Natur

WWOOF – Landwirtin auf Zeit

20. Mai 2021
Weg vom PC und raus in die Natur: Mit WWOOF kann man auf ökologischen Höfen mithelfen und so die Landwirtschaft kennenlernen. Weltweit vernetzt der Verein naturverbundene und wissensdurstige Helfer mit ökologischen Höfen.

Es wird langsam hell im Zimmer, doch alle im Bauernhaus schlafen noch. Ich schlüpfe in meine Gummistiefel und schleiche über den Hof. Auf einem mit Tau bedeckten Hang bleibe ich stehen und mir stockt der Atem: Das Kaisergebirge erstreckt sich am Horizont und die Sonne kommt hinter dem Gebirge zum Vorschein. Ich atme die kalte, feuchte Luft tief ein und genieße diesen Moment. Erwärmt von den ersten Sonnenstrahlen des Tages öffne ich die Stalltür, wo die Kühe und Pferde langsam erwachen. Ein murmelndes „Guten Morgen" richte ich an den Landwirt Sepp und einen Helfer, die schon fleißig die Tiere füttern. Ich nehme die Heugabel in die Hand und packe mit an.

So startet jeder Tag meiner Semesterferien auf einem Bergbauernhof in Oberaudorf, Bayern. Dort durfte ich als WWOOFerin das Alltagsleben im Frühjahr auf dem ökologischen Hof kennenlernen.

WWOOF bedeutet World Wide Opportunities on Organic Farms. Der Verein ermöglicht es freiwilligen Helfern weltweit den Lebensalltag auf ökologischen Höfen kennenzulernen. Das Prinzip basiert auf einem freiwilligen, geldlosen Austausch und Vertrauen. WWOOFer*innen helfen bei der Arbeit auf dem Bauernhof, im Gegenzug bieten die WWOOF-Höfe einen Schlafplatz und Verpflegung. Beide Seiten profitieren von dem gegenseitigen Wissens- und Erfahrungsaustausch und erweitern zudem ihr kulturelles Verständnis.

Jeder bringt seine Fähigkeiten ein

Erst nachdem die Kühe, Pferde, Schafe, Katzen und Hunde versorgt wurden, trifft sich die Familie und alle helfenden Hände am Frühstückstisch. Bei duftendem Brot und selbstgemachter Himbeer-Marmelade wird der heutige Tagesablauf geplant. Neben mir gibt es auf dem Bergbauernhof einen weiteren WWOOFer aus Niedersachen. Der 27-jähriger möchte lernen, wie man Bäume fällt und fährt mit Sepp, dem Land- und Forstwirt, in den Wald. Die Landwirtin Steffi und ich wollen einen neuen Zaun auf der Alm bauen, während die Großmutter mit ihrem Enkel das Mittagessen vorbereitet.

Die Ponys sollen im Frühjahr auf der Alm weiden, da sie sich beim Grasen ideal als „Landschaftspfleger" eignen. Dafür ziehen Steffi und ich einen Zaun am Rand der Alm. Währenddessen erklärt Steffi mir, welche Kräuter und Heilpflanzen man in der Heilmedizin für Tiere und Menschen einsetzen kann.

Islandponys eignen sich auf Grund ihrer Trittsicherheit optimal als Landschaftspfleger in den Bergen.

Raus in die Natur

Durch den tristen Alltag vor dem Computer während des Lockdown Winters war ich für eine Auszeit in der Natur überfällig. Also meldete ich mich auf der Webseite von WWOOF Deutschland an und trat dem ehrenamtlichen Verein bei. So bekam ich den Zugang zur Hofliste, auf der alle Profile der Höfe in Deutschland detailliert aufgeführt sind.

Die Organisation WWOOF Deutschland gründete sich 1992, erklärt mir Siggi Truppel, 2. Vorsitzender und Hofbetreuer des WWOOF Vereins Deutschlands. Jeder einzelne Hof wird vom Verein geprüft und nur bei Erfüllung bestimmter Kriterien in die WWOOF-Liste aufgenommen. Aktuell verbindet WWOOF Deutschland 521 ökologische Höfe mit 3.259 WWOOFer*innen aus der ganzen Welt in Deutschland.

Was bedeutet WWOOF für dich, Siggi?

Laut Siggi gehe es bei WWOOF darum, Wissen untereinander weiterzugeben in einer guten Atmosphäre mit Familienanschluss. Zudem sei WWOOF eine Lebensphilosophie, die auf Respekt gegenüber der Natur und den unterschiedlichen Menschen basiert.

„30-40% der WWOOFer*innen sind junge Menschen, die davon träumen eines Tages selbst einen WWOOF-Hof zu betreiben, um ihr Wissen zu erweitern.“

Siggi Truppel

Beim Stöbern in der Hofliste entdeckte ich verschiedenste ökologische Höfe in ganz Deutschland: Von Imkereien, Nutztierhaltungen und Straußenfarmen über Selbstversorger hin zu Kräutergärtnereien oder Kommunen findet man für jeden Interessensbereich den richtigen Hof.

Ich suchte mir den spannenden Bergbauernhof aus – 880 km von meiner Heimat entfernt, gelegen auf 1.000 m über dem Meeresspiegel. Bei einem Telefongespräch lernte ich die Familie kennen. Wir tauschten unsere gegenseitigen Erwartungen von meinem Besuch aus – schnell war klar: Ich hatte meinen WWOOF-Hof gefunden. Kurz darauf packte ich Arbeitsklamotten ein und stieg mit einem negativen Corona Test in den Zug.

Gemeinsam schafft man mehr

Steffi und ich sind am Ende des Ponyzauns angekommen und betrachten unser Ergebnis. Es ist ein erfüllendes Gefühl, ein Projekt gemeinsam umzusetzen, dessen Ergebnis haptisch und handfest ist. Nach erledigter Arbeit stärkt sich die Familie am Mittagstisch. Die Zufriedenheit zeigt sich an den leeren Schüsseln und der zurückgelehnten Haltung.

Ich setze mich raus und genieße die Mittagssonne auf der Holzbank vor dem Bauernhaus. "Es ist sehr warm für den Februar", erzählt mir Sepp, der Landwirt des Hofes. "Normalerweise ist es zu dieser Zeit keine 16 Grad und die Hauswand mit Schnee bedeckt. Aber der Schnee wird nochmal kommen." meint er. Die Bauernfamilie wurde im 15. Jahrhundert erstmals erwähnt. Seitdem ist der Hof im Familienbesitz und Sepp ist stolz seinen Hof mit den umliegenden Wäldern und Almen in den Bergen bewirtschaften zu können. Die rund zwanzig Mutterkühe verbringen den Sommer gemeinsam mit ihren Kälbern und den Pferden auf der Alm. Im Winter sind alle Tiere am Hof im Stall und werden mit Heu aus Gräsern und Kräutern gefüttert.

Am Nachmittag ist Teamarbeit gefragt: Das Heu, welches noch vom letzten Jahr auf der Wiese liegt, soll trocken in den Heuspeicher gebracht werden. Gemeinsam kehren wir das Heu zusammen, wohlgemerkt mit Hand und Rechen. Sepp sammelt das Heu mit dem Traktor ein und lädt es in dem Heuspeicher ab. Geschafft.

Gemeinsam zum Ziel: Jeder kehrt von einer Seite das Heu auf einen Haufen.
Tiere und Menschen leben im Einklang mit der Natur und genießen den Ausblick.
Die ganze Familie hilft mit: Katharina und Landwirt Sepp mit seinem Sohn füttern die Kühe..
In der Freizeit wanderte ich auf den Wildbarren, die Hunde immer dabei.

Helfer aus aller Herren Länder

Die gemeinsame Ernte erinnert mich an meine Heimat. Denn das WOOFing Konzept ist mir nicht ganz neu. Ich bin selbst auf einem Milchviehbetrieb im Norden Hamburgs aufgewachsen. So ein Hof bedeutet viel Arbeit das ganze Jahr, welche man am besten mit vielen Händen bewältigt. Daher haben seit 2016 über vierzig freiwillige Helfer aus der ganzen Welt mitangepackt. Ein Student aus Chile, Freundinnen aus Californien, Mutter und Sohn aus Berlin, ein Paar aus Frankreich…

Eine von ihnen ist Bentje aus Baden-Württemberg, die bereits auf mehreren Höfen „gewwooft" hat. Nach dem Abitur wollte sie zunächst praktische Erfahrungen sammeln, bevor sie sich für den Beruf als Landwirtin entscheidet. Bentje genießt es, beim WWOOFing in den landwirtschaftlichen Alltag eingebunden zu werden, ohne die gesamte Verantwortung zu tragen.

„Es ist, als würde man in einen schönen Film hineinschlüpfen, der zeigt, wie Menschen auf dem Hof leben. Man ist mitten im Geschehen dabei.“

Bentje Bossert

Leuten, die WWOOF einmal ausprobieren wollen, rät sie Offenheit für Neues, Geselligkeit und Freude am draußen sein. Man solle sich vorher genau überlegen, was man erleben und lernen möchte, um den richtigen Hof auszuwählen.

Ein Austausch der bereichert

Nach der abendlichen Versorgung der Tiere gesellen sich alle am Küchentisch zusammen. Bei einer wohlverdienten Brotzeit erzähle ich vom Alltag auf dem Hof, auf dem ich aufgewachsen bin. Verglichen mit dem Bergbauernhof gibt es einige landschaftliche und kulturelle Unterschiede. Zudem tauschen wir uns über die verschiedenen Herausforderungen der Regionen in der Landwirtschaft aus.

Sepp zeigt uns Bilder von früher, auch Bilder von seinen geliebten Kühen, wie sie im Sommer zufrieden auf der Alm weiden. So werden noch bis spät in den Abend Geschichten erzählt und gelacht…

Nach einem ereignisreichen Tag falle ich ins Bett und freue mich schon auf den Sonnenaufgang am nächsten Morgen.

Auf dem Weg zurück in meine Heimat denke ich an meine Zeit auf dem Hof zurück: Es war definitiv kein romantischer Urlaub, wie ihn sich viele vielleicht vorstellen. Dafür habe ich verstanden, wie viel Verantwortung und Ausdauer speziell bei einem Hof auf 1000 m Höhe anfallen. Die Belohnung: viel Freiheit, Natur und Spaß am gemeinsamen Arbeiten. Neben Wissen und Erfahrungen zum nachhaltigen Leben mit der Natur habe ich gute Freunde dazu gewonnen.

Naturphänome wie ein Sonnenaufgang belohnen einen für die harte Arbeit in der Landwirtschaft.