Goldene Armreifen, Ohrringe und Ketten liegen auf dem Tisch. Dabei auch ein
Fußkettchen mit goldenen Glöckchen, dass man sie gut hört, wenn sie kommt. Neben dem Geruch von Haarspray breitet sich auch Stress im Raum aus. Es wird das Das Make-Up wird aufgefrischt, nochmal kurz in den Spiegel geschaut und dann soll es losgehen. Ihr Mann fährt Dragqueen Ariana Gandhi in die Stuttgarter Innenstadt, denn so auffällig geschminkt und in ihrem farbenfrohen Sari traut sie sich nicht, die U-Bahn zu nehmen.
Statements auf dem CSD
Unter der Perücke und dem Make-Up steckt Max, der auf dem Christopher Street Day (CSD) und will für Vielfalt und Akzeptanz kämpfen. Er hat vor ein paar Monaten zu seinem neuen Hobby gefunden und läuft heute zum ersten Mal als seine zweite Persönlichkeit, Ariana Gandhi, durch die Stuttgarter Innenstadt.
Auf dem CSD wird jedes Jahr für die Freiheit und Akzeptanz der LGBTQIA+ Community protestiert. Die Menschen kämpfen für Gleichberechtigung, denn es soll egal sein, wen man liebt. Für eine Zeit rücken Hass und Hetze, denen Menschen mit einer nicht heteronormativen Lebensweise ständig ausgesetzt sind, in den Hintergrund.
“Heteronormativ” beschreibt die Annahme, dass Heterosexualität die “normale” oder “natürliche” Form der sexuellen Orientierung ist. In einem heteronormativen Weltbild wird erwartet, dass Männer und Frauen traditionelle Geschlechterrollen einnehmen und dass Beziehungen ausschließlich zwischen einem Mann und einer Frau bestehen sollten.
Laut Bundesregierung wurden im Jahr 2022 über tausend Hassdelikte im Zusammenhang mit der sexuellen Orientierung der Opfer gemeldet. Die Dunkelzahl ist wahrscheinlich um einiges höher. Aber während des CSDs ist Stuttgart bunt. An jeder Ecke sieht man eine Regenbogenfahne, die als Symbol für Vielfalt, Stolz und Selbstbestimmung in die Höhe geschwenkt wird.
Die Geburt von Ariana Gandhi
Der erste richtige Berührungspunkt mit der Kunstform Drag war auf einer Party. Max war fasziniert von der Eleganz und dem Selbstbewusstsein einer Dragqueen, die er dort sah. „Ich dachte mir, das kann ich auch“, erinnert er sich. Und so begann seine Reise. Seine Freundin und Arbeitskollegin ist bereits eine erfahrene Dragqueen und wurde kurzerhand seine „Drag-Mama“, die ihn in die Kunst des Drags einführte. In der Drag-Szene ist die „Drag-Mama“ eine Art Mentorin. „Sie ist die erste Person, die dich schminkt und dir zeigt, wie man in dieser neuen Welt klarkommt. ” erklärt Max.
Von Januar bis April 2024 knüpfte Max Kontakte, suchte sich einen Drag-Namen aus – Ariana Gandhi war geboren – und legte den Grundstein für sein neues Hobby. Durch neue Drag-Freunde hat Max von einem Wettbewerb für Dragqueen Newcomer in Esslingen erfahren. Die perfekte Möglichkeit, sich einen Namen zu verschaffen. Max bereitete sich und seine Dragqueen monatelang dafür vor: Er lernte Choreographien auswendig und suchte nach passenden Liedern. Auch das Make-Up, die Perücke und das Outfit musste gut durchdacht werden. Das kostet nicht nur Zeit und Energie, sondern auch viel Geld. Max erzählt, dass er rund 500 Euro für seine bisherige Ausstattung ausgegeben habe. Dann war es so weit: Aus Max wurde durch stundenlanges Schminken, Perücke kleben und verkleiden, schlussendlich Ariana Gandhi. Die selbstbewusste neue Dragqueen legte auf der Bühne eine Choreografie aus einer Mischung von Bollywood und Disney hin. Beides mag sie nämlich sehr gerne. Schnell merkte Ariana, dass sie sich deutlich selbstbewusster fühlt als es Max im Alltag tut. Sie gewann an diesem Abend den Wettbewerb und verschaffte sich somit innerhalb der ersten Monate schon einen kleinen Namen in der Stuttgarter Drag-Szene.
Max' Herkunft als Alleinstellungsmerkmal
Heute steht der CSD an und seit Wochen macht sich Max Gedanken, wie er seine zweite Persönlichkeit an dem besonderen Tag präsentieren möchte. Schlussendlich möchte er seine indische Herkunft verkörpern und für die Sichtbarkeit unterschiedlicher Kulturen sorgen. Dann steht das Outfit fest, Ariana Gandhi trägt viel goldenen Schmuck, ein passendes Make-up und eine lange, blonde Perücke. Ihr Körper ist in einem roten, glitzernden indischen Kleid, bekannt als Sari, umschlungen. Ariana sieht ihre schön verpackten indischen Wurzeln als Alleinstellungsmerkmal an, denn „irgendwie muss man sich von den anderen Dragqueens unterscheiden.“
Max der eigentlich einen anderen Vornamen hat, sich aber mit seinem Zweitname wohler fühlt, bewunderte schon als Kind die bunten indischen Saris und die High Heels seiner Mutter. Auch im Theater spielte er schon immer gerne. Doch es war nicht nur das Verkleiden, das ihn faszinierte. Es war das Gefühl, in eine andere Rolle zu schlüpfen, die Möglichkeit, jemand anderes zu sein, auch wenn es nur für einen kurzen Moment war.
Aber so schön die indischen Saris seiner Mutter auch waren, seine Wurzeln und die Kultur seiner Familie haben ihm das Leben als homosexuellen Mann nicht immer leicht gemacht. Nach seinem Outing bricht der Kontakt zu seiner Familie ab. Dass er jetzt Drag macht, wissen sie bis heute nicht.
„Für mich ist Drag nicht nur Unterhaltung, sondern auch Politik.“
Er möchte seinen Fokus genau auf das legen, was er selbst durchgemacht hat. Menschen dazu ermutigen, sie selbst zu sein, auch wenn die eigene Kultur oder die der Familie dagegenspricht. Dabei handelt es sich häufig um Kulturen oder Traditionen, die eine hierarchische und patriarchale Struktur unterstützen. Oft können sich Betroffenen dann gar nicht oder nur mit schweren Konsequenzen outen. Beispielsweise könnten sich die Betroffenen als schwarzes Schaf der Familie fühlen oder sie werden sogar aktiv aus der Familie ausgeschlossen.
Zwischen Aufregung, Stress und Freude
Max sitzt auf dem Beifahrersitz Richtung Feuersee. Es ist es endlich so weit, er kann die wochenlang vorbereitete Ariana Gandhi auf dem CSD allen präsentieren, die sich in der Stuttgarter Innenstadt versammelt haben. Ariana ist aufgeregt, nur ihre engsten Freund*innen kennen sie als Dragqueen. Sie ist gespannt auf die Reaktionen, auf den CSD, auf die Menschen und auf die Interaktionen. Die Parade beginnt am Feuersee und verläuft dann durch die Stadtmitte und endet mit einer Kundgebung am Schlossplatz. Die Veranstalter*innen erwarten bis zu einer halben Million Besucher*innen, die aus Teilnehmer*innen und aus Zuschauer*innen bestehen. Die Zuschauer*innen feiern von dem Rand der Parade mit und jubeln den Teilnehmer*innen zu. Von Weitem hört man die laute Popmusik, die aus mehreren Boxen dröhnt. Die bunte Masse an Menschen tanzt, lacht und viele schwenken Regenbogenfahnen in die Luft. Ariana fühlt sich wohl, ebenso gestresst. Sie wird von ihren Freund*innen mit offenen Armen begrüßt, die Aufregung kann ihr aber erstmal keiner abnehmen. Diese verfliegt nur mit der Zeit.
Als Max besuchte er schon oft CSDs, auch in anderen Städten, das Gefühl ist jedes Mal überwältigend. Für queere Menschen ist der CSD ein sicherer Ort, bei dem Anfeindungen, Hass und Hetze keinen Platz haben. Und vor allem als Dragqueen Ariana Gandhi fällt ihr nun ein großer Stein vom Herzen. Die Aufregung, wie die anderen wohl auf sie als Dragqueen reagieren, ist mit der Zeit verflogen.
Die Wichtigkeit von Demonstrationen für queere Rechte
Anfeindungen bekommen queere Menschen fast täglich zu spüren. Vor allem online stehen Dragqueens unter Beschuss. Neben Beleidigungen und Belästigung wird auch durch Falschinformationen gegen sie gehetzt. Eine bestimmte Falschinformation wird hierbei immer häufiger verbreitet: Dragqueens würden Kinder gefährden. Die AfD integrierte diese Aussage sogar in ihrem vergangenen Wahlkampf. Man sah Wahlplakate mit einem verängstigten Kind und einer vermeintlichen Dragqueen, die nach dem Kind griff. Dass queere Menschen als Gefahr für die Sicherheit von Kindern dargestellt werden, ist eine weit verbreitete Fehlinformation. Oft sind es religiöse, konservative und rechtsextreme Gruppen, die diese Narrative verbreiten. Dass man durch diese Falschinformationen ein negatives Bild erzeugt und Vorurteile stärkt, hat Konsequenzen. Eine davon ist, dass man versucht die (Sexual-) Bildung von Kindern zu beeinflussen.
Vor allem die Bildung ist Max wichtig, er studiert selbst Lehramt und ist sich sicher, dass man durch Aufklärung und Bildung dem Rechtsruck entgegenwirken kann. Dadurch hat er ebenso die Hoffnung, dass sich der Hass nicht weiterverbreitet. Er werde jedenfalls durch seinen offenen Umgang mit seiner Sexualität und dem Drag-Dasein immer wieder gegen Queerfeindlichkeit ankämpfen, so Max.
Eine Last aus Make-up und Perücke
Seit sechs Uhr ist Max jetzt schon als Ariana unterwegs. Um 23 Uhr kommt er mit schlappen Beinen, aber mit erfülltem Herz wieder zu Hause an. Endlich kann er das Make-up, die schwere blonde Perücke und somit auch seine zweite Persönlichkeit Ariana Gandhi ablegen. Ein zwar anstrengender, aber erfolgreicher Tag geht für ihn zu Ende. Am nächsten Tag räumt er das erzeugte Chaos vom Vortag auf, verstaut seinen Sari im Schrank und lackiert seine Fingernägel ab. Auf einmal ist jeder Hauch von Ariana Gandhi aus Max’ Wohnung verschwunden. Bis er wieder die funkelnde, selbstbewusste Ariana aus den Schränken holt.