„Die Gefühle, die da sind, nehme ich auf. Ich bin einfach da und fange das ein, was passiert.”
Foto gut – alles gut!
Das Brautkleid sitzt, Haare und Make-up sind perfekt. Ein letzter prüfender Blick in den Spiegel, während sich Nervosität und Vorfreude breit machen. Vieles erinnert an den ehemals „schönsten Tag”. Doch heute wird die Kamera festhalten, wie sich die Braut von dem Leben befreit, das sie damals begonnen hat. Dabei wird auch mal das gerahmte Hochzeitsbild zerstört.
Warum nur die schönen Momente?
Nur wenige Geschiedene beschließen in Deutschland ihr Ehe-Aus fotografisch festzuhalten. Und nur eine Handvoll Fotografen bieten diese Möglichkeit dazu. Einer davon ist Boris Mehl, der sein erstes Scheidungs-Shooting vergangenes Jahr schoss.
Der Berliner Fotograf begleitet normalerweise Hochzeiten und andere Feierlichkeiten. Die Idee zum Scheidungs-Shooting kam ihm eines Abends im Gespräch mit Freunden.
„Man steckt so viel Energie und Zeit in den schönsten Tag des Lebens. Wenn man dann feststellt, dass es das doch nicht war, kann man die Emotionen, die dort entstanden sind, auch über den anderen Weg wieder auflösen.“
Tatsächlich findet er eine Frau, die bereit dazu ist, diese Emotionen mit ihm zu teilen. Tanja* hat sich letztes Jahr scheiden lassen. Eine schmerzhafte Erfahrung, die aber auch eine neue Erkenntnis mit sich brachte: Ohne ihren Partner ist sie stärker. So ist das Shooting für sie auch ein Grund zum Feiern. Zwischen den aufgeschütteten Sandbergen der Kiesgrube herrscht eine geschützte Atmosphäre, um den Gefühlen freien Lauf zu lassen. Dafür hat Boris das Set extra ausgewählt.
Mal ernst, mal heiter
Stück für Stück trennt sich Tanja von den Erinnerungen an die Hochzeit. Sie zertritt das gerahmte Hochzeitsfoto mit dem Absatz. Ein Zweites zerreißt sie in Stücke und wirft die Fetzen befreit in die Luft. Mit dem Shooting zelebriert sie ihren Neuanfang. Von Reue oder Trauer keine Spur.
Dass es sehr heikel sein kann, die Gefühle nach einer Trennung fotografisch einzufangen, weiß Boris. Deshalb ist es ihm wichtig, keinen Einfluss darauf zu nehmen. Sein Motto lautet „Keep it real”. Im Vorfeld jedes Shootings steht deshalb ein Gespräch. Man trifft sich auf ein Bier und lernt sich kennen. So baut der Fotograf ein Vertrauensverhältnis auf, damit sich die Kunden in seiner Gegenwart wohlfühlen. Während des Shootings nimmt Boris nur auf, was passiert. So werden die Bilder echter, findet er.
Auch Tanja lässt ihren Gefühlen während des Shootings freien Lauf. Sie greift zur Schere und macht sich daran, das Brautkleid, das sie trägt, vom Saum aufwärts zu zerschneiden. Zum krönenden Abschluss wirft sie die weißen Überreste auf den Boden und setzt sie in Flammen. In ihrer schönsten Unterwäsche und dem Sekt in der Hand begießt sie ihren Neuanfang.
Wenn aus Wut Hass wird
Die Psychologin und Paartherapeutin Monika Bertsche kennt aus jahrelanger Arbeit mit verschiedensten Paaren die Fülle an Gefühlen, die eine Trennung hervorrufen kann. Dabei spricht sie zerstörerischen Gesten durchaus ihre Berechtigung zu. Die Inszenierung von Wut vor der Kamera sieht sie jedoch kritisch.
Jeder trennt sich anders
Auch Susanne* wollte sich mit Bildern von ihrer Ehe verabschieden. Dabei ging es ihr jedoch nicht um den Ausdruck von Wut. Stattdessen wollte sie sich von der Zeit symbolisch verabschieden, indem sie noch ein letztes Mal ihr Brautkleid von damals anzog. Dafür wendete sie sich an die Chemnitzer Fotografin Karla Mohr. Die beiden Frauen kannten sich aus einem früheren Shooting und waren sich bereits vertraut.
Karla merkte ihrem Model an, dass sie noch sehr an der Ehe hing. Deshalb nahm sie Susanne während des Shootings an die Hand und half ihr dabei, ihre Emotionen zu verarbeiten. Trauer und Melancholie verwandelten sich in Selbstbewusstsein und Stärke. „Ich kann eine Frau in ihrem Selbstbewusstsein oder in dem, was sie ausmacht, aufbauen. Auch unterstützend und mit Blick nach vorne“, erklärt Karla. Für Susanne wurde das Shooting so zu etwas ganz Besonderem.
„Das Shooting war eines von vielen Puzzelteilen zur Verarbeitung.”
Ein Neuanfang in Bildern
Die beiden Frauen haben gezeigt, was Monika Bertsche jeden Tag erfährt: Abschiede beinhalten ein sehr breites Gefühlsspektrum. Am Ende konnten beide Fotografen ihren Models beim Neuanfang helfen: Mit dem Bild einer selbstbewussten Frau, die ihr altes Leben hinter sich lässt.
*Namen von der Redaktion geändert