Raus in die Natur, rein ins Abenteuer
Es ist 21 Uhr. Ich liege eingepackt im Schlafsack, 130 km von meinem Wohnort entfernt, mitten in der Natur und unter wolkenlosem Sternenhimmel. Ich bin so aufgeregt, dass an Schlaf zunächst nicht zu denken ist. Auch die Natur schläft noch nicht. Obwohl es längst dunkel ist, zwitschert es aus allen Ecken. Der Mond ist so hell, dass ich Schatten auf meine Plane werfe und die Umgebung gut erkennen kann. Wenn ich den Finger rausstrecke, merke ich dass es draußen kälter wird, aber im Schlafsack ist es angenehm warm. Das leise Plätschern des Baches beruhigt mich. Ich fühle mich gar nicht einsam.
Sieben Stunden zuvor: Mein Microadventure beginnt an einem sonnigen Donnerstag im April. Mit dem Zug fahre ich ins Augsburger Umland und laufe elf Kilometer bis zu meinem Schlafplatz – eine sportliche Herausforderung und willkommene Abwechslung zum ständigen Sitzen im Home-Office. Vorbei an Feldern, einem „Demeterhof“ und freilaufenden Hühnern. Eine Spaziergängerin spricht mich interessiert auf mein Gepäck an, vorbeifahrende Radfahrer*innen grüßen mich. Am späten Nachmittag erreiche ich die Wiese, auf der ich heute Nacht biwakieren darf. Biwakieren bedeutet ohne Zelt und nur mit dem Nötigsten unter freiem Himmel zu übernachten. Die Wiese gehört zum Privatgrundstück meines Bekannten. Sein Haus ist nur eine Minute Fußweg entfernt. Im Zweifelsfall kann ich jederzeit reinkommen.
Am frühen Abend richte ich meinen Schlafplatz ein. Um mich herum: Wald, kleine Seen, umgeben von satten Wiesen und ein Bach, der sich durch das kleine Tal schlängelt. Der nächste Ort liegt etwa einen Kilometer entfernt.
Der Brite Alastair Humphreys gilt als Begründer des Microadventures. Für den Abenteurer und Autor ist ein Microadventure ein günstiges, einfaches Abenteuer, dass Spaß macht, begeistert und herausfordert.
Tipps, Inspirationen und Einblicke in sämtliche Arten von Outdoorabenteuern gibt Humphreys in seinen Podcasts und auf seinem Blog.
Für eine Nacht unter freiem Himmel sind eine gut isolierende Isomatte und ein warmer Schlafsack ausreichend. Eine Plane schützt vor Nässe und Dreck von unten. Im Rucksack habe ich Proviant, eine Powerbank, Wertsachen, ein Camping-Licht, Hygieneartikel und einen Müllbeutel. Mehr braucht es zum Biwakieren nicht.
Campen oder Biwakieren?
Das wilde Campen ist in Deutschland nicht gestattet. Anders verhält es sich beim Übernachten unter freiem Himmel. Das sogenannte Biwakieren ist eher Grauzone. Es ist weder erlaubt noch explizit verboten. Regeln gibt es aber auch hier: Naturschutzgebiete und Privatgrundstücke sind Tabu. In jedem Fall empfiehlt es sich, den*die Eigentümer*in oder die zuständige Behörde zu fragen. Auch ich informiere mich vorab bei dem zuständigen Forstamt. Und tatsächlich: Das Forstamt lehnt das Übernachten im Wald aus Rücksichtnahme auf Tier und Natur ab. „Es ist nicht im Sinne der Wildtiere, dass sich Menschen in der Nacht im Wald aufhalten.“, so Kathrin Klein, Försterin im Forstbezirk Schönbuch. Vor allem seit der Pandemie sei der Druck auf den Lebensraum Wald enorm: Erst am Abend könne er zur Ruhe kommen, begründet die Försterin die Entscheidung.
Also mache ich mich weiter auf die Suche und werde schließlich auf dem großflächigen Privatgrundstück eines Bekannten fündig. Alternativ darf auf Treckingplätzen in Deutschland legal gezeltet werden. Die ausgewiesenen Plätze liegen mitten in der Natur, meist in der Nähe der schönsten Wanderwegen Deutschlands
Treckingplätze sind zwar kostenpflichtig, erlauben aber Campen oder Biwakieren mitten im Wald.
Die Besonderheit: Die Plätze sind nicht ausgeschildert. Im Internet kann man seinen Stellplatz für eine geringe Gebühr buchen. Erst dann gibt es eine Wegbeschreibung. Das geht zum Beispiel im Nationalpark Schwarzwald.
Den Menschen zieht es in die Natur
Es ist mein erstes Microadventure. Der Gedanke, allein und nur mit dem Nötigsten unter freiem Himmel zu schlafen, fasziniert mich. Ich bin gerne in der Natur, spaziere oft im Wald und damit bin ich nicht allein.
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Vor allem während der Coronapandemie zieht es die Menschen mehr denn je in die Natur. Wald und Wiese, vor allem in Ballungszentren, werden regelrecht überrannt. Umweltpsychologe Prof. Dr. Gerhard Reese von der Universität Koblenz-Landau erklärt: „Frische Luft, Grün, Gezwitscher und Geplätscher. All das löst Entspannung bei uns aus.“ Durch die coronabedingten Schließungen bleibe oft nur die Natur als einzige Alternative. Dass man trotz der Isolierung durch Corona zusätzlich in der Natur die „Einsamkeit“ sucht, erscheint Reese keinesfalls paradox. Durch Home-Office herrsche Zuhause selten Ruhe – vor allem für Familien. „Da ist Natur und Wald Abwechslung pur - weg vom Bildschirm und der zehnten Dauerschleife Benjamin Blümchen.“
22 Uhr: Ich liege in der Dunkelheit und lausche konzentriert. In weiter Ferne höre ich das dumpfe Rauschen von Autos auf einer Fernstraße. Die Vögel haben aufgehört zu zwitschern. Manchmal raschelt es und ich erstarre. Ich weiß, dass von den Tieren keine Gefahr ausgehen sollte. Trotzdem fühle ich mich in solchen Momenten der Natur ein bisschen ausgeliefert. Was tun, wenn vor mir ein Tier steht?
Über mir hängt, wie eine Decke, der klare Nachthimmel und ich sehe viele Sterne. Ich beobachte sie bestimmt eine Stunde lang und erkenne plötzlich direkt über mir das Sternbild des Großen Wagens. Ich bin begeistert. Nach einer Weile falle ich langsam in den Halbschlaf. Plötzlich höre ich, wie sich jemand nähert. Es ist mein Gastgeber. Er will schauen, ob ich schon schlafe. Wir gucken uns gemeinsam den Sternenhimmel an, dann wünscht er mir eine gute Nacht.
Eine frostige Überraschung
Um 23 Uhr drehe ich mich auf die Seite und bemerke, dass alles um mich herum glitzert. Im Licht meiner Lampe sehe ich, dass der Rasen, meine Plane und mein Schlafsack voll Raureif sind. Die Feuchtigkeit der Wiese muss kondensiert und gefroren sein. Das heißt es ist null Grad. In meinem Schlafsack ist es so schön warm, dass ich gar nicht mitbekommen habe, wie kalt es geworden ist. Ich schlafe langsam ein. Gegen Mitternacht wache ich mit einem Schlag wieder auf. Ich höre ein grunzendes Schreien. Mein Herz klopft mir bis zum Hals, ich bin hellwach und lausche in die Nacht hinein. Es raschelt in der Ferne, dann wird es wieder still. Ich höre nur noch das leise Rauschen des Baches. Dann platscht es kurz, als wäre etwas hineingefallen. War das vielleicht eine Ente?
Mit der wiedereinkehrenden Stille werde auch ich ruhiger, aber ich bin nicht mehr müde. Ich döse vor mich hin. Der Mond und der Große Wagen über mir sind weiter nach Westen gewandert.
Der nächste Morgen
Um halb fünf – es ist noch dunkel – werden die Vögel wieder wach. Ich setze mich auf und lasse die Natur auf mich wirken. Die Bäume am Horizont sehen noch aus wie schwarze Kulissen. Langsam geht die Sonne auf. Ich sitze einfach da und beobachte wie sich der Himmel von gelb zu pastellblau färbt. Obwohl es von allen Seiten zwitschert, kann ich keinen einzigen Vogel sehen, so gut verstecken sie sich.
Im Laufe des Morgens packe ich langsam zusammen und frühstücke mitgebrachtes Müsli. Ich genieße die frühen Sonnenstrahlen. Obwohl ich nicht richtig geschlafen habe, fühle ich mich ausgeruht. Ich bin zufrieden. Und stolz. Alles hat so geklappt, wie ich es mir vorgestellt hatte. Das nächste Microadventure wird nicht lange auf sich warten lassen.