„Als Kind der 80er hört man das und denkt sich, da bedienen sie sich aber auch ganz schön gut. Das ist aber auch völlig okay. Ich bin ja happy, dass sich da mal jemand bedient, weil das ist alles geiles Zeug.“
Die Welle der Rückkehr
„99 Luftballons“ von Nena, „Da Da Da“ von Trio und „Major Tom“ von Peter Schilling sind Hits, welche die 80er-Ära prägten. Die „Neue Deutsche Welle“, kurz NDW, war eine einflussreiche Bewegung in der deutschen Musikszene. Sie markierte einen bedeutenden Schritt weg vom dominierenden Schlager hin zu deutschsprachigem Pop und New Wave. Die Punk- und New Wave-Szene aus England beeinflusste ihre Entstehung und Entwicklung deutlich.
Nachdem der Hype um die Musikbewegung damals abflachte, feiert die „Neue Deutsche Welle“ in den letzten Jahren ihr Comeback. Inzwischen sprechen sowohl Musikmagazine, als auch Künstler*innen selbst, von einer „Neuen Neuen Deutsche Welle“ (NNDW). Dass es keinen passenderen Namen für die Musikbewegung gibt, bestätigen der DASDING-Musikredakteur Oliver Stendke und Derek von Krogh, Geschäftsführer der Popakademie Baden-Württemberg und Musikproduzent für, unter anderem Nena. „Es handelt sich quasi fast schon um eine Neuauflage der 80er-Bewegung“, betont Stendke.
Simple-Drum-Machine-Beats, melancholische Synth-Melodien und hallender Gesang können im deutschsprachigen Raum wieder funktionieren. Musiker Edwin Rosen trug dabei maßgeblich zum Erfolg bei. Ohne große Reichweite veröffentlichte er 2020 seinen ersten deutschen Song und NNDW-Hymne „leichter//kälter“. Seine Musik erreicht aktuell Millionen monatliche Hörer*innen auf Spotify. Anhand der steigenden Streamingzahlen und ausverkaufter Konzerte wird klar, dass die „Neue Deutsche Welle“ zurück ist. Auch der Künstler Johannes Weichelt aka Streichelt findet Gefallen an dem Musikstil. Streichelt bewegte sich zuvor musikalisch im Indie- und Electronic-Kosmos. Nachdem er selbst ein Konzert von Edwin Rosen besuchte, erkannte er das Potenzial der wiederaufkommenden Musikrichtung.
Aber was ist die „Neue Neue Deutsche Welle“ eigentlich? Die Musik stellt eine Mischung aus Pop, Post Punk, New Wave, Electro, Indie und Dark Wave dar. „Ich habe keine Lust, mich irgendwie durch gewisse Genres limitieren zu lassen oder limitieren zu müssen", erzählt der Künstler Streichelt und stellt somit die Grenzenlosigkeit der NNDW dar. Außerdem fasziniert den Musiker an dem Sound, dass jede*r die Möglichkeit hat mit technischen Equipment Hits aus dem Schlafzimmer zu produzieren.
Die Parallelen zwischen NNDW und NDW sind enorm. Denn neben dem Einsatz von elektronischen Elementen spielt laut Krogh alles in einer einzigen Quinte ab und es gibt nicht viele Töne. „Als Kind der 80er hört man das und denkt sich, da bedienen sie sich aber auch ganz schön gut. Das ist aber auch völlig okay. Ich bin ja happy, dass sich da mal jemand bedient, weil das ist alles geiles Zeug“, behauptet Derek von Krogh. Für Streichelt steht in seiner Musik Ausdruck und Authentizität im Vordergrund. Denn der Künstler singt am Liebsten über Themen wie Liebe, Freiheit, persönliche Entwicklung und „manchmal auch einfach nur Quatsch“. Aber auch NDW-Künstler*innen aus den 80ern sangen gerne einfach mal über stumpfe Themen, wie die Band Grauzone mit ihrem Song „Eisbär“. Schließlich wiederholt der Frontsänger hauptsächlich den folgenden Vers: „Ich möchte ein Eisbär sein, im kalten Polar. Dann müsste ich nicht mehr schrei'n. Alles wär' so klar.“ Nach Krogh grenzt sich der Musikstil jedoch durch die Attitude und den Nihilismus im Gesang ab. Zudem erklärt Streichelt: „Die NNDW zeichnet eine gewisse Antiästhetik zu diesen glattproduzierten Popsachen aus.“
Musik hat eine inflationäre Entwicklung genommen. Krogh betont, dass täglich Tausende neue Songs veröffentlicht werden und diese schnell im Meer der Lieder untergehen können. Demnach müssen junge Künstler*innen auffallen. Die beiden Musikexperten sind sich einig: Das erreicht man, indem man provokante Texte verfasst und Popmusik wieder mehr Meinung gibt. Die „Neue Deutsche Welle“ konnte dies bereits umsetzen und nun wagt sich auch die Welle der letzten Jahren dran.
Für viele aus der NNDW-Szene stehen jedoch Erfolg und Reichweite gar nicht im Vordergrund. Dem Künstler Streichelt geht es beispielsweise schlichtweg darum, Musik zu machen, auf die er gerade Bock hat. Ähnlich ging es Künstler*innen der „Neuen Deutschen Welle“. Im Gegensatz zu heute entstand damals allerdings ein riesiger Hype um die Untergrundbewegung und diese wurde letztendlich kommerziell groß aufgezogen. Laut Stendke spielt die „Neue Neue Deutsche Welle“ noch eine kleinere Rolle. Und genau das hofft er im positiven Sinne auch für die Zukunft. „Die NNDW sollte bewusst kein übertriebener Sell-Out werden wie damals", erläutert Stendke.
Die „Neue Neue Deutsche Welle“ ist eine Bereicherung für die Musiklandschaft 2024. Die Ehrlichkeit und Rohheit der Texte hat bisher gefehlt und mit diesen Inhalten punktet man laut dem DASDING-Redakteur auch auf der jungen Hörerseite. Zudem schafft es die NNDW, dass sich junge Künstler*innen vom Mainstream wegbewegen und wieder vielfältige und prägnante, deutsche Musik produzieren.