„Die ganze Lebenswelt der Amerikaner ist inzwischen danach ausgerichtet, ob man Republikaner oder Demokrat ist.“
Verlieren für Anfänger
Nach vier Jahren Donald Trump steht den USA nun ein immenser politischer Richtungswechsel bevor. Corona-Krise, „Black Lives Matter“ und Wahlbetrugsvorwürfe – Wie blicken Sie persönlich auf das letzte Jahr Trump zurück?
Das letzte Jahr war vor allem durch ein kaum vorhandenes, schlechtes Krisenmanagement gekennzeichnet. Die Corona-Krise wurde zum Lagerwahlkampf deklariert – als ob Corona sich an der politischen Einstellung orientiere. Nicht zu vergessen: Trumps Wahlkampfveranstaltungen waren Superspreader-Events und wenn die Regierung ein schlechtes Vorbild ist und gegen die eigenen Handlungsempfehlungen verstößt, fast schon demonstrativ, ist das doch ein massives Problem.
Würden Sie sagen, dass es für die Gesellschaft oder die Politik einen Unterschied macht, ob jemand ein guter oder schlechter Verlierer ist?
Ja, auf jeden Fall. Zumindest in den USA, die bekanntlich sehr stark polarisiert sind. Die ganze Lebenswelt der Amerikaner ist inzwischen danach ausgerichtet, ob man Republikaner oder Demokrat ist. In vielen Situationen redet man nicht mehr über Politik, aus Angst, die Person gegenüber ist von der anderen Seite. Deshalb macht es sehr viel Sinn, dass die Verlierer-Seite friedlich zur Legitimation des neuen Präsidenten beiträgt. Der Verlierer sollte zeigen, dass die kommende Regierung als solche zumindest akzeptiert ist – selbst wenn man dann gegen einzelne Politikentscheidungen opponiert. Ein schlechter Verlierer, der die Traditionen durchbricht, zeigt, dass man eben keinen gemeinsamen Horizont kennt und womöglich dann auch kein Interesse daran hat, das System aufrecht zu erhalten.
Was macht überhaupt einen guten Verlierer aus?
Ein guter Verlierer sollte mindestens das Stimmergebnis anerkennen, dem Gewinner gratulieren und so die Macht des neuen Präsidenten legitimieren. Dazu kommen einige Symbole der amerikanischen Tradition, wie die „Concession Speech“, in der der Verlierer seine Niederlage üblicherweise kurz nach der Wahl akzeptiert und seinem Konkurrenten gratuliert. Oder die Anwesenheit bei der Vereidigung seines Nachfolgers. Diese Gesten hat Trump fast alle ausgelassen. Interessanterweise nur eine nicht, und zwar den Brief, den er Biden im Oval Office hinterlassen hat. Auf den dürfen wir gespannt sein. (Lacht). Und genau darum ging es wohl auch.
Angenommen, die Wahlbetrugsvorwürfe wären anfangs noch gerechtfertigt gewesen: Gab es einen Punkt, an dem sich Trump noch als guter Verlierer hätte zurückziehen können?
Nein, es gibt an keiner Stelle dieses Prozesses einen Punkt, an dem man meinen könnte, Trump habe etwas missverstehen können. Es sollte ihm klar gewesen sein, was bei der Briefwahl passiert. Auch, dass diese Stimmen teils spät ausgezählt werden und dass das legal ist. Die These, Trump habe tatsächlich geglaubt, betrogen worden zu sein, steht zunächst doch auf sehr wackeligen Beinen.
„So ziemlich alles, was er dann tut, ist darauf aus, zu lügen und zu betrügen.“
Möglicherweise kann Trump aufgrund seiner Persönlichkeit einfach nicht zugeben, dass er verloren hat. Selbst, wenn er geglaubt haben sollte, man habe ihm den Sieg geklaut: So ziemlich alles, was er dann tut, ist darauf aus, zu lügen und zu betrügen. Sogar nach der dritten Auszählung in Georgia, bei der sich das Stimmergebnis nicht verändert hatte, griff der Mann zum Telefon und forderte die zuständigen Leute auf, doch mal eben exakt die benötigten 11.780 Stimmen zu finden. Das war schon etwas mafiös.
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Könnte es für zukünftige Amtsübergaben Maßnahmen geben, die diesen Prozess zugunsten des neuen Präsidenten erleichtern? Wäre es überhaupt möglich, solche Änderungen durchzusetzen?
Ja, es ist möglich. Ein Gedanke wäre, dem Kongress mehr Aufsicht über die „Transition“ zu geben. Die „Congressional Oversight“ also auszuweiten, das wäre noch nicht einmal systemfremd. Ich bin gespannt darauf, wie die Amerikaner mit den gemachten Erfahrungen umgehen und welche auch systemischen Lehren sie aus all dem ziehen.
„Congressional Oversight“: Der Kongress überwacht die Exekutive (Regierung, Bundesbehörden, etc.) und kann, wenn nötig, auch in die Vorgänge eingreifen. Dieses Konzept könnte auch auf die Amtsübergabe übertragen werden. Die Aufsicht darüber liegt momentan beim noch amtierenden Präsidenten, genannt „Presidential Oversight“.
Mal angenommen, Trump wäre zur Vereidigung gekommen, hätte das eventuell einen positiven Unterschied für Biden gemacht?
Ich glaube es war schon gut so, wie es war. Bei der Inszenierung von Bidens Vereidigung hätte ich mir Trump sehr schwer vorstellen können. Der Mann ist sehr aufmerksamkeitsbewusst.
Auch in Zukunft wird Trump mit Sicherheit Formen von Öffentlichkeit suchen, weil er es auch gar nicht anders kann. Unter soziologischen Gesichtspunkten wird das eine spannende Sache. Politisch finde ich es eher problematisch, weil er das vermutlich durch eine radikale, subversive Form von Öffentlichkeit machen wird.
Also kann man froh sein, dass er bei der Vereidigung nicht anwesend war?
(Lacht). Ja, Biden hat selbst gesagt, das sei okay. Und wie ich das sehe, hat so ziemlich jeder in Washington gemeint, das sei vernünftig gewesen.