Wilhelma Stuttgart 7 Minuten

Wenn ein Zoobesuch zur Gewissensfrage wird

Ein Affe sitzt auf einer Erhöhung in seinem Gehege.
Der Blick des Affen wirkt traurig und nachdenklich – fühlen sich die Tiere in der Wilhelma wirklich wohl? | Quelle: PETA Deutschland e.V.
12. Dez. 2024

Elefanten, Affen und viele andere Tiere hautnah erleben – Zoos wie die Wilhelma begeistern seit Generationen. Doch heutzutage geraten sie immer stärker in die Kritik. Sind solche Einrichtungen überhaupt noch zeitgemäß oder braucht es eine neue Art, Natur zu erleben?

Ein Spaziergang durch die Wilhelma Stuttgart ist ein wahres Erlebnis: Tropische Pflanzen und die faszinierende Nähe zu seltenen Tierarten ziehen jedes Jahr rund 1,8 Millionen Menschen an. Doch in einer Welt, die zunehmend Wert auf Tierrechte legt, geraten Zoos verstärkt in die Kritik. Sind Zoos notwendig für Artenschutz und Bildung oder sind sie lediglich Institutionen, die Tiere für das Vergnügen der Menschen einsperren?

Die Wilhelma ist ein Paradebeispiel für diese Debatte. Während Zoodirektor Thomas Kölpin die Einrichtung als wichtigen Beitrag zum Artenschutz und zur Wissensvermittlung hervorhebt, übt die Tierrechtsorganisation PETA scharfe Kritik an der Tierhaltung in solchen Anlagen.

Ein Dreiklang der Besonderheiten: Botanik, Zoologie und Geschichte

„Die Wilhelma ist weltweit einzigartig“, erklärt Thomas Kölpin, der seit 2014 als Zoodirektor die Wilhelma leitet. Tatsächlich, so Kölpin, gebe es keinen zweiten Zoo, der Zoologie, Botanik und historische Architektur so eindrucksvoll vereint. Ursprünglich als Garten für König Wilhelm I. von Württemberg angelegt, ist der Park heute Heimat von mehr als 1.200 Tierarten und über 8.500 Pflanzenarten. Der Zoo ist stolz auf seine Erfolge im Bereich des Artenschutzes und seiner Bildungsprogramme. 

Die Wilhelma arbeitet unter der Leitung der Europäischen Zoovereinigung (EAZA) daran, genetisch vielfältige Tierpopulationen zu erhalten und zu fördern. „Wir versuchen, bedrohte Pflanzen- und Tierarten auch außerhalb ihrer Lebensräume zu vermehren“, erläutert Kölpin. Ein gelungenes Beispiel hierfür seien die Gänsegeier, die nach erfolgreicher Auswilderung in Bulgarien wieder in die Natur zurückkehren konnten. Auch Steinböcke aus der Wilhelma seien erfolgreich im Nationalpark Hohe Tauern wieder angesiedelt worden.

Zwei Giraffen stehen in ihrem Gehege. Vor dem Gehege steht eine Person, welche die Giraffen beobachtet.
Ein Blick hinter die Gitter: Das Giraffenhaus der Wilhelma ermöglicht den Besuchenden, die Giraffen beim Fressen zu beobachten. | Quelle: Lisa Nieslony
Ein Erdmännchen steht in seinem Gehege auf einem Stein. Rechts von ihm ist eine Wärmelampe zu sehen.
Das Erdmännchen in der Wilhelma wärmt sich unter einer Lampe – eine praktische Lösung, doch ob sie den natürlichen Bedingungen gerecht wird, bleibt fraglich. | Quelle: Lisa Nieslony
Ein Elefant steht in seinem Gehege. Auf seinem Rücken und auf dem Boden liegt Heu und Stroh.
Die Elefantenanlage soll 2030 durch ein modernes Gehege mit deutlich mehr Platz ersetzt werden. | Quelle: PETA Deutschland e.V.
Zu sehen sind vier Somaliwildesel in ihrem Gehege.
Die Somali-Wildesel gehören zu einer extrem gefährdeten Tierart – weltweit gibt es nur noch etwa 600 Individuen. | Quelle: Lisa Nieslony
Zu sehen ist eine Beschilderung, die Gäste über Kängurus und Regenwälder informiert.
Mit Beschilderungen möchte der Zoo die Gäste über Umweltschutz und Klimawandel aufklären. | Quelle: Lisa Nieslony

Darüber hinaus hat sich die Wilhelma über die Jahre hinweg zu einer wichtigen Bildungsstätte entwickelt. Mit Führungen, Workshops und interaktiven Ausstellungen möchte der Zoo das Bewusstsein der Gäste für Umweltprobleme wie die Zerstörung natürlicher Lebensräume und den Klimawandel fördern. Durch emotionale Erlebnisse sollen die Besucher*innen dazu angeregt werden, über ihr Verhalten nachzudenken und es im Alltag zu hinterfragen.

PETA kritisiert Zoos als Orte der Gefangenschaft

Für die Tierrechtsorganisation PETA ist klar: Tiere gehören nicht in Zoos. „Grundsätzlich sprechen wir uns gegen die Zoohaltungen aus, weil wir es als ethisch nicht tragbar sehen“, sagt Yvonne Würz, Fachreferentin für Tiere in der Unterhaltungsindustrie bei PETA. Sie betont weiter: „Zoos haben ihren Ursprung darin, Tiere zur Unterhaltung von Menschen zur Schau zu stellen – ein Konzept, das in der heutigen Zeit nicht mehr rechtfertigt, Tiere einzusperren.“

„Grundsätzlich sprechen wir uns gegen die Zoohaltungen aus, weil wir es als ethisch nicht tragbar sehen.“

Yvonne Würz, PETA

Besonders kritisch sieht sie die Haltung von großen Säugetieren wie Elefanten und Gorillas, deren natürlichen Bedürfnisse in Gefangenschaft häufig nicht erfüllt werden könnten. Würz hebt hervor, dass viele Tiere in Zoos Verhaltensstörungen entwickelten, die auf Stress und psychisches Leid hinwiesen. Bei Elefanten zeige sich dies oft im sogenannten „Weben“, bei dem sie Kopf und Körper rhythmisch hin- und herbewegten. Auch das stereotype Auf- und Ablaufen entlang des Gehegezauns werde besonders häufig bei Raubtieren beobachtet, erklärt Würz.

Sie hält auch das Argument, dass Zoos einen Bildungsauftrag erfüllen, für unzureichend: „Aus unserer Sicht ist es eben gerade in den Zoos sehr schwierig, das Bewusstsein der Besucher zu schärfen, weil die Zoos das Bild vermitteln, Tiere sind zum menschlichen Vergnügen da.“ Mit Dokumentationen und Virtual Reality sei es heute unnötig, Tiere in Zoos zu halten, um Menschen für den Tierschutz zu sensibilisieren. Als Alternative schlägt sie Lebenshöfe vor, wo Besucher*innen mehr über das Leben und die Leidensgeschichten der Tiere erfahren können.

Zoos betonen häufig ihren Beitrag zum Artenschutz, aber laut Würz betreffe dies meist nur wenige Tierarten, bei denen eine erfolgreiche Auswilderung gelinge. Der Großteil der Tiere in Zoos sei jedoch weder gefährdet noch bedroht, sondern werde vor allem aufgrund ihrer Beliebtheit bei den Besuchenden gehalten. Ein Beispiel hierfür seien Erdmännchen, die zwar häufig in Zoos zu finden sind, aber keine geschützte Art darstellen.

Die Evolution der Tierhaltung

Kölpin wehrt sich gegen die Kritik an Zoos. In der Wilhelma werden nicht nur bedrohte Tierarten wie beispielsweise Koalas gepflegt, sondern auch solche, die derzeit noch nicht als gefährdet gelten. „Viele Tierarten, die wir heute schützen müssen, galten vor 20 Jahren noch als weit verbreitet. Hätten wir damals keine Populationen in Zoos aufgebaut, wären einige von ihnen heute bereits ausgestorben“, betont Kölpin.

 „Viele Tierarten, die wir heute schützen müssen, galten vor 20 Jahren noch als weit verbreitet.“

Thomas Kölpin, Zoodirektor der Wilhelma

In den vergangenen Jahren habe die Wilhelma, so Kölpin, in neue Gehege investiert und sich bewusst von Tieren wie Eisbären getrennt, da ihre Bedürfnisse auf dem Gelände nicht mehr ausreichend erfüllt werden konnten. Besonders wichtig sei der Wilhelma die Gestaltung der Gehege. So seien beispielsweise die Anlagen für Gorillas erweitert und mit Rückzugsbereichen ausgestattet worden, um den Tieren mehr Privatsphäre zu bieten. Auch die Elefantenanlage soll bis 2030 durch ein modernes Gehege mit deutlich mehr Platz ersetzt werden.

Darüber hinaus setzt die Wilhelma das „Animal Welfare Assessment“ ein, eine wissenschaftliche Methode zur Überwachung des Tierwohls. Hierbei werden verschiedene Faktoren wie Gesundheit, Verhalten und Umweltbedingungen genau analysiert, um sicherzustellen, dass die Tiere unter den bestmöglichen Bedingungen leben. Doch für Yvonne Würz bleibt klar: Kein Gehege, wie gut es auch gestaltet sein mag, könne die Freiheit eines Tieres in seiner natürlichen Umgebung ersetzen.

Ein neuer Weg für Zoos?

Die Wilhelma Stuttgart hat sich zu einem wichtigen Ort für Artenschutz und Bildung entwickelt. Die Diskussion über die ethischen Fragen der Tierhaltung bleibt aber weiterhin offen. Zoos wie die Wilhelma stehen in der Verantwortung, ihre Rolle immer wieder zu hinterfragen und sich weiterzuentwickeln, um dieser gerecht zu werden – sowohl gegenüber den Tieren als auch der Natur. 

Auch Besuchende können Verantwortung übernehmen, indem sie Zoos wählen, die offen mit ihren Haltungsbedingungen umgehen und das Wohl der Tiere in den Mittelpunkt stellen. Gute Alternativen bieten darüber hinaus Lebenshöfe, die einen respektvollen Umgang mit Tieren fördern und artgerechte Haltung gewährleisten. Letztlich liegt es an jeder Person, für sich selbst zu entscheiden, wie sie Tiere erleben und schützen möchte – heute und in Zukunft.