Studenten brauchen Disziplin
Hinweis
In diesem Text verzichtet die Autorin auf das Gendern, da es im Sprachgebrauch der Bundeswehr nicht üblich ist. Die Autorin überträgt diese Praxis auf ihre Kolumne, die zu großen Teilen von ihrer eigenen Zeit als Soldatin handelt. Eine separate Folge ihrer Kolumne zum Gendern gibt es hier.
Davon abgesehen wird beim edit.-Magazin durchgehend gegendert.
Bei der Bundeswehr sind alle nur am Saufen, misshandeln sich gegenseitig und außerdem sind das alles Nazis. Als Hauptgefreite a.D. (außer Dienst) kann ich bestätigen: Trinkfest sind Soldaten definitiv. Wieso auch nicht, wenn man es selbst mit besoffenem Kopf noch schafft, einen Zugang zu legen und sich mit einer Kochsalzlösung zu versorgen. Ersthelfer-Lehrgang sei Dank. Zu den anderen Sachen hätte ich ein paar Takte zu sagen: Will man es Soldaten wirklich zum Vorwurf machen, dass sie patriotisch sind? Dass sie stolz auf das Land sind, für das sie ihr Leben riskieren? Ich sehe schon, wie sich einige Leser erschrocken an die Brust greifen. Wenn das mal kein Nazi-Argument ist!
Deshalb lasse ich an dieser Stelle die Zahlen sprechen: Die Bundeswehr zählt 181.976 aktive Soldaten. 2021 wurden 17 Extremisten erkannt. Das sind 0,00934 Prozent. Tatsache ist: 17 sind 17 zu viel. Tatsache ist aber auch, dass die Bundeswehr kein strukturelles Nazi-Problem hat. Ganz im Gegenteil. 2021 wurden insgesamt 688 Verdachtsfälle aus der Truppe gemeldet, was für eine „große Sensibilität in der Bundeswehr“ spricht. Zitat Verteidigungsministerium. Strike eins.
Die Bundeswehr hat ein PR-Problem
Nun zu den Misshandlungen: Ist ein starkes Wort und manchmal sicher angebracht. Spricht aber nicht für ein strukturelles Verhaltens-Problem, sondern ein gewaltiges PR-Problem. Wie viele haben wohl mitbekommen, dass Soldaten so fleißig Verdachtsfälle melden? Und wer kennt mindestens eine Geschichte von Soldaten, die sich gegenseitig schaden?
Man muss das Ganze mal so sehen: Soldaten sind große Kinder. Buddeln Löcher im Wald und spielen im Dreck. Kinder kommen auf dumme Ideen. Nur sehen dumme Ideen mit Mitte 20 eben anders aus als mit 2. Das ändert aber trotzdem nichts daran, dass jeder Soldat für seine Kameraden einsteht. Wenn wirklich die Fetzen fliegen, dann denkt keiner mehr an kindische Mutproben. Dann zählt es durchzuhalten. Gemeinsam. Das lernt man hier beim tagelangen Draußenleben bei Minusgraden und setzt es in Mali, Afghanistan und im Irak um. Strike zwo.
Zuletzt eine kontroverse These: Was Manieren angeht, macht keiner einem Soldaten was vor. Vor allem keine Studenten. Die wissen nämlich nicht, was sich gehört.
Diese erschreckende Beobachtung musste ich schon in den ersten Tagen zurück im zivilen Leben machen. Die Vorlesung beginnt um 08.15 Uhr. Eine halbe Stunde später schlappen immer noch vereinzelt Leute in den Hörsaal. Lassen die schwere Feuerschutztür geräuschvoll zufallen und schlurfen mit hängenden Schultern in die letzte Reihe. Neben Störgeräuschen bekommen solche Leute aber keinen Ton raus. Kein Sorry, nichts. Bei der Bundeswehr würde es so etwas nicht geben. Wer bei der Vollzähligkeit zu Dienstbeginn zu spät kommt, hat Rede und Antwort zu stehen.
Ja zum verpflichtenden Gesellschaftsjahr
Ich erwarte ja nicht, dass man sich vor seinen Kommilitonen ins Stillgestanden stellt und mit kräftiger Stimme meldet: „Professor Mustermann, Student Müller, melde mich verspätet!“ Ein piepsmäusiges „‘Tschuldigung, die Bahn kam nicht“, würde doch schon ausreichen.
Gehört sowas denn nicht zur guten Praxis eines Zivilbürgers? Neben anderen ist das doch Zeichen genug, dass es Zeit für ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr wird. Ich sage nicht, dass man zur Armee muss. Aber ich sage, dass die junge (meine) Generation vergessen hat, was Manieren sind. Und da kann man an Bundeswehr-Klischees glauben, wie man will. Zumindest weiß dort noch jeder, was sich gehört. Strike drei.
Eine weitere Folge der Kolumne „Nach Uniform kommt Unileben" findet ihr hier .