Wenn Pferdemädels erwachsen werden
"Ich merke, ich komme manchmal an meine Grenzen, wo ich mir unsicher bin oder ängstlich werde. Der Druck ist groß, weil ich mir denke, ich muss unbedingt abliefern." - Christina Laterza
Es ist ein warmer, sogar schon heißer Tag am Rande der Gemeinde Ketsch, in der Nähe von Mannheim. Es riecht ländlich und frisch, keinesfalls schlecht, ich finde, es riecht gut. Ich laufe an einem Feld entlang, auf einem gepflasterten langen Weg, bis ich an ein großes, dunkelgrünes Tor komme. Dort erwarteten mich drei bellende, schwanzwedelnde Hunde. Zwischen den drei Hunden am Tor steht Ann-Sophie 25, Springreiterin. Sie trägt ein typisches Reiteroutfit: Dunkelblaues Oberteil, schwarze Reiterhose, schwarze Glitzerstrümpfe, weiße Sneaker und die dunkelblonden Haare zu einem Zopf gebunden.
Ann-Sophie reitet schon, seitdem sie sechs Jahre alt ist. Der Hof gehört ihr und ihren Eltern. Ich komme in einen großen Innenhof, laufe links den Hof hinunter und treffe auf die blondhaarige Christina, 33. Sie ist Dressurreiterin und etwas kleiner als Ann-Sophie. In schwarzer Reiterhose, beigen Oberteil und Reiterboots begrüßt sie mich lächelnd. Auch sie reitet, seitdem sie klein ist. Die drei Hunde laufen immer noch um uns herum. Die beiden Frauen wirken entspannt, fast ausgelassen. Letztes Wochenende waren sie noch auf einem Turnier. Sie leben für die Pferde. Doch was bringt das Leben als Reiterin mit sich?
Wir gehen den Gang des ersten Stalls hinunter. Ann-Sophie zeigt mir als erstes stolz ihre drei Pferde. Sie öffnet die Box zu einem ihrer Pferde, es ist riesig, doch ganz ruhig. Ann-Sophie züchtet ihre Pferde selbst. „Das hier ist das Fohlen.“ Es ist bereits groß, fast so groß wie die Mutter. Die Stute steht in der Box daneben. Ann-Sophie bekam ihr erstes Pferd, als sie 12 Jahre alt war, es heißt Linda. Linda ist ein Springpferd in den Klassen E bis S. Ann-Sophie reitet alle Springklassen. Christina hingegen reitet Dressur auf M-Niveau.
Die Schwierigkeitsgrade beim Reiten werden in fünf Klassen unterteilt: Klasse E Einsteiger, Klasse A Anfänger, Klasse L leicht, Klasse M mittelschwer und Klasse S schwer. Je nach Disziplin wird weiter unterteilt.
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Wir laufen den Gang wieder zurück, über den Innenhof, zu einem weiteren Stall. Christina zeigt mir ihre Pferde. Sie verdient kein Geld mit dem Sport, anders als Ann-Sophie. Christina erzählt mir, dass dies durchaus mit Druck verbunden ist. Züchter*innen geben ihre Pferde in Christinas Obhut. Sie muss die Pferde dann ausbilden und auf Turnieren vorstellen.
Christina zeigt mir ihr Pferd Filou, ebenfalls ein großes Pferd mit dunklem Fell. Die Hoffnung vom Züchter in Filou war groß. Er war ein schnelles Pferd, doch Filou wurde krank und die Hoffnung verflog. „In der kurzen Zeit, die ich habe, um die Pferde auszubilden, versuche ich das Beste zu leisten, das hat leider nicht immer so geklappt“, erzählt sie mir und schaut ihr Pferd dabei an. „Filou darf jetzt sein Leben auf der Koppel genießen.“
Wir laufen wieder den Gang des Stalles entlang. Ann-Sophie läuft vor, Christina neben mir. Den Hof gibt es seit Februar 2018, erzählt mir Ann-Sophie, als wir an der Koppel vorbeilaufen und einen großen Logierplatz mit Sand betreten. „Hier vorne reitet Christina Dressur und hier um die Ecke ist der Sprungplatz“, zeigt mir Ann-Sophie.
Große Höfe sind nicht immer ein Vorteil
Laut einer Studie des Marktforschungsunternehmens IPSOS sind die meisten aktiven Reiter*innen vorwiegend weiblich, im Durchschnitt 38 Jahre alt, gut ausgebildet und meistens voll- oder zumindest teil-berufstätig. Für die meisten sind die enge Beziehung zum Pferd und die Naturverbundenheit Gründe, um Reitsport zu betreiben. Wir stehen in der Sonne zwischen Sprung- und Dressurplatz. „Wir sind schon eher ein Springlastiger Stall, aber wir haben hier eigentlich alles, auch Freizeitreiter“. Ann-Sophie klinkt sich ein: „Aber nicht so viele Turnierreiter.“ Der Stall hat „nur“ 20 Pferde. Ann-Sophie und Christina finden es gemeinschaftlicher, wenn die Stallungen nicht so groß sind, es ist entspannter, freundschaftlicher und familiärer.
Christina ist froh, auf einem kleineren Hof zu reiten. Auf größeren Höfen gibt es die sogenannten Bandenprofis, das sind Leute, die an der Bande stehen und alles besser wissen. „Sie meinen es nicht böse, aber wenn man selbst im Turnierdruck steckt, sieht es das meistens ein bisschen anders aus. Es ist nun mal ein Lebewesen und kein Tennisschläger, das Pferd funktioniert nicht auf Knopfdruck“, erzählt mir Christina, Ann-Sophie nickt. Wir laufen zu dritt vom Reitplatz zurück in den Innenhof.
Wir kommen an einem etwas dunkleren Gang an der Seite des Stalls an. Dort sind bunte Schleifen von Turnieren in Bilderrahmen, 20 vielleicht auch 30 hängen in den Rahmen. Auf Augenhöhe sticht eine orange-gelbe Schleife ins Auge, die in Ann-Sophie's Sattelkammer hängt. Das war Ann-Sophies erstes Turnier mit Linda. Zudem war es ihr erstes E-Springen überhaupt, welches sie gewann. „Die erste Schleife behält man irgendwie immer“, lacht sie. Die Schleife ist beschriftet mit den Daten des Turniers.
Druck verspürt Ann-Sophie, wenn sie von Turnieren kommt, die nicht so gut gelaufen sind. „Wenn ich von Turnieren nach Hause komme und sage: Es lief schlecht, wie soll ich es den anderen erklären, wie es geht, wenn ich es selbst nicht hinbekommen habe“.
Wir laufen zurück zu den grauen Gartenmöbeln und setzen uns. Die drei Hunde begleiten uns auf Schritt und Tritt. Christinas Ziel ist es platziert zu werden, da sie junge Pferde reitet, doch ein größerer Erfolg für sie ist, wenn das Pferd lieb und ruhig läuft. „Ich fahre nicht los und denke mir ich muss jetzt platziert sein, sonst wäre es falscher Ehrgeiz“. Früher war der Druck auf Turnieren der beiden Reiterinnen größer. „Früher war ich deutlich ehrgeiziger, eher zu ehrgeizig, vor allem der Schritt in die Selbstständigkeit, da willst du es allen zeigen“.
Es ist nicht viel los heute auf der Anlage. Die Autobahn, die ein paar Kilometer von dem Hof entfernt ist, ist ganz leicht zu hören. Die IPSOS hat zudem in ihrer Studie herausgefunden, dass Reiter*innen überwiegend in Orten unter 100.000 Einwohnern leben. Der geringste Teil lebt in Großstädten. Das Haushaltsnettoeinkommen liegt zum Teil deutlich über dem bundesdeutschen Durchschnitt.
Ann-Sophie ist so gut wie jeden Tag auf dem Hof, Christina kommt immer nach der Arbeit, um nach ihren Tieren zu sehen. Beiden Frauen ist es wichtig, dass die Pferde trotz der Leistung, die sie erbringen sollen, artgerecht gehalten werden. Christina möchte, dass ihre Pferde Abwechslung bekommen, am besten so viel Bewegung wie möglich. Ann-Sophie möchte das auch. Eine komplette, offene Haltung ist nicht für jedes Pferd geeignet. „Ich will, dass mein Pferd rauskommt, aber über Nacht in ihrer Box steht.“
Christina hat bereits andere Erfahrungen auf Höfen gemacht. Christina erzählt: „Es gab auch mal Ställe, da bin ich gegangen. Da war die Haltung der Pferde nicht kompatibel mit meiner Einstellung. Es gibt Ställe, die sehr auf Freizeitreiten ausgelegt sind. Da ist man dann als ambitionierter Sportmensch, diejenige, die nicht so reinpasst. Auf der anderen Seite gibt es die Extremsportställe, bei denen die Pferde gar nicht auf die Wiese gehen. Es ist schwierig, eine Balance zu finden. So wie es aktuell ist, ist es okay für mich.“
Der Olympia-Skandal ließ die Reiter*innenwelt nicht kalt
Die Sonne ist schon hinter der Reithalle verschwunden und wir sitzen immer mehr im Schatten. Etwas, das Christina und Ann-Sophie belastet, ist die Berichterstattung über den Reitsport. Vor allem geprägt von dem Vorfall der Olympiade 2021. Das Reit-Drama um Annika Schleu und ihr verweigerndes Pferd, Saint Boy, führte zum Olympia-Ausschluss von Bundestrainerin Kim Raisner, die dem Tier mutmaßlich einen Faustschlag verpasst hatte.
Die Reiterinnen werden ernst. „Ich habe die Reiterin verstanden, der Druck, den sie hatte, war enorm.“ Christina hält inne. „Die Umstände waren sehr schlecht. Die Trainerin hätte einen kühlen Kopf bewahren müssen“. Ann-Sophie fügt hinzu: „Schlimm, dass die eine Person dafür verteufelt wurde. Es gibt deutlich schlimmere Leute. Man hätte an die Verantwortlichen gehen müssen“. Die beiden Reiterinnen schauen sich an. „Der Reitsport steht hart in der Kritik, ich finde es gut, dass hingeschaut wird. Dass man die Menschen aber so auseinanderpflückt, finde ich schwierig“, gibt Christina offen zu.
Die beiden Reiterinnen reiten schon seit Jahren. Sie wissen, was der Reitsport mit sich bringt und was es heißt, Pferde zuhalten. Christina und Ann-Sophie wünschen sich für die Zukunft, dass weniger schnell kritisiert wird, denn alle versuchen ihr Bestes zu geben. „Am Ende des Tages zahlen wir sehr viel Geld dafür und wir wollen alle nur das Beste für unsere Pferde“, rundet sie das Thema ab. Wir stehen auf und stehen ein paar Minuten in der Sonne. Es ist nun schon Nachmittag und ich verabschiede mich von Ann-Sophie, Christina und den Hunden. Ich gehe aus dem großen dunkelgrünen Tor, mit dem Gefühl, dass der Reitsport ein wunderschöner Sport ist, der aber nicht unterschätzt werden sollte. Denn er bringt oft mehr mit als nur Training und Turniere.