Sportpsychologie 6 Minuten

Warum sportlicher Erfolg im Kopf beginnt

Das Bild zeigt zwei Szenen aus dem Handball, links die Perspektive im Wettkampf und rechts die niedergeschlagene Perspektive nach dem Spiel.
Die Situation zeigt: Trotz vollem Einsatz gehören Niederlagen im Sport dazu – gestärkt daraus hervorzugehen, ist Teil mentaler Stärke. | Quelle: Kornej Weibert
12. Dez. 2024

Im Sport entscheiden oft Kleinigkeiten über Sieg oder Niederlage. Hinter der physischen Leistung verbirgt sich ein oft unsichtbarer, aber entscheidender Faktor: die mentale Stärke. Es ist die Fähigkeit, auch unter Druck zu liefern. Doch wie kann mentale Stärke entwickelt werden? Und welchen Einfluss hat sie auf die sportliche Leistung und den Alltag? Eine Analyse.

„Ich muss mich auf meine mentale Gesundheit konzentrieren.“ Mit diesen Worten schockierte und inspirierte Turnerin Simone Biles die Sportwelt, als sie sich 2021 aus dem olympischen Mehrkampf zurückzog. Ihr mutiger Schritt machte deutlich, wie wichtig die mentale Gesundheit im Sport ist – ein Thema, das oft im Schatten physischer Leistung steht.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert mentale Gesundheit als Zustand des Wohlbefindens, in dem eine Person ihre Fähigkeiten voll ausschöpft, mit Belastungen umgehen kann und produktiv zur Gemeinschaft beiträgt. Im Sport wird dieser Zustand auf die Probe gestellt. Hohe Leistungsanforderungen, selbst auferlegter Druck und Verletzungen beanspruchen nicht nur den Körper, sondern vor allem die Psyche der Athlet*innen.

„Mentale Themen kommen im Sport schnell an die Oberfläche. Es ist wie ein Booster, der die Schwächen sichtbar macht“, sagt Merle Berg, sportpsychologische Expertin. Sie beschäftigt sich intensiv mit dem Thema „Mentale Stärke im Sport“ und hat neben ihrem Master in angewandter Sportpsychologie auch eine Sportmentaltrainer- und Coachingausbildung absolviert. Mit ihrer Expertise unterstützt sie Sportler*innen und Mannschaften dabei, ihr Potential zu entfalten. 

„Mentale Themen kommen im Sport schnell an die Oberfläche.“

Merle Berg

Das psychologische Geheimnis hinter mentaler Stärke

Mentale Stärke geht über die mentale Gesundheit hinaus. Sie beschreibt die Fähigkeit, mit Herausforderungen umzugehen, sich unter Druck zu behaupten und in entscheidenden Momenten Leistung zu erbringen. Wer sich beim Elfmeterschießen im Fußball den letzten Schuss zutraut und ihn unter höchstem Druck verwandelt, hat genau diese Fähigkeit. 

Die innere Stärke entsteht aus persönlichen Überzeugungen, Einstellungen und Denkprozessen – und ist dementsprechend ein psychologisches Konzept. Um dieses Konzept zu verstehen und messbar zu machen, wird häufig das sogenannte 4C-Modell herangezogen. Es ist in vier wesentliche Schlüsselfaktoren unterteilt, die den Umgang mit Stress und Herausforderungen entscheidend beeinflussen: Control (Kontrolle), Commitment (Engagement), Challenge (Herausforderung) und Confidence (Selbstvertrauen).

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Die Komponenten des 4C-Modells im Detail. | Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an P. Clough & K. Earle (2002)

Das unsichtbare Training

„Jeder von uns hat bereits eine gewisse mentale Stärke aufgebaut“, erklärt Merle Berg die Ausgangssituation. Diese Grundlage kann durch kognitives Training gesteigert werden. Das Ziel: langfristiger Erfolg und eine höhere Leistungsfähigkeit – im Sport und darüber hinaus. Doch das ist nicht so einfach. Denn anders als beim körperlichen Training zielt kognitives Training auf die Steuerung der eigenen Gedanken und des Unterbewusstseins ab. 

Um die tieferen Ursachen anzugehen, setzt Merle Berg im Coaching auf langfristige Ansätze. Der Schlüssel, so zeigt es die Arbeit der sportpsychologischen Expertin, liegt darin, Blockaden zu lösen und Selbstvertrauen aufzubauen. Das funktioniert nicht von heute auf morgen, sondern ist vielmehr ein Prozess. Merle Berg betont: „Mentale Stärke wird außerhalb der Komfortzone aufgebaut.“ Es geht darum, sich immer wieder neue Ziele zu setzen, Herausforderungen zu meistern und den richtigen Umgang mit Rückschlägen zu finden. 

 

„Mentale Stärke wird außerhalb der Komfortzone aufgebaut.“

Merle Berg

Entscheidend ist bei diesem Prozess die Offenheit der Sportler*innen, sich selbst und die eigenen Gedanken zu reflektieren. Denn mentale Stärke entsteht im Kopf – auch Merle Berg arbeitet sehr kognitiv: „Mein Ansatz im Coaching ist, gemeinsam zu analysieren: Was steckt hinter dem Problem? Es geht darum, negative Ursachen und Selbstzweifel zu erkennen und abzubauen.“

Da sie selbst aus dem Handballsport kommt, arbeitet sie vor allem mit Handballer*innen zusammen. Konkrete Herausforderungen sind dabei zum Beispiel die Angst, Fehler zu machen oder zu verwerfen. Liegt es an mangelndem Vertrauen vom Trainer oder an Unsicherheit? Kennt man die Ursache, lässt sich die Blockade durch Verlassen der Komfortzone abbauen. Bei der Angst zu verwerfen bedeutet das, sich nach einem Fehlwurf einen weiteren Wurf zu nehmen, statt den sicheren Pass zu spielen. Nur wer das Risiko eingeht, erneut zu scheitern, kann langfristig wachsen und erfolgreich sein.

Merle Berg visualisiert die Blockaden der Sportlerin auf einem Plakat.
Das Visualisieren der Gedanken, Herausforderungen und Ziele ist ein wichtiger Schritt, den Merle Berg im Coachingprozess einbaut.
Quelle: Merle Berg

Vom Sport in den Alltag

Kognitives Training und das daraus entstehende starke Mindset ist nicht nur für den Sport relevant. Auch im täglichen Leben kann es uns helfen, Herausforderungen zu meistern. Merle Berg hat diesen Prozess selbst durchlaufen. In ihrer aktiven Handballkarriere stand sie immer wieder vor Herausforderungen: „Ich weiß, wie es sich anfühlt, Angst vor Fehlern zu haben, verletzt zu sein und sich wieder hochkämpfen zu müssen. Ich weiß also, wie es ist, schlechte Phasen zu haben.“ 

Für sie hat sich herausgestellt: Die Themen, mit denen sie im Handball zu kämpfen hatte, waren Unsicherheiten, die sie unterbewusst im alltäglichen Leben beschäftigten. Durch den Sport kamen sie aber erst an die Oberfläche. So entstand die Möglichkeit, aktiv daran zu arbeiten und etwas zu verändern – und nicht nur im Sport, sondern auch im Alltag von mehr Selbstvertrauen und einem besseren Umgang mit Herausforderungen zu profitieren. Diese Erkenntnis bekommt sie auch in ihren Coachings gespiegelt: Man merke die Ergebnisse nicht nur auf dem Handballfeld, auch das Leben sei anders – leichter und schöner. 

Podcast als Sprachrohr

Merle Berg spricht beim Thema mentale Stärke also aus Sicht der sportpsychologischen Expertin mit wissenschaftlichem Hintergrund, aber auch aus eigener Erfahrung. Ihre praktischen und theoretischen Ansätze teilt sie gemeinsam mit der Zweitligaspielerin Josefine Schneiders im Podcast „Handball Inside“. 

Dort zeigen die beiden Einblicke in ihre Coachinggespräche und sprechen mit anderen Akteuren aus dem Handballsport über persönliche Geschichten und Erfahrungen. Dabei dreht sich alles um Handball und Sportpsychologie – unter anderem darum, wie Herausforderungen gemeistert wurden oder wie man mit Druck, Verletzungen oder knappen Niederlagen umgeht. 

Springe direkt zu Minute 45:20, um eine Zusammenfassung zum Umgang mit Niederlagen zu bekommen.

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Der Podcast dient aber nicht nur als Plattform für Expertentipps, sondern auch als Raum, in dem sich Sportler*innen verstanden fühlen. „Einfach zu hören, dass andere ähnliche Herausforderungen haben, macht oft schon einen großen Unterschied“, gibt Merle Berg Einblicke in das Feedback der Hörer*innen. Gleichzeitig ist das übergeordnete Ziel, den sportpsychologischen Themen im Handball eine Plattform zu geben und ihre Bedeutung stärker ins Bewusstsein zu rücken.

Körper und Psyche: Zwei Teile eines Ganzen

Das Thema ins Bewusstsein rücken – das ist eines der Ziele, das Merle Berg nicht nur mit dem Podcast, sondern auch mit ihrer Arbeit verfolgt. Denn mentale Stärke ist schwer greifbar und deshalb oft unsichtbar. Auch das Internationale Olympische Komitee (IOC) geht mit der Initiative #MentallyFit voran. Die Plattform bietet wertvolle Informationen rund um mentale Gesundheit und soll dem Thema mehr Sichtbarkeit verleihen. 

Olympiasieger Abhinav Bindra, der sich in der olympischen Kommission für mentale Gesundheit einsetzt, bringt das Ziel auf den Punkt: „Das menschliche Wohlbefinden muss im Mittelpunkt der sportlichen Leistung stehen. Geistige und körperliche Gesundheit sind zwei Hälften eines Ganzen, und die Pflege beider muss eine Priorität sein.“ 

Diese Perspektive unterstreicht die zentrale Bedeutung der psychischen Gesundheit im Sport und die Entwicklung, die das Thema in den vergangenen Jahren genommen hat. Das Bewusstsein für mentale Themen steigt – und ist trotzdem noch immer zu gering. Das muss und wird in der Zukunft weiter zunehmen. Dadurch wird auch die Rolle der Mentaltrainer*innen und Sportpsycholog*innen stärker in den Fokus rücken. Für Merle Berg ist der erste Schritt, Vorbilder wie große Sportler und Vereine zu haben, die dem Thema eine Chance geben. Simone Biles war und ist eines davon.