Krieg und Rabattcodes: Influencer*innen in der Krise
Am Morgen des 24. Februars sind Statements zum Ukraine-Krieg nur einen Swipe von Fotos morgendlicher Rituale wie Kaffee trinken, Yoga oder Skincare entfernt. Für Marie Johnson, Influencerin, Youtuberin und Gründerin des Fair-Fashion-Labels „maala“, ist es schwer zu entscheiden, was jetzt auf ihren Kanälen passieren soll. Marie erreicht mit ihrem Content hunderttausende Menschen. „Ich habe am Morgen eine belanglose Story gemacht und danach erst die Nachrichten gelesen. Dafür habe ich mich fast schon ein bisschen geschämt“, erzählt die Influencerin.
Die Themen auf Instagram verändern sich. „Man konnte sich mit Konsum, Good-Life und lustigen Instagram-Videos beschäftigen. Dann haben sich plötzlich brisantere Themen eingeschlichen“, so Pascal Hof, Gründer der Influencer-Marketing-Agentur „SchillerHof“. Das seien stark polarisierende und komplexe Themen, wie auch der Krieg in der Ukraine.
Ab wann ist man eigentlich Influencer*in?
Durch die Neuheit des Begriffs „Influencer*in“ hat sich bis jetzt keine einheitliche Definition durchgesetzt. Grundsätzlich kann man aber sagen: Ein*e Influencer*in ist eine vorher unbekannte Person, die durch Aufmerksamkeit auf einer Social-Media-Plattform eine treue Community aufgebaut hat. Durch das Vertrauen ihrer Community kann sie für Produkte, Dienstleistungen oder bestimmte Ansichten begeistern.
Quelle: Gabler Wirtschaftslexikon; Peter J. Fries „Influencer-Marketing“
Reichweite zum guten Zweck
Große Reichweite bewegt: Seit Beginn des Ukraine-Kriegs hat der Wohlfahrtsverband Caritas auf Instagram mithilfe von Influencer*innen über eine Million Euro Spenden gesammelt. Anlaufstellen für Sachspenden, Angebote zur Vermittlung von Unterkünften oder Spendenkonten von Hilfsorganisationen wurden über die Plattform verbreitet. Unter dem Hashtag #prayforukraine findet man mittlerweile über 500.000 Beiträge. Marie Johnson hat ebenfalls Initiative ergriffen: Über ihr Fair-Fashion-Label „maala“ hat sie eine Spendenaktion gestartet, um die ukrainischen Familien der Näher*innen ihres Labels zu unterstützen. „Mir ist es wichtig, mit meiner Reichweite etwas Sinnvolles zu tun, nicht immer nur zu unterhalten, sondern auch zum Nachdenken oder zum Handeln anzuregen“, begründet sie. Auf ihren Kanälen gehe es um Marie und um alles, was sie so beschäftigt. „Das ist dann tatsächlich ein buntes Potpourri an Fashion, Frühstück und dann ein bisschen Krieg“, erklärt Marie Johnson. Das klinge hart, sei aber ihre Realität.
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Fremde Freund*innen
Die Beziehung zwischen Influencer*innen und ihrer Community lebt von Authentizität, Nähe und Sympathie. „Das geht bis hin zu parasozialen Beziehungen. Man hat den Eindruck, man kennt diesen Menschen persönlich“, erläutert die Kommunikationswissenschaftlerin Halina Henn, die zu politischen Social-Media-Influencer*innen forscht. Haben Influencer*innen diesen Status einmal erreicht, kann deren Spendenaufruf den gleichen Effekt haben wie der Rat einer guten Freundin. Instagram ist mittlerweile mehr als reiner Zeitvertreib und wird für politische Information immer relevanter. Die Plattform ist für 18- bis 24-Jährige das wichtigste soziale Medium für den Konsum von Nachrichteninhalten, zeigt der Reuters Digital News Report. Neben Nachrichtenseiten teilen auch Influencer*innen Informationen über das aktuelle Geschehen oder produzieren sogar selbst Inhalte. „Studien zeigen, dass von Influencer*innen geteilte Nachrichteninhalte als vertrauenswürdiger wahrgenommen werden als die von Medien selbst geteilten Inhalte“, erklärt Halina Henn. Indem sie aktuelle Ereignisse kommentieren, führen Influencer*innen ihre Follower*innen an andere Informationskanäle heran.
Was zeichnet politische Social-Media-Influencer*innen aus?
Politische Social-Media-Influencer*innen sind Personen, die in Sozialen Netzwerken bekannt geworden sind und mithilfe von Selbstinszenierung eine Personenmarke entwickelt haben. Sie verbreiten regelmäßig selbst produzierte politische Inhalte und erreichen damit ein breites Publikum, das sie potenziell beeinflussen können.
Quelle: Halina Henn „Politische Social-Media-Influencer als Meinungsführer?“
In Krisenzeiten teilen zahlreiche öffentliche Personen ihre Meinung und werden damit schnell zu vermeintlichen Expert*innen. Influencer*innen wird diese Expertise von der Community selbst zugeschrieben. „Wenn ich eine Influencerin in ihrem Modegeschmack als vertrauensvoll verstehe, kann sich dieses Vertrauen auch auf politische Inhalte übersetzen“, erklärt Kommunikationswissenschaftlerin Henn.
Kritik kommt immer
Während die einen dem Ukraine-Krieg ihre Plattform geben, geht es bei anderen Influencer*innen wie gewohnt weiter. „Von Content-Creator*innen wird erwartet, dass sie direkt Stellung nehmen und nicht mit ihrem normalen Inhalt weitermachen, weil das ja total pietätlos wäre“, entgegnet Marie Johnson. Man vergesse dabei, dass Personen der Öffentlichkeit trotzdem auch private Personen seien, die sich mit gewissen Themen erstmal selbst auseinandersetzen müssen, so die Influencerin. Die Situation verunsichert viele Content-Creator*innen. Einige fragen ihre Community, wie sie mit dem aktuellen Geschehen auf ihrem Kanal umgehen sollen.
Follower*innen sind außerdem kritischer geworden. „Wir schauen genauer hin, was andere zu politischen Themen sagen“, meint Pascal Hof. Der Druck für Influencer*innen, alles richtig zu machen, sei damit gewachsen. In Zeiten von Krisen bieten Lifestyle-Influencer*innen gleichzeitig „eine Zone des Eskapismus und das ist ja auch eine wichtige Funktion“, erklärt Hof. Man müsse den Leuten die Möglichkeit geben, sich auch mit anderen Dingen zu beschäftigen.
Politisches Engagement je nach Anlass
Instagram ist politischer geworden, zeigt die Metastudie der Konrad-Adenauer-Stiftung. Wie viele politische Inhalte schlussendlich auf dem eigenen Bildschirm landen, entscheidet der Algorithmus. Das politische Engagement von Influencer*innen hingegen hat viel mit der aktuellen Lage zu tun. „Ein Krieg vor der eigenen Haustür ist sicherlich ein Grund dafür, sich politisch zu positionieren“, so die Kommunikationswissenschaftlerin Halina Henn. Für das Image von Influencer*innen im Allgemeinen könnte die Zuwendung zu gesellschaftspolitischen Themen auch eine Chance sein. „Influencer*innen können dadurch ernster genommen werden. Weg von den Personen, die nur Produkte in die Kamera halten und hin zu Menschen, die mit ihrer Verantwortung bewusst umgehen“, findet Pascal Hof. Die Balance zwischen normalem Content und gleichzeitig einer Krise gerecht zu werden, sei für Marie Johnson die größte Herausforderung. „Es ist total wichtig, sich verantwortungsbewusst mit der eigenen Reichweite zu verhalten. Man muss aber verstehen, dass auch das ein Job ist und es irgendwo weitergehen muss“, macht die Influencerin deutlich. Die sonst sehr positive Welt der Influencer*innen kommt an Krisen und Krieg nicht vorbei. Für die digitalen Meinungsführer*innen ist der Umgang damit eine Gradwanderung.