrin lief während ihrer Reise manchmal schon ab fünf Uhr morgens im Dunkeln alleine über Feldwege und durch Wälder. Angst hatte sie dabei nicht – nur einmal hat sie sich von einem jungen Mann belästigt gefühlt. „Ich habe ihn dann vor den anderen Pilgern und Einheimischen deutlich auf Englisch abgewiesen. Die Herbergsleiterin hat dann dafür gesorgt, dass der Mann auf keinen Fall einen Platz im selben Hostel erhält wie ich.“ Aber viel wichtiger als diese eine negative Erfahrung ist die Unterstützung, die sie von der Spanierin erfahren hat. Auch sonst begegneten die Einheimischen der jungen Pilgerin mit Freundlichkeit.
Einzigartige Momente
Auf dem Jakobsweg treffen nichtgläubige und gläubige Pilger aufeinander. Vor allem in der Zielstadt Santiago de Compostela verschwimmen die Grenzen. Christopher ist zwar nicht katholisch, schloss sich aber dennoch den Pilgern an, die den Gottesdienst in der gewaltigen Kathedrale besuchten. Der Gesang einer Nonne ist ihm dabei besonders in Erinnerung geblieben: „Sie stellte das Mikro zur Seite und begann den Refrain des Lieds zu wiederholen mit einer Stimme, die die Säulen zum Vibrieren gebracht hat. All das von dieser zierlichen Nonne. Wir Pilger waren so beeindruckt, dass wir sie nur durch ein Summen begleitet haben.“ Noch heute bekommt Christopher Gänsehaut, wenn er an diesen Gottesdienst zurückdenkt.
Zehn Jahre nach seiner Pilgerreise sind dies Erlebnisse, die ihn immer noch prägen. Im Alltag sind solche Momente schwer zu finden. Kein Wunder also, dass sowohl Christopher als auch Kathrin mit dem Gedanken spielen, sich bald wieder auf den Weg zu machen.
Tipps fürs Pilgern von Christopher und Kathrin
- Entscheide dich lieber für den kleineren Rucksack, damit du dich auf das Wesentliche beschränken kannst.
- Den Föhn kannst du getrost zuhause lassen.
- Buche die erste Unterkunft im Voraus, damit du eine erste Anlaufstelle hast.
- Ein Reiseführer dient als guter Überblick über die Etappen.
- Ein Tagebuch kann ein guter Reisebegleiter sein.