„Die Wohnungsknappheit betrifft breite Schichten der Bevölkerung – sogar die Mittelschicht.“
Flucht vor dem Mietenwahnsinn
Ein neuer Abschnitt im Leben: studieren, eine Ausbildung beginnen, unabhängig und frei sein. Dazu gehört früher oder später auch der Auszug aus dem Elternhaus. Doch das gestaltet sich für viele schwierig – Wohnraum in Europa ist knapp. Betroffen sind aber nicht nur junge Menschen in der Ausbildung. Auch Bewohner der Europäischen Union (EU), die schon eine abgeschlossene Berufsausbildung haben, können vor dem Problem der Wohnungsknappheit stehen.
Sebastian Grohs hat seine ganz eigene Wohnalternative gefunden. Der Lehrer lebt seit zwei Monaten in einem Dachzelt auf seinem Auto. Im Video erklärt er, worin die Vorteile seiner aktuellen Lebenssituation bestehen und warum er sich für diesen Schritt entschieden hat.
Teuer, teurer, Deutschland
Aufgrund der hohen Mieten hat jeder zehnte Deutsche einen Nebenjob. In Berlin sind die Mietpreise seit 2010 um etwa 50 Prozent gestiegen. Mittlerweile sind oft auch in kleinen und mittelgroßen Städten, wie Würzburg oder Erlangen, bezahlbare Wohnungen Mangelware. Rund ein Drittel der Deutschen, die in einer Großstadt leben, geben 30 Prozent ihres Nettoeinkommens alleine für die Kaltmiete aus. Dies besagt eine Studie der Humboldt-Universität Berlin. Der Staat investiert immer weniger in sozialen Wohnungsbau, die Nachfrage steigt jedoch stetig. Doch nicht überall herrscht Wohnungsknappheit: In einigen Städten stehen Wohnungen leer. Diese Kluft erschwert eine einheitliche Wohnungspolitik – es muss nach Region oder Lage differenziert werden.
Ein Versuch der deutschen Regierung, weitere Anstiege der Mieten gering zu halten, wurde 2015 mit der Mietpreisbremse gestartet. Das Gesetz soll den Mietanstieg bei Neuvermietungen dämpfen. Demnach darf der Preis pro Quadratmeter bei einem neuen Mieter nicht mehr als zehn Prozent über den ortsüblichen Mietpreisen liegen. Somit soll ein Ausgleich zwischen den Interessen von Vermietern und Mietern geschaffen werden. „Wer Geld in Immobilien investiert, soll damit weiterhin auch Geld verdienen können“, so das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Aber: „Wohnungen sind keine reine Ware, sie sind das Zuhause von Menschen.“ Das Gesetz stößt immer wieder auf Kritik. Dr. Gerd Kuhn vom Institut Wohnen und Entwerfen der Universität Stuttgart erklärt, warum die Mietpreisbremse aus seiner Sicht kein wirksames Mittel ist und die Wohnungsfrage anders gelöst werden muss.
Landflucht: Städte werden immer beliebter
Vor allem Europas Groß- und Universitätsstädte sind von Wohnungsknappheit betroffen. Ein Grund hierfür ist, dass sich die Haushaltstypen verändern: Die Mehrheit der europäischen Bevölkerung lebt alleine oder zu zweit – und nicht wie früher in einem Familienverhältnis. Laut Housing Europe werden zu wenige neue Wohnungen in der EU gebaut und die Immobilienpreise wachsen in vielen Mitgliedsstaaten schneller als das Einkommen. Housing Europe ist der Europäische Verband für öffentlichen, kooperativen und sozialen Wohnungsbau. Er verwaltet über 26 Millionen Wohnungen, rund elf Prozent der bestehenden Wohnungen in der EU. Der Jahresbericht des Verbandes aus dem Jahr 2017 zeigt: Die Miete gehört zu den höchsten Ausgaben der Europäer. Das trifft gerade Menschen mit niedrigerem Einkommen unverhältnismäßig stark. In finanziell angeschlagenen Ländern wie Spanien, Portugal und Griechenland sind vor allem junge Familien betroffen. Auch im Vereinigten Königreich oder in Lettland steigen die Mietpreise im Rekordtempo. Die Migrationswelle trägt ihren Teil zur Wohnungsnot in Europa bei, ebenso wie junge Menschen, die es für eine Ausbildung oder ein Studium in die Städte zieht.
Wien als Vorreiter im sozialen Wohnungsbau
Im Vergleich zu deutschen Großstädten ist die Landeshauptstadt von Österreich recht günstig. In Wien leben mehr als die Hälfte aller Haushalte in geförderten Wohnungen. Das liegt unter anderem daran, dass der Stadt rund 220.000 Wohneinheiten gehören – etwa 32 Prozent des gesamten Wohnungsbestands. Die Immobilien verwaltet, saniert und bewirtschaftet die Stadt selbst und kann sie zu angemessenen Preisen anbieten. So haben die Sozialwohnungen oft einen höheren Standard als Wohnungen in Privatbesitz. Neben der Stadt sind gemeinnützige Immobilienfirmen, die moderate Mieten verlangen, im Eigentum von Mietwohnungen. Der Anteil privater Eigentumswohnungen ist in Wien gering. Und doch gibt es dort ähnliche Entwicklungen wie in ganz Europa: Die Stadt wächst um rund 30.000 Einwohner pro Jahr, im Jahr 2024 werden es knapp zwei Millionen sein. Auch in Wien leben immer mehr Menschen in Einpersonenhaushalten. Das bedeutet, dass es dort enger und teurer wird.
Die Tendenz in Europa ist fast überall gleich: steigende Mietpreise, sinkende Lebensqualität und kompliziertere Bedingungen für Normalverdiener.