Schäferei 4 Minuten

Mehr als nur Schäfchen zählen

Eine Schafherde mit einer Ziege in der Mitte
Als Schäfer*in kümmert man sich häufig um 300 bis 400 Schafe in einer Herde. | Quelle: Protagonistin
15. Mai 2024

Schon seit über 10 Tausend Jahren halten Menschen Schafe und Ziegen, seit etwa 6,5 Tausend Jahren im Gebiet von Deutschland. Sie betreiben Landschaftspflege, liefern Wolle, Milch und Fleisch und sorgen so für die Versorgung von Mensch und Tier. Doch wie steht es um den Beruf heute?

„Das Schönste, an das ich mich erinnere, war, als ich zum ersten Mal an der Spitze einer Herde von 300 Schafen gelaufen bin. Sie sind mir mit der Selbstverständlichkeit gefolgt, dass ich sie an einen guten Ort führen werde“, erzählt Anna*. Sie ist eine von wenigen Auszubildenden zur Tierwirt*in der Fachrichtung Schäferei. Laut der Bundesagentur für Arbeit gab es im Jahr 2022 beispielsweise lediglich 27 neue Auszubildende. Generell sinkt in Deutschland die Anzahl der Schäfereibetriebe stetig. Während es im Jahr 2000 noch rund 31 Tausend Schäfereibetriebe waren, sind es 2020 nur noch rund 9 Tausend Betriebe, gibt das Bundesinformationszentrum Landwirtschaft (BZL) bekannt. Dem BZL zufolge, halten über 70 Prozent der heutigen Betriebe in Deutschland maximal 49 Schafe und sind demnach Hobbyschäfereien. Die Anzahl der Berufsschäfereien liegt heute bei nicht mal mehr Tausend. Darunter sind nur noch wenige traditionelle Wanderschäfer*innen, die monatelang mit ihren Schafen und Ziegen über Brachflächen, Heiden, Deiche und Grünflächen von beispielsweise Flugplätzen ziehen.

Wander- und Koppelschäfereien

Auf den Grünflächen der Wanderschäfer*innen wächst meist kein optimales Futter, so dass es nur wenig Geld einbringt, das Fleisch der Schafe zu verkaufen. Den Großteil ihres Einkommens erzielen Wanderschäfereien durch Beweidung und Landschaftspflege der verschiedener Flächen. Die Schafe verdichten mit ihren Klauen den Boden und halten das Gras durchs Fressen niedrig. Sie werden oft durch Ziegen unterstützt, die härteres Gestrüpp und kleine Bäume fressen. Außerdem verbreiten Schafe über ihr Fell Insekten und Samen von Pflanzen aller Art, wie z.B. seltene Orchideen.

Die meisten Schafe stehen auf eingezäunten, ausbruchs- und verletzungssicheren Koppeln und zum Lammen im Stall. So müssen sie nicht ständig beobachtet werden. Da der Effekt des Nährstoffaustrags hier nicht gegeben ist, verdienen Koppelschäfereien selten an der Landschaftspflege, sondern durch Fleischverkauf. Hier werden Fleischschaf-Rassen auf prächtigen Wiesen gehalten. Aber auch mit Milch, vor allem von Milchschaf-Rassen und der Selbstvermarktung von Fleisch und Fellen im eigenen Hofladen kann zusätzliches Geld verdient werden. Eine Möglichkeit für weiteres Einkommen bietet auch die Zucht und Ausbildung von Hunden.

Eine Übersicht über die verschiedenen Herdengebrauchshunderassen
Für unterschiedliche Einsatzgebiete wurden verschiedene Hunderassen gezüchtet.
Quelle: Cheyenne Österle

Schäfer*in ist man jeden Tag. Auch Anna erzählt, dass sie wahrscheinlich später sieben Tage die Woche arbeiten wird und dadurch viel Freizeit verloren geht. Als Wanderschäferin beginnt der Alltag bei Anna meist gegen 8.00 Uhr mit Stallarbeit der sehr jungen, alten oder kranken Tiere. Gegen 10.00 Uhr fährt sie raus zur Herde und hütet mit Hilfe ihrer Altdeutschen Hütehunde die Herde bis circa 17.00 Uhr. Während der Lammzeit beginnt der Arbeitstag häufig auch schon um 6.00 Uhr oder früher, um die Flaschenlämmer zu füttern. In dieser Zeit werden die restlichen Schafe wie bei der Koppelschäferei auf einer eingezäunten Bauernwiese gehalten.

Neue Hindernisse für die Schäferei

Neben den langen Arbeitszeiten und der schlechten Bezahlung gibt es noch weitere Herausforderungen in der Schäferei, wie z.B. den Wolf. Trotz steigender Schutzmaßnahmen werden immer wieder Schafe gerissen. Zudem konnte man früher über die Schafwolle gutes Geld verdienen, während Schäfer*innen heute häufig für das Scheren draufzahlen. Das liegt daran, dass die Wollepreise heute oft niedriger als die Kosten für das Scheren sind. Ein weiteres Problem ist eine neue Gesetzesänderung, die die Behandlung der Moderhinke durch giftiges Zink- und Kupfersulfat verbietet. Moderhinke ist eine schmerzhafte Entzündung in den Füßen der Schafe und neue Behandlungen, beispielsweise durch Antibiotika, können nicht überall wirksam eingesetzt werden. Zudem ist es nun verboten Wirbeltiere zu kupieren, das gilt auch für Schafschwänze. 

Kupieren bedeutet, dass etwas abgeschnitten wird. Häufig wird das Wort Kupieren mit Hunden in Verbindung gebracht, wenn ihnen Schwanz oder Ohren amputiert wurden. Auch bei Lämmern wurde sehr lange der Schwanz abgeschnitten, also in Fachsprache kupiert. Ein grundloses Amputieren von Körperteilen bei Wirbeltieren ist laut § 6 Tierschutzgesetz in Deutschland verboten.

Quelle: Bundesministerium der Justiz und Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft

Grund des Kupierens ist, dass es mit langem Schwanz zu Komplikationen bei der Geburt kommen kann und sich hier Fliegenmaden besonders gut ansiedeln können. Ein weiteres Problem für die Wanderschäfer*innen stellen die verpflichtenden elektrischen Ohrmarken dar. Während das System bei Tieren im Stall gut funktionieren mag, reißen sich Schafe und Ziegen diese gerne mal im Gestrüpp aus. Dies kann zu Schmerzen, herumliegendem Plastik und fehlerhafter Kennzeichnung führen.

„Aber es sind halt so bestimmte Momente, die einem das dann zurückzahlen.“

Protagonistin

Auch bei Anna's Ausbildung entstehen Hürden. Aufgrund der wenigen Auszubildenden gibt es in Deutschland nur zwei Berufsschulen für die Schäferei. Es besteht jedoch die Möglichkeit, in einer landwirtschaftlichen Klasse unterrichtet zu werden, in der allgemeine Themen behandelt werden. Zusätzlich belegen die Schäferei-Auszubildenden einen Intensivkurs zur Spezialisierung in ihrem Fachgebiet. Doch auch dies ist häufig mit teuren und langen Fahrtwegen verbunden. „Aber es sind halt so bestimmte Momente, die einem das dann zurückzahlen“, erzählt Anna, die an diesem Tag einen Teil ihres Mittagessens mit einem Schaf teilte. Sie genießt besonders die Zeit in Ruhe mit der Herde und den Altdeutschen Hütehunden. 

*Der Name der Interviewpartnerin wurde aus persönlichen Gründen geändert, Identität ist der Redaktion bekannt.