„Viele Frauen wissen nicht einmal, dass es eine Option für sie sein könnte, Pilotin zu werden.“
Fliegen trotz Gegenwind
Ein Kindheitstraum mit Vorbild
Kinder träumen davon unsichtbar zu sein, Gedanken zu lesen oder fliegen zu können. Seit sie denken kann, träumt Julia von Letzterem. Geweckt wurde diese Leidenschaft vor allem durch ihren Vater, der selbst Berufspilot ist. Als Julia noch ein Kind ist, nimmt er sie auf unterschiedliche Flugstrecken mit. Sie verbringt viele Stunden im Cockpit, sieht weit entfernte Orte und erlebt die schönen und die herausfordernden Seiten des Pilot*innen-Alltags hautnah mit. Heute erinnert sie sich an eine innere Stimme, die beim Anblick von Flugzeugen schrie: „Das ist das, was ich unbedingt machen will!“ Rückblickend meint sie, dass sich diese Stimme nie gemeldet hätte, wenn sie den Beruf des Piloten nicht von ihrem Vater vorgelebt bekommen hätte. Denn eins fällt ihr schon früh auf: „Ich hatte auf all meinen Flügen nicht ein einziges Mal eine Co-Pilotin.“ Genau das lässt Julia nicht mehr los. Wieso gibt es so wenige Frauen im Cockpit?
Warum so wenige den Traum wagen
Die Zahl der Pilotinnen ist gering. Nach Angaben der International Society of Women Airline Pilots waren 2022 weltweit 5,8 Prozent der Pilot*innen in der kommerziellen Luftfahrt Frauen. Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Auch Julia kann nur von eigenen Erfahrungen berichten und mutmaßen: „Viele Frauen wissen nicht einmal, dass es eine Option für sie sein könnte, Pilotin zu werden“, sagt sie. „Schon in der Kindheit werden Berufe wie Feuerwehrmann, Astronaut oder eben Pilot eher Jungs zugetraut." Das ziehe sich bis ins Erwachsenenalter durch.
Diese Einschätzungen bestätigt das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in ihrer Studie zu Frauen in MINT-Berufen. So folgen Jugendliche bei der Berufswahl eher Klischees, die den Erwartungen an ihr Geschlecht entsprechen, als ihre tatsächlichen Fähigkeiten zu berücksichtigen. Die Wahl wird somit stark von gesellschaftlichen Geschlechterrollen beeinflusst. Gerade hier können weibliche Vorbilder Muster aufbrechen und entscheidend sein.
Ein weiterer Grund könnte das mangelnde Selbstvertrauen von Frauen sein. „Ich bekomme oft Nachrichten von Frauen, die mir sagen: ‚Ich würde das so gerne machen, aber ich glaube, ich schaff‘ das nicht.‘ Viele trauen sich nicht, obwohl sie das Zeug dazu hätten“, erzählt Julia. Das zeigt sich auch im Auswahlverfahren: Der Einstiegstest zur Ausbildung zur Pilotin und Piloten, durchgeführt vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), erfordert intensive Vorbereitung. Julia erklärt: „Interessanterweise bestehen Frauen, die antreten, den Test genauso gut wie Männer. Doch die Hemmschwelle, sich überhaupt zu bewerben, ist bei Frauen oft viel höher.“
Auch Stereotype über die Ausbildung und den Berufsalltag schrecken ab. Laut Julia gebe es immer noch das Klischee, dass man Bestnoten in Mathe oder Physik vorweisen müsse, um Pilotin zu werden. Viel wichtiger sei ein grundlegendes Verständnis und die Bereitschaft, Neues zu lernen.
Die Realität als Frau im Cockpit
In ihrer Flugschule in Bremen war Julia eine von drei Frauen in einem Kurs mit 18 Flugschüler*innen – das gilt als überdurchschnittliche Quote. Dennoch beschreibt sie ihre Erfahrung als überwiegend positiv: „Ich hatte einen tollen Kurs, in dem wir ein richtig gutes Team wurden. Man wurde respektiert und auch von den Fluglehrern habe ich faires Feedback bekommen.“ Doch auch hier gab es Momente, in denen Julia die subtilen Vorurteile spürt: „Ein älterer Fluglehrer sagte einmal nach einer Landung zu mir: ‚Für eine Frau hast du das richtig gut gemacht!‘ Es war als Kompliment gemeint, aber es hat mir gezeigt, dass Pilotinnen für ihn immer noch eine Ausnahme sind."
„Für eine Frau hast du das richtig gut gemacht!"
Solche Kommentare sind in Julias Alltag nicht selten. In den meisten Fällen kommen sie jedoch von Menschen außerhalb der Flugbranche, für die Pilotinnen noch nicht selbstverständlich sind. „Einmal wollte ich ein Hotelzimmer für mein Simulatortraining buchen, und die Person an der Rezeption glaubte mir nicht, dass ich dazu gehöre. Die Zimmer seien schließlich nur für ‚richtige Piloten‘“, erinnert sie sich.
Situationen wie diese bezeichnet Julia als kleine Nadelstiche, die sie erstmal nicht stark treffen. Doch mit der Zeit könne da eine Wunde entstehen. Manchmal ist das für die 27-Jährige einfach frustrierend, „weil man sich so viel Mühe gibt und so viel Arbeit in die Ausbildung steckt.“
Doch Julia fasst einen Entschluss. Sie begegnet diesen Nadelstichen mit Offenheit und Humor und sie wird aktiv auf Social Media.
Social Media als Werkzeug für Veränderung
Auf Instagram, Youtube und in ihrem Podcast „Cockpit Diaries" fängt sie an, ihre Erfahrungen als Flugschülerin zu teilen. Damit findet sie Gehör und inspiriert andere. Vor allem möchte sie Identifikation schaffen: „Wenn jemand sieht, dass jemand wie ich Pilotin werden kann, trauen sie es sich selbst vielleicht eher zu.“ Julia möchte realistische Einblicke in das Leben als angehende Pilotin geben und Content erstellen, den sie sich früher selbst gewünscht hätte.
Heute ist sie optimistisch, dass sich die Frauenquote in der Fliegerei erhöhen wird. Denn die Zahlen steigen, wenn auch langsam. Länder wie Indien, in denen bereits zwölf Prozent der Pilot*innen Frauen sind, machen es vor. Eins ist Julia dennoch wichtig zu erwähnen: „Es geht mir nicht darum, dass wir irgendwann eine 50-50-Quote im Cockpit haben müssen. Das wäre natürlich toll. Aber in erster Linie wünsche ich mir, dass wir den Prozentsatz der Frauen, die Pilotin werden wollen, es sich aber nicht trauen, auf null reduzieren.“
Eine Botschaft an die nächste Generation
Wenn Julia an ihr jüngeres Ich zurückdenkt, würde sie ihr gerne sagen, dass sie so viel mehr kann, als sie glaubt. Denen, die noch zweifeln, rät sie sich zu trauen und es auszuprobieren: „Du kannst nicht wissen, ob du für‘s Fliegen gemacht bist, wenn du es nicht versuchst.“
Julia steht kurz davor, Airline-Pilotin zu werden – doch für sie ist das erst der Anfang. Sie hat neben dem Fliegen noch einen besonderen Wunsch: „Ich würde später gern in Grundschulen oder Kindergärten gehen, um den Beruf sichtbarer zu machen“, erzählt sie. „Damit Kinder – Mädchen wie Jungs – sehen, dass Pilotinnen ganz normal sind. Vielleicht wecke ich so einen Funken, der am Ende zu einem Feuerwerk wird.“ Denn wenn es nach Julia geht, soll irgendwann niemand mehr überrascht sein, wenn eine Frau im Cockpit sitzt.