Verstaubte Seiten, Moderne Zeiten: Warum Schullektüren veraltet sind
Ein Blick auf die Lektüreliste während meiner Schulzeit zeigt Folgendes: Neben Faust, „Wilhelm Tell“ und „Steppenwolf“ reihen sich altbekannte Titel, wie „Der goldene Topf“, „Nathan der Weise“ oder „Maria Stuart“ ein. Wunderschön verpackt in einem kleinen, gelben „Reclam“-Buch. Dieser Anblick hat in mir nicht unbedingt Freude geweckt, denn die nächsten Stunden wurden immer zur absoluten Qual. Selbst wenn man das Buch nicht gelesen hat, und meiner Meinung nach haben viele das sowieso nicht getan.
Veraltete Sprache und überholte Themen
Die Sprache dieser Lektüren ist meist veraltet und schwer verständlich. Ich hätte ohne Lernvideos, in denen die Geschichte einfach und verständlich mit Playmobil-Figuren nacherzählt wurde, nicht begriffen, worum es geht. Und selbst damit habe ich die Message des Buches oft trotzdem nicht verstanden. Was wollte mir Sophokles mit „König Ödipus“ sagen? Eine Geschichte, in welcher der König von Theben seinen Vater tötet und seine Mutter heiratet, wie es von einem Orakel prophezeit wurde. Dass Inzucht in Ordnung ist und wir uns keine Gedanken machen sollten, wenn wir uns zu unserer eigenen Mutter hingezogen fühlen? Es kann sein, dass das 429 v. Chr. kein großes Ding war, aber ob das Werte sind, die man Jugendlichen in der Schule vermitteln sollte? Denn am Ende ist mir nur das in Erinnerung geblieben und nicht die zentralen Themen, um die es in dem Stück geht.
Natürlich ist nicht jedes Hauptthema dieser Geschichten veraltet. Liebe, Freundschaft und Selbsterfüllung sind alles Themen, die auch heute noch aktuell sind, und auch mit den Protagonist*innen kann man sich teilweise identifizieren. Aber es fehlen ganz eindeutig die Probleme und Themen, mit denen sich die Gesellschaft aktuell beschäftigt. Die Gleichstellung von Mann und Frau zum Beispiel. Denn noch gibt es diese nicht, wie man am „Gender Pay Gap“ feststellen kann. Oder Themen wie Klimaschutz und Digitalisierung. Die Welt verändert sich rund um diese Themen, und deswegen wäre es wichtig, dass dies auch in den Lektüren reflektiert wird, die man liest.
Was uns Lektüre zu bieten hat
Aber nicht jedes Buch, welches ich während meiner Schulzeit gelesen habe, hatte keinen Mehrwert. „Der Junge im gestreiften Pyjama“, gab mir in der achten Klasse neben dem Geschichtsunterricht einen ersten Einblick in die Zeit des Nationalsozialismus. Auch „Mario und der Zauberer“ war ein interessant, denn Thomas Mann schuf mit dem Zauberer „Cipolla“ einen Charakter, der viele Ähnlichkeiten zu Adolf Hitler hat. Er hypnotisiert Menschen in seiner Vorstellung und hat so vollkommene Kontrolle über sie. Es war faszinierend, das zu lesen, wenn man überlegt, dass diese Novelle vier Jahre vor der Machtergreifung Hitlers erschienen ist.
Ich denke schon, dass diese Bücher einfach zur Weltliteratur gehören und Kulturgut sind. Man sollte sie in gewissem Maße auch weiterhin lesen. Aber genauso muss man mit der Zeit gehen. Es gibt aktuelle Themen, die wichtig sind und die in diesen „Klassikern“ nicht behandelt werden. Genauso muss man bei den Autoren vorgehen, die man wählt. Von den zwölf Lektüren, die ich während meiner Schulzeit gelesen habe, sind elf von Männern geschrieben und nur ein einziges von einer Frau. Das kann in einer Zeit, in der wir zum Beispiel durch geschlechtsneutrale Lehrmaterialien versuchen, größtmögliche Geschlechtergleichstellung zu erreichen und das auch dem Nachwuchs mitzugeben, einfach nicht sein.
Es würde also nicht schaden, ein paar der Lektüren durch aktuellere Werke auszutauschen. „Tschick“ von Wolfgang von Herrndorf dreht sich um zwei Jugendliche, die ein Roadtrip-Abenteuer erleben. Das Erwachsenwerden und familiäre Probleme sind die zentralen Themen, und daher würde sich das Buch gut für das Lesen in der Schule eignen. Ein Buch, das gut zu den gesellschaftlichen Auswirkungen von Digitalisierung passt, ist George Orwells „1984“. Dieser Roman dreht sich um einen totalitären Staat und die Kernthemen sind Unterdrückung, Überwachung und Manipulation. Auch für Klimaschutz gibt es interessante Bücher, wie „Deutschland 2050“, das beschreibt, wie unser Leben sich durch den Klimawandel verändern wird und wie man sich Deutschland im Jahr 2050 vorstellen kann. Über den Tellerrand hinausblicken schadet nie, so auch nicht bei der Wahl der Schullektüren.
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