Studieren & Wohnen 7 Minuten

Meine Mitbewohnerin hat schon Enkelkinder

Britta und ich haben uns regelmäßig bei einem Cappuccino aus ihrer geliebten Siebträgermaschine ausgetauscht. (Symbolbild) | Quelle: Anna Malou Knapp
27. Febr. 2025

Wohnungssuche in Hamburg: frustrierend, teuer, zu viele Absagen. Doch dann kam Britta, 65 Jahre alt, und bot mir ein Zimmer an. Britta öffnete mir damit nicht nur die Türe zu ihrem Zuhause, sondern auch zu einer neuen Form des Miteinanders.

Hinweis

Dieser Beitrag ist Teil eines Dossiers zum Thema „Studentisches Wohnen“.

Außerdem zum Dossier gehören folgende Beiträge:

Die meisten von uns kennen die Situation: Nach dem nervenaufreibenden Bewerbungsprozess kommt die ersehnte Zusage für den Traumstudienplatz oder das Wunschpraktikum. Man reitet auf einer Welle der Euphorie – doch plötzlich ebbt sie ab, denn nun steht die oft herausfordernde Wohnungssuche an.

Mein Name ist Anna, ich bin 25 Jahre alt und ich studiere an der Hochschule der Medien in Stuttgart. Während ich in Stuttgart allein in einem Appartement eines Studierendenwohnheim gewohnt habe, durfte ich während meines Praxissemesters in Hamburg eine WG-Erfahrung der anderen Art machen. Diese Erfahrung hat meine Perspektive über die Zukunft des studentischen Wohnens maßgeblich verändert.

Mission WG gesucht

Im Januar 2024 habe ich die Zusage für mein Praxissemester in Hamburg erhalten. Die Wohnungssuche in einer der beliebtesten Großstädte Deutschlands stand vor mir und ich wusste: es wird nicht einfach.

Zuversichtlich wagte ich einen ersten Blick in diverse Wohnungs- und WG Portale. Ich fütterte die Portale mit meinen Daten und wurde kreativ in der Ansprache meiner potenziellen neuen Mitbewohner*innen und Vermieter*innen. Ich nutzte sämtliche Angebote, sogar die Inserate analoger Zeitungen habe ich durchforstet, um eine passende und bezahlbare Wohnung zu finden. 

Ich merkte schnell, dass die Antwortrate auf meine Anfragen bei geschätzten zwei Prozent lag und dabei waren allesamt Absagen. Ich beschloss, eine Anzeige auf dem Wohnungssuchportal WG-Gesucht zu schalten. Diese Funktion bietet den Vermieter*innen die Möglichkeit, auf die Suchenden zuzugehen. So können Vermieter*innen gezielt auswählen, wen sie anschreiben.

Während ich weiter nach passenden Angeboten suchte, wartete ich gespannt auf eine Reaktion auf mein Gesuche. In den ersten Tagen erhielt ich viele Spam-Nachrichten. Und dann kam die Nachricht von Britta.

Zwischen Altbaucharme und neuen Perspektiven

Britta wohnt im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel in einer 125 Quadratmeter großen Altbauwohnung mit großen Fenstern, Parkettboden und hohen Decken. Das Mehrfamilienhaus, das in einer langen Allee aus großen Bäumen steht, bildet das Ende einer Reihe von identischen, mit Klinker geschmückten Wohnhäuser. Das Zimmer ist 23 Quadratmeter groß, möbliert und soll 500 Euro pro Monat kosten, die Nutzung eines Schrebergartens ist inklusive. Ein Mietpreis, der unter der durchschnittlichen Monatsmiete von 542 Euro für ein WG-Zimmer in Hamburg liegt. Hamburg war damit 2024 unter den Top Drei der teuersten Universitätsstädte Deutschlands, nur München und Konstanz können das noch toppen.

Was sich wie ein Traum liest, hatte einen ungewohnten Beigeschmack. Während ich mir für meine Zeit in Hamburg eine WG vorgestellt habe, in denen die Bewohnenden ein Durchschnittsalter von 27 Jahren haben und gerne ausgehen, war Britta zu dem Zeitpunkt ihres Angebots 65 Jahre alt. Britta hätte meine Mutter sein können. Nach einiger Überlegung und aus Mangel an einer Alternative, wagte ich den Sprung ins kalte Wasser. Doch das kalte Wasser stellte sich schnell als wohlig warm heraus.

Was ich damals nicht ahnte, wurde mir während meiner Zeit in Hamburg immer klarer: Generationsübergreifende WGs können mehr als eine Notlösung sein. Es ist ein Modell, das zwei drängende Probleme unserer Gesellschaft aufgreift. Einerseits den überfüllten, nahezu unerschwinglichen Wohnungsmarkt in deutschen Großstädten, der besonders einkommensschwache Menschen vor enorme Herausforderungen stellt. Andererseits, wie sehr ältere Menschen, die sich oft in großen Wohnungen wiederfinden, von Einsamkeit und Isolation betroffen sind.

Der Startpunkt einer unerwarteten Erfahrung: mein WG-Zimmer bei Britta.
Quelle: Anna Malou Knapp

Wohnungsknappheit und Altersarmut

Generationsübergreifende WGs setzen dort an, wo sich die gesellschaftlichen Herausforderungen der Generationen überschneiden: Für viele Studierende ist die finanzielle Situation angespannt. Denn laut dem Statistischen Bundesamt waren 2023 mehr als ein Drittel aller Studierenden armutsgefährdet. Dennoch halten viele ältere Menschen wie Britta an großen Wohnflächen fest – schließlich hängen an diesen Wohnungen Erinnerungen und Lebensgeschichten. 

Diese Art von WGs bieten jungen Menschen bezahlbaren Wohnraum, während ältere Menschen nicht nur finanziell entlastet werden, sondern auch die Möglichkeit erhalten, ihren Wohnraum zu teilen. Das hat auch Britta erkannt. Weil ihr die Wohnung für sich allein zu groß und zu teuer war, entschloss sie sich 2014 dazu zwei der Zimmer in ihrer Wohnung an Studierende zu vermieten. Seitdem beherbergte sie über 12 Studierenden aus verschiedensten Ländern der Welt und bot ihnen ein bezahlbares Zuhause in einer Stadt, in der die Mietpreise seit Jahren steigen. 

Gemeinsam statt einsam

Generationsübergreifende WGs sind eine Lösung, die über die reine Zweckmäßigkeit hinausgeht: Beide Seiten gewinnen nicht nur finanziell, sondern auch emotional. Nachdem Brittas Kinder ausgezogen waren, wünschte sie sich wieder mehr Gesellschaft. Denn leere Zimmer und die Stille in großen Wohnungen, können erdrückend sein. Umfragen zeigen, dass sich viele ältere Menschen einsam fühlen. 

Einsamkeit und soziale Isolation können langfristig zum Gesundheitsrisiko werden. Hinzu kommt, dass mit zunehmendem Alter die Hilfsbedürftigkeit wächst. Ob kleine Griffe im Haushalt, technische Unterstützung oder einfach nur regelmäßige Gespräche – all das kann den Alltag älterer Menschen erheblich erleichtern und bereichern. Man teilt nicht nur den Wohnraum, sondern auch den Alltag. Ich habe gelernt, dass das Zusammenleben mit einer anderen Generation sehr erfüllend ist. Ein gemeinsames Zuhause wird zu einem Ort, an dem sich Perspektiven gegenseitig bereichern und ein Dialog der Generationen den Horizont erweitern. Britta und ich haben mehrmals wöchentlich bei einem Cappuccino, den sie mit ihrer geliebten Siebträgermaschine gezaubert hat, über Politik und die Welt philosophiert. Sie erzählte Geschichten über ihr Leben und über ehemalige Mitbewohner*innen. Wir gingen sonntags gemeinsam Eis essen und trafen uns jeden Abend in der Küche, um von unserem Tag zu berichten.

Und wer glaubt, dass das Partyleben mit einer 65-jährigen Mitbewohnerin zu kurz kommt, irrt sich. Britta war immer für ein Glas Wein oder einen Wildberry Lillet zu haben und hatte oft die besten Geschichten aus ihrer eigenen wilden Zeit parat. Und selbst als ich mit Freunden bis in die frühen Morgenstunden das Schanzenviertel unsicher gemacht habe, begegnete sie mir mit einem Lächeln und manchmal sogar mit einem frisch gebrühten Kaffee für den Morgen danach.

Rückblickend hätte ich mir nicht träumen lassen, wie bereichernd die sechs Monate in der WG mit Britta sein würde. Was anfangs als ein pragmatischer Kompromiss wirkte – eine WG mit jemandem, der in einer völlig anderen Lebensphase steckt – entpuppte sich als sicherer Hafen im Sturm des deutschen Wohnungsmarktes. 

Es entstehen Verbindungen, die den Alltag bereichern. Was als eine effiziente Lösung beginnt, kann zu einem sozialen Modell werden, das unser Miteinander stärkt und gesellschaftlichen Herausforderungen, wie dem Wohnraummangel, nachhaltig entgegenwirkt. Inzwischen wohne ich mit meinem Freund zusammen. Ich denke aber oft an die Zeit mit Britta zurück und bin sehr dankbar für diese Erfahrung. Wenn ich die Entscheidung, in eine generationsübergreifende WG zu ziehen, nochmal treffen müsste, würde ich keine Sekunde mehr zögern. Ich würde mich klar dafür entscheiden, denn Britta öffnete mir nicht nur die Türe zu ihrem Zuhause, sondern auch zu einer neuen Form des Miteinanders. 

Deshalb mein Tipp: Traut euch, über den Tellerrand hinauszuschauen! Seid bei eurer nächsten Suche nach einer WG offen und habt den Mut, Neues auszuprobieren. Manchmal wartet hinter einer WG-Tür mehr, als ihr euch vorstellen könnt.

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