Klimawandel 9 Minuten

Reduzieren ist Silber, Speichern ist Gold?

Carbon Capture and Storage Illustration
Bei der CCS-Technologie wird CO₂ unterirdisch gespeichert. | Quelle: Jakob Hertl
21. März 2024

Carbon Capture and Storage (CCS) erlebt in Deutschland gerade ein Revival. Welche Rolle spielt die Technologie auf dem Weg zur Klimaneutralität?

Deutschland will klimaschädliche Emissionen bis 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 reduzieren und bis 2045 klimaneutral werden. Ein aktueller Bericht des Umweltbundesamts zeigt: beide Ziele werden mit den derzeitigen Maßnahmen verfehlt. Deswegen sucht die Bundesregierung nach weiteren Optionen, um CO₂ zu reduzieren. Eine Technologie wird dabei gerade wieder heiß diskutiert: Carbon Capture and Storage, kurz: CCS. 

Die Grundidee ist recht simpel: statt das CO₂ in die Luft zu blasen, wird es unterirdisch gespeichert. Dafür kann es entweder aus der Atmosphäre entnommen oder direkt an Industrieanlagen oder Kraftwerken abgeschieden werden. Auch wenn die Technologie bei Kohle- und Gaskraftwerken grundsätzlich funktioniert, ist sich die Forschung weitestgehend einig, dass CCS wenn überhaupt nur für „unvermeidbare“ oder „schwer vermeidbare“ Emissionen aus der Industrie eingesetzt werden sollte. Also beispielsweise für CO₂, das bei der Zement- oder Stahlherstellung entsteht.

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Wichtige Abkürzungen im Zusammenhang mit CCS | Quelle: Jakob Hertl

Wie funktioniert die Speicherung?

Gespeichert wird das CO₂ an Land unter der Erde (On-Shore) oder unter dem Meeresgrund (Off-Shore). Das kann auf zwei mögliche Arten erfolgen: Zum einen in sogenannten salinen Aquiferen, also porösen Gesteinsschichten – zum Beispiel Sandstein – im tiefen Untergrund, die das CO₂ aufnehmen können. Wichtig ist, dass darüber eine ausreichend dichte Gesteinsschicht – zum Beispiel Ton – liegt, die das CO₂ daran hindert, wieder nach oben zu gelangen. Dafür muss dieses sogenannte Deckgestein mehrere Hundert Meter dick sein. 

Die andere Möglichkeit bieten ausgeschöpfte Öl- und Gasvorkommen unter der Erde. Das CO₂ wird also wieder in die Hohlräume zurückgepumpt, aus denen der Kohlenstoff ursprünglich kam, der zuvor als Öl oder Gas Hunderttausende von Jahren sicher verwahrt war. Aus geologischer Sicht gibt es laut Josef Zens vom Geoforschungszentrum (GfZ) Potsdam keine bessere oder schlechtere der beiden Methoden. Vielmehr sei das eine gesellschaftspolitische Frage, ob man die Energiekonzerne und deren Infrastruktur ins Boot holen wolle.

Wie sicher ist die Speicherung?

Eine viel diskutierte Frage im Zusammenhang mit CCS ist die Sicherheit der Technologie. Josef Zens sieht hier keine schwerwiegenden Probleme. Wichtig sei, dass der Untergrund zuvor gut erforscht und der Prozess des Einspeicherns gut überwacht werde. In vorgeschädigten Gesteinsschichten kann das CO₂ nicht zuverlässig konserviert werden. CCS kommt dementsprechend nicht in Frage in Erdbebenzonen, wo das Gestein Risse oder Brüche hat oder in Bergbauregionen, wo gesprengt wurde und Stollen geschlagen wurden.

Ist die Gesteinsschicht samt Deckschichten jedoch geeignet, hält Zens „CCS als Verfahren zur CO₂-Speicherung für gut erforscht und absolut hinreichend sicher.“ Natürlich gebe es prinzipiell bei jeder Bohrung Risiken, „aber diese Risiken sind beherrschbar.“ Jahrzehntelange Forschung und Erfahrungen aus Pilotprojekten hätten gezeigt, dass das CO₂ zuverlässig in den Gesteinsschichten bleibe. Kritiker sehen das anders und argumentieren, die Langzeitsicherheit sei nicht ausreichend bewiesen und die CCS-Technologie berge zu hohe Risiken für die Umwelt.

„Ich halte CCS als Verfahren zur CO₂-Speicherung für gut erforscht und absolut hinreichend sicher.“

Josef Zens, Diplom-Geograph, GfZ Potsdam

Prinzipiell ist der Ansatz von CCS kein neuer. Erforscht und erprobt wird die Technologie schon seit Jahrzenten. Als eine der führenden Nationen auf dem Gebiet hat Norwegen bereits 1996 das erste kommerzielle CO₂-Speicherprojekt „Sleipner“ gestartet und setzt seitdem stark auf das Verfahren. Laut einem Bericht des Global CCS Institute gab es 2022 rund 200 solcher kommerziellen CCS-Projekte weltweit. Wie erfolgreich diese waren oder sind, bewerten Befürworter und Kritiker jedoch sehr unterschiedlich.

Was sagen die großen internationalen Gesetzgeber und Klimaorganisationen?

Der Weltklimarat (IPCC) zu CDR.

Die International Energy Agency (IEA) zu CCS/CCU.

Die EU-Kommission zu Carbon Management.

Die Wirtschaftskommission der UN für Europa (UNECE) zu CCS/CCU.

CCS in Deutschland

In Deutschland ist CCS durch das Kohlendioxid-Speicherungsgesetz (KSpG) bisher nur sehr beschränkt möglich. Geographisch ergibt sich durch die Nordsee eigentlich ein Standortvorteil, das erste Pilotprojekt fand an Land unter der Erde statt. Am Standort Ketzin in Brandenburg wurden von 2008 bis 2013 rund 67 Tausend Tonnen CO₂ unterirdisch verpresst.

Diskutiert wird das Verfahren in Deutschland seit Anfang der 2000er. Damals ging es vor allem um einen möglichen Einsatz in Kohlekraftwerken. Das Vorhaben scheiterte – auch aufgrund massiver Bürgerproteste – und die Debatte verstummte für einige Jahre. Mit den aktuellen Plänen der Bundesregierung ist sie plötzlich wieder brandaktuell.

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Die Geschichte von CCS in Deutschland | Quelle: Jakob Hertl

Vorbei am eigentlichen Problem?

Kritik an CCS kommt in Deutschland vor allem von Umweltverbänden. In einer gemeinsamen Pressemitteilung warnte ein Bündnis mehrerer Organisationen – unter anderem der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Greenpeace und die Deutsche Umwelthilfe – vor CCS als „Scheinlösung“. Die Hauptkritikpunkte der Verbände: CCS sei teuer, energieaufwendig, ineffizient, wecke falsche Hoffnungen, blockiere die Energiewende und bringe erhebliche Risiken für die Umwelt mit sich. Für Kerstin Meyer vom BUND stellen das größte Problem sogenannte Lock-In-Effekte dar.

Der Begriff „Lock-In-Effekt“ beschreibt in der Klimawissenschaft die langfristige Bindung an bestimmte Entscheidungen oder Technologien, die zukünftige Entwicklungen einschränken können. Die Befürchtung der Kritiker also: wenn wir zu sehr auf CCS setzen und investieren, fehlt der Industrie der Anreiz zur Transformation zu erneuerbaren Energien. Das birgt die Gefahr, dass wir uns langfristig an kohlenstoffbasierte Methoden binden, anstatt auf nachhaltigere Alternativen zu setzen.

Auch die Carbon Management Strategie der Bundesregierung steht dabei in starker Kritik. Laut Meyer sei diese ein Freifahrtschein für die weitere Nutzung von Erdgas und Erdöl. „Wenn die CO₂-Leitungen einmal gebaut sind, werden sie auch genutzt, denn sie müssen sich lohnen. Alle Unternehmen – außer die Kohleindustrie – werden ein Recht auf Anschluss an die CO₂-Leitungen haben. So können sie weiter fossile Energieträger verbrennen, statt ihre Prozesse auf Erneuerbare umzubauen“, so Meyer. Auch die Kommunikation der Strategie sei problematisch: „Ich finde die Bundesregierung informiert ganz und gar nicht ausgewogen über CCS, die Gefahren und Risiken.“

Karsten Smid von Greenpeace findet vor allem die im Zusammenhang mit CCS verwendeten Begriffe irreführend: „Es geht eben nicht um das Speichern eines Wirtschaftsgutes oder einer CO₂-Wertschöpfungskette. Es handelt sich um einen Abfallstoff. Es handelt sich nicht um Speicher, sondern Endlager, die Zehntausende Jahre dicht halten müssen.“

Auch vom Argument der unvermeidbaren Restemissionen hält er nichts. In der Chemie gebe es alternative Prozesse. Stahl könne man recyclen und mit erneuerbaren Energien oder durch grünen Wasserstoff treibhausgasneutral produzieren. Zement könne man durch alternative Bindemittel ersetzen oder die Produktion reduzieren und im Bau stattdessen auf mehr Holz setzen. „Ich halte es für unsauber, diese Technik-zentrierte Entsorgungswirtschaft als alternativlos darzustellen.“

„Es geht eben nicht um das Speichern eines Wirtschaftsgutes oder einer CO₂-Wertschöpfungskette. Es handelt sich um einen Abfallstoff. Es handelt sich nicht um Speicher, sondern Endlager, die Zehntausende Jahre dicht halten müssen.“

Karsten Smid, Greenpeace-Klimaexperte

Ein Schritt vor oder zwei zurück?

Die Meinungen zu CCS gehen also weit auseinander. Einigkeit herrscht nur, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien und die Reduzierung von CO₂ weiterhin oberste Priorität haben müssen. Mit der aktuellen Strategie der Bundesregierung wird die CCS-Technologie in Deutschland kommen. Ob das der richtige Schritt auf dem Weg zur Klimaneutralität ist, wird weiter heiß diskutiert werden.

Für Josef Zens ist dabei vor allem eins wichtig: eine möglichst vorurteilsfreie Debatte ohne große Emotionen, bei der keine Seite übertriebene Hoffnung oder übertriebene Ängste schürt. „CCS ist nicht die eine beste Lösung und keine magische Technologie, mit der wir plötzlich unsere Klimaprobleme los sind. Sie ist zusätzlich zur CO₂-Vermeidung ein wichtiger Baustein, um CO₂ in der Atmosphäre zu reduzieren. Und wir haben es hier auch nicht mit einem Endlager zu tun, vor dem die Leute Angst haben müssten.”

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