Deutschrap: (k)eine Männersache?
Ob Apache207, Capital Bra oder die Jungs der 187 Straßenbande: Deutsche Hip-Hop-Künstler erobern die Charts – und das nicht erst seit gestern. Erstmals kam der Rap bereits Mitte der 1980er Jahre aus den Vereinigten Staaten nach Deutschland, als das Genre noch eine Untergrundbewegung war. Künstler*innen wie die Fantastischen Vier, Advanced Chemistry und Cora E. pflastern damals den Weg zum Erfolg. Mit der flächendeckenden Verbreitung des Internets begann schließlich auch das neue Zeitalter des Deutschraps. CDs wurden zu Online-Streams, lokale Szenenclubs zu prallgefüllten Stadien. Mittlerweile ist das Genre ein maßgeblicher Bestandteil deutscher Musikkultur. Kaum ein Stil prägt die junge Generation heute so sehr wie der Deutschrap.
Dennoch ist das Genre weiterhin umstritten, denn „kinderfreundlich“ ist anders. In den Musikvideos posen harte Männer vor protzigen Autos – Knarre in der linken Hand, Joint in der Rechten. Im Hintergrund räkeln sich halbnackte Frauen. Die Texte: Drogen, Sexismus, Gewalt. Bis dato bleibt der Deutschrap männerdominiert. Und das, obwohl sich zahlreiche Frauen in den vergangenen Jahren einen Platz im Rapbusiness erkämpft haben. Künstlerinnen wie Juju, Loredana und Shirin David haben ihre männlichen Kollegen in den Charts immer wieder eingeholt – das jedoch selten im Alleingang, denn in der Hip-Hop-Branche zählt vor allem eines: Connections. Denn was haben RAF Camora, Capital Bra und Gzuz gemeinsam? Sie alle haben ein starkes Musiklabel im Rücken. Und noch viel wichtiger: Sie kennen das Zauberwort, das lautet „Features“. Dass unsere Lieblingskünstler*innen gerne miteinander arbeiten, liegt schließlich nicht nur daran, dass sie sich so gut leiden können. Ob einzelne Tracks, ein ganzes Album oder sogar eine gemeinsame Tour - Features scheinen heutzutage das Erfolgsrezept im Deutschrap zu sein.
Sind Connections also tatsächlich die Geheimzutat für eine erfolgreiche Hip-Hop-Karriere und warum eigentlich? Um das herauszufinden, haben wir die Verbindungen von insgesamt 60 deutschen Künstler*innen in einem Netzwerk visualisiert, in dem sowohl die gemeinsamen Features als auch die Labelzugehörigkeit der Rapper*innen – davon 50 männlich und 10 weiblich – abgebildet sind. Grund für die eindeutige Unterrepräsentation der Frauen ist, dass es nach wie vor deutlich mehr männliche, als weibliche Künstler*innen gibt. Hinzu kommt, dass die männlichen Rapper im Schnitt erfolgreicher sind als ihre weiblichen Kollegen.
Gemessen wurde der Erfolg in dieser Datenanylse anhand der monatlichen Hörerzahlen auf der Streaming-Plattform Spotify. So führte Bonez MC zur Zeit der Datenerhebung mit ungefähr 4,6 Millionen monatlichen Spotify-Hörern, dicht gefolgt von Capital Bra mit knapp über 4 Millionen Hörern. Im Vergleich: Die momentan erfolgreichste Künstlerin Shirin David folgte „erst“ auf Platz 15 mit etwa 2,8 Millionen monatlichen Hörern. Doch woran liegt das?
Die Analyse zeigt: Männliche Rapper sind besser vernetzt als weibliche. Sie befinden sich eher im Zentrum des Netzwerks, während sich die Frauen größtenteils am äußeren Rand bewegen. Es ist schwer zu sagen, ob die Männer erfolgreicher sind, weil sie besser vernetzt sind, oder besser vernetzt, weil sie erfolgreicher sind. Vermutlich ist es eine Mischung aus beidem. Man kann jedoch davon ausgehen, dass der Erfolg eine*r Künstler*in zumindest bis zu einem gewissen Grad mit seinen*ihren Verbindungen zusammenhängt.
Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass die erfolgreichsten männlichen Rapper allgemein mehr mit anderen Künstler*innen arbeiten als weibliche Rapper. Dabei scheinen beide Geschlechter lieber mit Männern zu featuren als mit Frauen. Die Verbindungen zu anderen Rapperinnen im Netzwerk der Künstlerin Shirin David stellen tatsächlich keine Kollaborationen dar. Stattdessen wird durch sie visualisiert, dass die Künstlerinnen beim selben Musiklabel unter Vertrag standen oder noch stehen. Zusammengearbeitet hat Shirin David dafür mit den drei Rappern Shindy, Haftbefehl und Luciano. Doch warum featuren Frauen im Allgemeinen eher mit ihren männlichen Kollegen?
Eine mögliche Erklärung wäre, dass Frauen in Kollaborationen mit männlichen Rappern ein höheres Erfolgspotenzial sehen. Sie könnten sich erhoffen, durch die größere Bekanntheit der Männer an Reichweite zu gewinnen und ein breiteres Publikum erreichen zu können. Der Grund könnte jedoch auch eine reine Stilfrage sein: So wie sich Gegensätze anziehen, harmonieren hohe und tiefe Stimmen schließlich miteinander. Möglicherweise ist der Grund für die Zusammenarbeit aber auch schlicht und einfach Freundschaft.
Letztlich ist davon auszugehen, dass die vielen Features und die große Hörerschaft von männlichen Rappern zumindest teilweise durch ihre enge Vernetzung zu erklären sind. Die Rapper mit der größten Reichweite sind auch die attraktivsten Partner für ein Feature. Es sieht also so aus, als würden Männer ihre Führungsposition im Rap-Business auch weiterhin halten. Künstlerinnen wie Shirin David, Loredana, Juju oder Badmómzjay haben jedoch in den letzten Jahren bewiesen, dass sie nicht nur mithalten, sondern den Gipfel der Charts ganz genauso erklimmen können.
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Link zum Forschungsbericht: https://github.com/LuisaFunk/SNAprojekt/blob/main/Forschungsbericht%20Deutschrap.Rmd
Die Rohdaten: Edgelist (Verbindungen) https://github.com/LuisaFunk/SNAprojekt/blob/main/Deutschrapedge.csv Nodelist (Definition der Akteure) https://github.com/LuisaFunk/SNAprojekt/blob/main/Deutschrapnode.csv
Die Beziehungsdaten der Edgelist wurden über Spotify erhoben, die Art der Beziehung wurde durch Instagram-Recherche und Medienberichte herausgefunden. Die Node-Attribute wurden über Spotify (Hörerzahlen), Wikipedia und andere Internetseiten (Wohnorte, Nationalität, Alter) erhoben.