„Es geht darum, den Menschen einen Raum zu bieten, in dem sie sich entfalten können.“
Vielfalt feiern, sicher tanzen
Mitten in der Nacht pulsiert der Beat des „Studio Gaga“ im Herzen Stuttgarts. Neonlichter tanzen über strahlende Gesichter. Menschen in schillernden Outfits bewegen sich ausgelassen zur Musik. Ein Ort, an dem die queere Community Sicherheit findet, frei von Ängsten, die den Alltag vieler noch immer prägen. Wie dringend solche Orte gebraucht werden, zeigt ein Blick auf die Zahlen: Die LGBTI-Survey aus dem Jahr 2019 liefert ein klares, wenn auch erschreckendes Bild.
Die LGBTI-Survey gilt als größte internationale Befragung von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen. 44 Prozent der Befragten berichten in den letzten 12 Monaten in über acht Lebensbereichen aufgrund ihrer sexuellen Identität diskriminiert worden zu sein. 21 Prozent der Befragten gaben an, dass sie in einem Café, Restaurant, einer Bar oder in einem Club Opfer von Diskriminierung wurden. Gerade deshalb sind Queer Clubs so bedeutsame Orte für die LGBTQIA+ Community. Hier herrscht Akzeptanz, nicht Ausgrenzung. Ihre Bedürfnisse, Neigungen und Wünsche finden Zuspruch, statt stigmatisiert zu werden. Sie werden nicht nur geduldet, sondern gefeiert – als der Mittelpunkt eines sicheren und freien Raumes.
Während in Berlin das Angebot an solchen Clubs und Bars sehr groß ist, gab es in Stuttgart bisher nur vereinzelte Bars und Queer-Parties. Mit dem „Studio Gaga“ wurde Ende 2023 ein Club in Stuttgart gegründet, der speziell für die LGBTQIA+ Community ausgelegt ist. Es geht darum, den Menschen einen Raum zu bieten, in dem sie feiern gehen und sich entfalten können, ohne Angst zu haben, erklärt er. Das Team „Studio Gaga“ hat damit einen Ort geschaffen, an dem die Stuttgarter Community ihre Identitäten sorgenfrei und unbeschwert ausleben kann.
In Deutschland gehört mehr als jede zehnte Person zur LGBTQIA+ Community – das zeigt die LGBTI-Survey. Bei der Generation X (1965 bis 1980) und den Millennials (1981 bis 1996) liegt der Anteil bei rund zehn Prozent. In der Gen Z (1997 bis heute) jedoch erreicht er mit 22 Prozent neue Höhen. Diese Entwicklung zeigt, wie stark das Bewusstsein für sexuelle Identität wächst. Sie unterstreicht die Relevanz eines Ortes, an dem die jüngere Generation ihre Identitäten zum Ausdruck bringen kann.
Zusammenhalt als Antwort auf Ausgrenzung
Das „Studio Gaga“ steht für eine familiäre Atmosphäre, geprägt durch gegenseitige Unterstützung und Achtsamkeit. Der Zusammenhalt ist entstanden aus der Ausgrenzung, die die Community seit Jahren begleitet. „Wir müssen zusammenstehen und wir müssen zusammenhalten“, betont Niklas. Die Realität ist, dass queere Einrichtungen für viele die einzigen Räume sind, in denen sie geschützt ihre Sexualität und Identität leben können. Es sind Zufluchtsorte, an denen sie eine Familie finden. Vor allem dann, wenn die eigentliche Familie ihre sexuelle Orientierung nicht akzeptiert oder von Vorurteilen begleitet wird. Laut einer Studie würden 25 Prozent der befragten Männer und 12 Prozent der befragten Frauen mit negativen Emotionen auf das Coming-out ihres Kindes reagieren. Oft stoßen gleichgeschlechtliche Partnerschaften im familiären Umfeld auf Zweifel. Sie werden als Abweichung, oder sogar als unnatürlich angesehen.
Im „Studio Gaga“ gibt es noch keinen Code of Conduct, einen Kodex mit Verhaltensweisen, die für die Gäst*innen des Clubs gelten. Niklas ist überzeugt, dass der Grund, weshalb noch kein solcher Verhaltenskodex im Studio Gaga notwendig ist, auf den Zusammenhalt in der Community zurückzuführen ist. Die Gäst*innen selbst verfolgen intuitiv ein Awareness-Konzept und setzen ungeschriebene Regeln um. Sie schreiten ein, wenn sie merken, dass sich jemand in einer Situation unwohl fühlt, und setzen sich für die Mitfeiernden ein. Dennoch sind Türsteher und Barpersonal aufmerksam, um einen Safer Space zu gewährleisten.
Ein Safer Space für alle
Der DJ Tchuani, Mitbegründer der queeren Partyreihe Berries in Berlin, erklärt im Podcast „queer story“, dass er lieber von einem „Safer Space“ als von einem Safe Space spricht. Auch in einem Queer Club könne man nie vollständig ausschließen, dass sich jemand unangemessen oder übergriffig verhält. Der Begriff Safe Space (deutsch: „sicherer Raum“) wurde lange verwendet, um Orte zu beschreiben, an denen Menschen Schutz vor Diskriminierung und Vorurteilen finden. Doch die Erfahrung hat gezeigt, dass auch in solchen Umgebungen Diskriminierung und stereotype Verhaltensweisen vorkommen können. Mit dem neueren Begriff Safer Space (deutsch: „sichererer Raum“) wird daher hervorgehoben, dass diese Orte für bestimmte Menschen zwar sicherer als der Alltag sind, aber keine absolute Sicherheit garantieren. Gleichzeitig signalisiert der Begriff den aktiven Einsatz dafür, Diskriminierung und Gewalt konsequent entgegenzuwirken.
Inzwischen entdecken auch immer mehr Menschen Queer Clubs für sich, die nicht Teil der LGBTQIA+ Community sind. Besonders junge Frauen besuchen das „Studio Gaga“ immer öfter, erzählt Niklas. Standard-Clubs sind von heteronormativen Strukturen geprägt. Man trifft als Frau auf eine von Testosteron dominierte Masse und muss die Avancen betrunkener Männer abweisen. In Queer Clubs hingegen erleben Frauen eine ganz andere Atmosphäre. Hier können sie die Sorglosigkeit genießen und mit gutem Gewissen ausgelassen tanzen und feiern, ohne sich unangemessenen Blicken oder Bemerkungen stellen zu müssen – egal, wie sexy ihr Outfit ist.
Die Sorge, dass man als heterosexueller Mensch den Safer Space in einem Queer Club durchbricht, teilt Niklas nicht. Für ihn ist es nicht die Sexualität, die einen Safer Space kaputt macht, sondern die Einstellung oder übergriffiges Verhalten. Und das kann auch bei einem Mitglied der Community der Fall sein. Ein Ort der Sicherheit entsteht nicht durch Labels oder Zugehörigkeiten, sondern durch gegenseitigen Respekt.
Queer Clubs als Brücke zu einer inklusiven Zukunft
Für die Zukunft wünscht sich Niklas, dass die Community nicht mehr auf Queer Clubs als Safer Spaces angewiesen ist. Er hofft auf eine Zeit, in der überall und ohne Angst vor Diskriminierung oder Anfeindung gefeiert werden kann. Queer Clubs als Einrichtungen zum Feiern aber sieht er als wichtigen Bestandteil, der bleiben muss. Die Clubs stehen im Kontrast zu Standard-Clubs. Als Ort, an dem alle gemeinsam miteinander feiern und tanzen können. Ganz unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder sexueller Orientierung. Denn das ist am Ende des Tages auch das eigentliche Ziel: gemeinsam leben und feiern, in einem sicheren Rahmen ohne Angst, Diskriminierung und Ausgrenzung.
Die Musik wird leiser und das erste Licht des Morgens fällt auf die Straßen Stuttgarts. Vor dem „Studio Gaga“ sammeln sich die letzten Feiernden, die Gesichter noch erfüllt von den Momenten der Nacht. Während sich die Türen des Clubs nach einer langen Nacht schließen, bleibt die Botschaft: In einer Welt, die noch immer von Vorurteilen geprägt ist, sind Räume wie das „Studio Gaga“ unverzichtbar. Sie sind nicht nur Zuflucht, sondern auch Symbol für eine Zukunft, in der Vielfalt gefeiert und Sicherheit für alle zur Selbstverständlichkeit wird. Bis dahin bleibt der Beat des „Studio Gaga“ ein Herzschlag der Hoffnung – und des Zusammenhalts.
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