Klicken wir uns das Klima kaputt?
Plastikmüll, Fleischkonsum, Autofahren: Die üblichen Verdächtigen im Kampf gegen den Klimawandel sind bekannt. Der CO2-Fußabdruck im Netz wirkt hingegen fast unsichtbar. Eine Google-Anfrage hier, eine WhatsApp-Nachricht da: Die Nutzung des Internets gehört für 57 Millionen Deutsche zum Alltag dazu. Mit der Digitalisierung und dem „Internet der Dinge“ wächst die Datenmenge stetig, die über unseren Planeten wandert. Dafür braucht das Netz vor allem eines: eine Menge Strom.
Das Herzstück des Internets
Bei der Koordination dieser Datenmengen spielen Rechenzentren eine zentrale Rolle. Das sind Orte, an denen Computer Tag und Nacht auf Hochtouren arbeiten. Die Lieblingsplaylist auf Spotify oder die Urlaubsbilder in der Cloud: Jeder Klick im Internet landet hier. Allein in Deutschland gibt es über 3.000 Rechenzentren. Dabei erreichen die größten unter ihnen eine Fläche von neun Fußballfeldern. Diese Datenzentren beherbergen Millionen von Servern. Ihr Job: die gespeicherten Daten auf Anfrage an die angebundenen Geräte zu vermitteln – in Echtzeit.
Die Rechenzentren benötigen für ihren Betrieb sowie den Datentransport eine Menge Energie. Zudem geben die Server Wärme ab. Die Serverräume müssen konstant auf 18 bis 27 Grad abgekühlt werden, um mögliche Ausfälle zu vermeiden. Nur selten können die Betreiber*innen die Abwärme bisher weiternutzen. 14,9 Terawattstunden Strom verbrauchten deutsche Rechenzentren im Jahr 2019, zeigt ein Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages. Ein Anstieg von 45 Prozent gegenüber dem Jahr 2010. Zum Vergleich: Das ist etwa doppelt so viel Strom, wie die Stadt München im Jahr verbraucht.
Dabei hängt die Herkunft des Stroms von den Betreiber*innen und den örtlichen Gegebenheiten ab. Das Manko: Kohle- und Atomenergie machen noch immer einen großen Teil der Energieversorgung aus. Greenpeace veröffentlichte 2017 in der Studie „Clicking Green“ die Herkunft des Stroms der weltweit größten IT-Unternehmen. Am schlechtesten schnitten das chinesische Internet-Unternehmen Tencent und die Suchmaschine Baidu, das chinesische Pendant zu Google, ab. Beide bezogen etwa zwei Drittel ihres Stroms aus Kohlekraftwerken. Verbesserungspotential gibt es auch in Deutschland. In einer repräsentativen Umfrage erkundigte sich der Digitalverband Bitkom im Jahr 2021 über getroffene Maßnahmen zur Erhöhung der Nachhaltigkeit. Das Fazit: Nur wenige Rechenzentren planten oder setzten entsprechende Strategien um, wie etwa der Betrieb mit 100 Prozent Ökostrom.
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Besonders zu Buche schlagen laut einer Studie des französischen Think-Tanks „The Shift Projekt“ Videodateien im Internet. Im Jahr 2018 wurden dadurch etwa 300 Millionen Tonnen Co2 ausgestoßen. Der größte Teil davon sind Videos on Demand, die beispielsweise in Mediatheken verfügbar sind. Das Streamen des Film-Klassikers „Titanic“ stößt demnach etwa die gleiche Menge Treibhausgase aus wie eine 38 Kilometer lange Autofahrt. Marina Köhn, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Umweltbundesamt im Bereich Green IT, sagt dazu: „Nicht die Übertragung der Daten und nicht die Aufbereitung im Rechenzentrum stellt hier den Löwenanteil, sondern das private Heimnetz.“ Also dort, wo alle netzwerkfähigen Endgeräte mit dem Internet verbunden sind. „Wesentlich ist die Größe des Monitors. Je größer der Monitor, desto mehr Energie verbraucht er. Auch die Auflösung der Videos spielt eine große Rolle.“
Das Streamen eines Blockbusters auf Netflix in Ultra-HD (3840 x 2160) verbrauche etwa zehnmal mehr Daten als in mittlerer Qualität (1280 x 720), errechnete das Umweltbundesamt. Zum Datenverkehr der Bewegtbilder gehören neben Streaming auch pornografische Inhalte, Werbevideos, Kurzvideos in sozialen Netzwerken, Tubes und Videotelefonie.
Das kurze Leben von Smartphone, Laptop und Co.
Neben Surfen und Streaming belastet die Herstellung und Entsorgung der Geräte die Umwelt. „Den größten Klimaeffekt erzielen wir, wenn wir Geräte einfach länger nutzen“, weiß die Green-IT-Expertin. Etwas mehr als drei Jahre ist ein Smartphone durchschnittlich der ständige Begleiter – und verschwindet dann oft in der Schublade. Hochrechnungen zufolge bunkern Deutsche über 200 Millionen Alt-Handys zu Hause. Gleichzeitig wächst die Menge an Elektroschrott jährlich um drei bis fünf Prozent.
Durch längere Nutzung lässt sich der Verbrauch von seltenen Metallen, Erden, Chemikalien und Wasser verringern, die für die Geräte gebraucht werden. Ein durchschnittlicher Computer benötigt bei seiner Herstellung so viel Energie wie in zehn Jahren Betriebsdauer. Hinzu kommt das Stichwort Software-Obsoleszenz: Die Software bestimmt, wie lange das Produkt genutzt werden kann. Zum Beispiel, weil Hersteller keine Updates zur Verfügung stellen. „So werden langlebige Güter plötzlich kurzlebig“, erklärt Köhn.
So soll die digitale Zukunft grüner werden
Der Fortschritt der Digitalisierung birgt trotz allem viele Chancen. Neue Technologien könnten über ein Drittel dazu beitragen, dass Deutschland seine Klimaziele für 2030 erreicht. In allen Wirtschafts- und Lebensbereichen können dadurch Treibhausgasemissionen reduziert werden. Voraussetzung dafür ist es, leistungsfähige digitale Infrastrukturen wie Rechenzentren und Breitbandnetze auszubauen. Gleichzeitig gilt es, den Co2-Ausstoß gering zu halten.
Politische Akteur*innen wollen diese Entwicklung vorantreiben. In dem am 19. April 2023 verabschiedeten Energieeffizienzgesetz sind Ziele zur Senkung des Energieverbrauchs formuliert. Bis zum Jahr 2030 sollen so in Deutschland 550 Terawattstunden Energie eingespart werden. Ein Abschnitt richtet sich konkret an Rechenzentren.
Energieeffizienzgesetz (Rechenzentren: §§ 11 bis 15)
In einem Stufenplan sind hier Vorgaben vermerkt. Die wichtigsten Punkte:
- Genaue Werte zur Energieeffizienz der Rechenzentren
- Strengere Auflagen zur Luftkühlung
- Einrichtung eines Systems zum Energie- oder Umweltmanagement
- Transparenz schaffen mit Energieeffizienzregister
- Vermeidung oder Weiternutzung der Abwärme
Die grüne Infrastruktur des Internets liegt zu einem großen Teil in den Händen der Organisationen und der Politik. Dennoch trägt das eigene Verhalten einen Teil dazu bei. Interessierte können sich mit dem „Carbonalyser“ einen Überblick über ihre Klimabilanz beim Surfen verschaffen. Die Browsererweiterung von „The Shift Project“ bewertet den Energieaufwand während der Internetnutzung und rechnet den verursachten Co2-Ausstoß in gefahrene Autokilometer um.
Kleine Dinge lassen sich bereits im Alltag umsetzen: gemeinsam streamen, die Autoplay-Funktion ausschalten oder einfach mal das Smartphone zur Seite legen. Eine geringere Auflösung und ein kleinerer Monitor sparen in der Regel immer Energie. Bilder und Mails ausmisten erleichtert die Cloud – und somit die Rechenzentren. Nicht nur Plastikmüll, Fleischkonsum und Autofahren treiben den Klimawandel voran. Für eine nachhaltigere Zukunft braucht es auch einen bewussten Umgang mit dem Internet und seinen Geräten.