Über Bienchen und Blümchen
Als meine Biolehrerin in der siebten Klasse mit bunten Delfin-Dildos ins Klassenzimmer gestolpert kam, dachte ich, es kann gar nicht peinlicher werden. Falsch gedacht! Nach ihrem Vortrag über Verhütung und Geschlechtskrankheiten hat sie auf jeden Tisch einen dieser Delfine und ein Kondom gelegt. „Jetzt seid ihr dran“, hieß es. Später warf sie die Kondome in den Mülleimer und benutze das verbliebene Gleitgel an ihren Fingern als Handcreme. Eine ganz besondere Erfahrung aus meiner Schulzeit.
Spaß beiseite. Sexualkunde ist gerade für pubertäre Teenager äußerst unangenehm. Trotzdem ist die praktische Anwendung eines Kondoms natürlich sinnvoll. „Meine Schüler müssen das Kondom selber kaufen. Es ist ein großer Schritt, sich selbst mal eins zu holen“, findet Katharina Lehmann*, Biolehrerin des Theodor-Heuss-Gymnasiums Pforzheim (THG). Früher dachte ich Bescheid zu wissen, weil ich ein paar Mal Bravo‘s Dr. Sommer gelesen habe. Die Bravo ist heute äquivalent zu den unendlichen Weiten des Internets. Den „Aha-Effekt“ im Biounterricht gebe es trotzdem immer noch, so Lehmann. Deshalb ist Sexualkunde so wichtig.
„In unterschiedlichen Klassenstufen geht es um Geschlechterrollen, Fragen zu Freundschaft, Liebe, Partnerschaft und Sexualität, um biologische Fragestellungen und um Fragen der Verhütung.“
Quelle: Deutscher Bundestag
Sexualkunde sei leider komplett lehrerabhängig, sagt Lehmann. „Es gibt Kollegen und Kolleginnen, die sich scheuen das zu unterrichten. Dann wird das auf das Schuljahresende gelegt. Da gibt es Ausflüge und Hitzefrei und ganz schnell kommt man um das Thema herum.“ In der sechsten Klasse hat auch mein Biolehrer das Thema immer weiter aufgeschoben und am Ende des Schuljahres in einer Stunde abgehandelt. Eigentlich seien in der sechsten fünf und in der siebten acht Stunden vorgeschrieben, äußert Lehmann. Sie habe so genügend Zeit auf das Thema und Fragen einzugehen.
Laut Bildungsplan wird in der siebten Klasse Sexualität und geschlechtliche Identität wertfrei beschrieben. Das Thema Transsexualität müsse man in der Mittelstufe nochmal aufgreifen, da Schüler ihre geschlechtliche Identität meist erst zu diesem Zeitpunkt kommunizieren, meint Lehmann. Nicht nur das sollte später besprochen werden. Erfahrungsgemäß kamen nach der Pubertät ähnlich viele Fragen wie währenddessen auf – vom eigenen Körperbild bis zu Nein zu Sex. Warum müssen sich Schüler da alleine durchkämpfen?
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Mir persönlich fehlte damals die genaue Aufklärung über Verhütungsmittel. Man könne aber nur über die gängigsten aufklären, beteuert Lehmann. Ich bitte inständig darum zumindest die Nebenwirkungen der genannten Mittel vorzustellen. Ich wäre im Unterricht liebend gerne auf den kilometerlangen Beipackzettel der Pille vorbereitet worden, genau wie auf den ersten Besuch beim Frauenarzt. Vor dem Ärztemangel habe Lehmann mit ihren Schülerinnen eine Praxis besucht. Ich halte solche praxisorientierten Methoden für sehr wichtig, um in dem Fall jungen Mädchen die Angst zu nehmen und den Unterricht aufzulockern.
Authentizität und kreative Unterrichtsmethoden
Der Verband Pro Familia bietet ergänzend zu Sexualkunde sexuelle Bildung und Pädagogik in den bundesweiten Beratungsstellen an. Pro Familia Stuttgart folgt keinem konkreten Lernplan, sondern geht auf die Themen der Schüler ein. „Das kann so aussehen, dass vorab im Unterricht eine anonyme Fragenbox gestellt wird“, erklärt Francesca Keyerleber, Sozialarbeiterin der Beratungsstelle in Stuttgart. Oft gehe es um Veränderungen des Körpers und Umgang mit Gefühlen. Transsexualität werde aufgrund ihrer medialen Allgegenwärtigkeit immer weniger thematisiert. Dafür aber kulturelle Konflikte, wenn Eltern ihren Kindern eine romantische Beziehung verbieten.
„Eine wichtige Maxime unserer Arbeit ist authentisch zu sein“, appeliert Keyerleber an die Lehrerschaft. Es sei wichtig eigene Unsicherheiten zu verbalisieren und mit den Schülern zu lachen. Auch kreative Unterrichtsmethoden machen einen Unterschied. „Nicht nur Arbeitsblätter und Schaubilder, sondern auch psychosoziale Aspekte“, betont Keyerleber. Lehmann hingegen versucht möglichst neutral und fachlich zu unterrichten – ohne Emotionalität. Eine solche Meinungsverschiedenheit ist völlig normal. Sie würde erst gar nicht entstehen, wenn es keine Menschen gäbe, die Sexualkunde ernst nehmen. Das müssen alle Lehrer, sowie Bildungspolitiker tun. Es sollte kein Tabu-Thema sein, wird aber immer ein bisschen unangenehm bleiben. Deshalb ist es wichtig Sexualkunde mit einem Augenzwinkern zu sehen. Liebe Lehrer, schafft durch Fragerunden, Exkursionen oder lustige YouTube-Videos einen offenen Zugang dazu. Locker bleiben hinterm Pult!
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*Der Name wurde von der Redaktion geändert.
Zur besseren Lesbarkeit wird in diesem Kommentar das generische Maskulinum verwendet. Die verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich - sofern nicht anders kenntlich gemacht - auf alle Geschlechter.