Die italienische Mafia – ein europäisches Problem?
„Seid ihr bereit? Diesen Ort zu taufen? Ich taufe ihn nun, wie unsere drei Ritter aus Spanien ihn getauft haben. Wenn sie ihn mit Eisen und Ketten getauft haben, dann taufe ich ihn mit Eisen und Ketten. Wenn sie ihn mit Rosen und Blumen getauft haben, taufe ich ihn mit Rosen und Blumen …“
Singen, Baden-Württemberg. Mit fassungslosen Gesichtern sitzen die Polizeibeamten in ihrem Büro vor dem Abhörgerät, aus dem die feierliche Männerstimme auf Italienisch erklingt. Das hatten sie nicht erwartet. Die Stimme kommt aus dem Hinterzimmer eines verwanzten Lokals, wo die Taufe eines Rückzugsorts der größten italienischen Mafia-Gruppierung „'Ndrangheta““ zelebriert wird – mitten im Schwabenland. Mit Live-Übertragung ins Polizei-Büro.
Auf die Verse folgt kein plötzliches Einrammen der verschlossenen Lokaltür, kein „Hände hoch!“, keine Verhaftungen. Die Teilnehmer der geheimen Sitzung können ihr Ritual und die anschließenden Geschäftsverhandlungen ungestört zu Ende bringen. Das Verfahren gegen die belauschten Mafia-Mitglieder wird ein Jahr später aufgrund mangelnder Beweislage eingestellt werden.
Was in Italien zu fünf bis fünfzehn Jahren Haft geführt hätte, genügt in Deutschland nicht einmal für einen Haftbefehl – nach deutschem Gesetz stellt die Zugehörigkeit zu einer mafiösen Vereinigung keine Straftat dar. Strafbar macht sich erst, wem Drogenhandel, Erpressung oder Geldwäsche nachgewiesen werden können. Die Ermittler konnten den Mafiosi aus Singen keine illegalen Aktivitäten nachweisen, sie bleiben also auf freiem Fuß.
Es ist kein Geheimnis mehr, dass die italienische organisierte Kriminalität längst in Deutschland angekommen ist. Trotzdem scheint es jedes Mal überraschend, wenn etwas passiert, das uns zwingt zu sehen, wie nah sie uns wirklich ist. Wie 2009 die Mafia-Taufe in Singen.
Die europäische Mafia?
Fast alle mafiösen Geschäfte werden inzwischen international abgewickelt. Zahlen des Landeskriminalamts Baden-Württemberg bestätigen: 92,7 Prozent aller Verfahren gegen organisierte Kriminalität richteten sich im Jahr 2016 gegen international agierende Tätergruppierungen. Tendenz steigend.
Das Auflösen von Grenzen – wie im Schengener Abkommen geschehen – ist ein leichter Schritt, von dem zunächst alle profitieren. Um jedoch zu verhindern, dass kriminelle Organisationen genauso aus der Grenzfreiheit ihren Profit schlagen, muss die Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden funktionieren. In der Realität stellen unterschiedliche Gesetzesgrundlagen, schlechte Kommunikationsstrukturen und fehlende Sprachkenntnisse Barrieren dar, die noch schwer zu überwinden sind. Zusammenarbeit sei essenziell, um die EU zu einem funktionierenden Konstrukt werden zu lassen, bestätigt Journalist, Autor und Vorsitzender des Vereins „Mafia? Nein, danke!“ Sandro Mattioli.
„Mafia? Nein, danke!“
Der in Berlin gegründete Verein setzt sich seit 2007 für die Aufklärung über die Machenschaften organisierter Kriminalität ein. Durch die Bereitstellung von Infomaterial beispielsweise für Schulen oder Fortbildungen und einem monatlichen Newsletter leisten die über hundert Mitglieder einen Beitrag zur Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung und damit zum Kampf gegen die Mafia.
Auch im Falle der Singener Mafiosi konnten die Ermittlungen nur durch internationale Zusammenarbeit funktionieren. Nachdem die deutschen Behörden ihre Erkenntnisse nach Italien weitergegeben hatten, konnte von dort aus im Jahre 2011 ein internationaler Haftbefehl ausgesprochen werden. 41 Personen wurden auf drei Kontinenten festgenommen – sechs führende Mafia-Mitglieder in Deutschland.
Die heutige Mafia agiert im Verborgenen
Laut dem „Organized Crime Portfolio“ des italienischen Instituts „Transcrime“ setzt die organisierte Kriminalität jährlich in Europa rund 110 Milliarden Euro um. Das ist mehr als der bayrische Automobilhersteller BMW. Und trotzdem ist sich der Großteil der europäischen Bevölkerung dessen nicht bewusst.
Die Mafia ist nicht mehr der Italiener im Nadelstreifenanzug mit Zigarre im Mundwinkel, Sonnenbrille und Hut. Sie hat sich weiterentwickelt – moderner, unauffälliger, charmanter. Die neuen Mafia Bosse sind Geschäftsmänner mit Seitenscheitel und Krawatte. Ihre Machenschaften sind schwerer zu durchschauen und ihr Opfer ist nicht mehr nur der Pizzabäcker aus Neapel, sondern der Staat, die Zivilgesellschaft, jeder Einzelne von uns. Sie verdient ihr Geld durch den Handel mit gefälschten Artikeln, Drogen, Waffen, in der Gastronomie, dem Baugewerbe, dem Transportwesen, durch Erpressungen und Subventionsbetrug.
Und die Europäische Union hat keine einheitlichen Regelungen entgegenzusetzen.
Ein europäisches Bewusstsein wäre ein erster Schritt auf dem Weg gegen organisierte Kriminalität. Eine Zivilgesellschaft, die Augen, Ohren und den Mund aufmacht, nähme der Mafia den Nährboden für ihre Geschäfte im Verborgenen.
Was kann ich gegen die Mafia tun? Drei Möglichkeiten, um die Mafia nicht zu unterstützen:
„Addiopizzo“
„Addiopizzo“ – „Tschüss Schutzgeld“ – ist eine Vereinigung von sizilianischen Restaurantbesitzern, die sich weigern, Schutzgeld zu zahlen. Isst man im Urlaub in ihren Geschäften – zu erkennen an dem „Addiopizzo“-Aufkleber an der Tür – kann man sich sicher sein, die Mafia nicht zu unterstützen.
„Libera Terra“
Lebensmittel mit der Aufschrift „Libera Terra“ („freies Land“) wurden auf Äckern angebaut, die der italienische Staat im Rahmen von Strafverfahren gegen die Mafia beschlagnahmt hat.
„Insieme si può“ LKA- Telefon
Das bilinguale Hinweistelefon des LKA „Insieme si può“ („Gemeinsam schaffen wir es!“) wurde eingerichtet, um Hinweise auf möglicherweise mafiöse Machenschaften aus der Bevölkerung entgegenzunehmen.