„Im Grunde weiß man: Die andere Person spielt auch Quidditch, der kann ich vertrauen.“
Ein Hauch von Hogwarts
Abpfiff. Teamkreis. Plastikstangen werden ins Gras geworfen, der Mundschutz entfernt. Schulter an Schulter stehen jetzt die Spieler, die eben noch in zwei Mannschaften um den Sieg gekämpft haben. Die meisten tragen schwarz-rote Trikots. Jemand fordert mehr Kommunikation, ein anderer lobt die Abwehr. Dann ertönt ein gemeinsames „Ho-hey-ho-hey“.
Dank, Feedback, Gemeinschaft: Es ist das Ende eines Quidditchspiels. Die „Tübinger Thestrale“ befinden sich im Trainingslager. Wäre es ein Spiel auf nationaler oder internationaler Ebene, könne beispielsweise auch ein Schiedsrichter im Kreis mitreden: „Es geht im Grunde allen darum, dass der Sport sich weiterentwickelt, dass die Teams besser werden“, erklärt Monique Renk. Die 28-Jährige ist Studentin, leidenschaftliche Quidditchspielerin und Vizepräsidentin des Deutschen Quidditchbunds (DQB).
Inmitten des Teamkreises fällt Monique lediglich durch ihr blaues Trikot auf. Eigentlich spielt sie bei den „Ruhr Phoenix“, doch diesmal traininert sie mit den Tübingern. Das sei kein Problem, teilweise könnten Quidditchspieler sogar bei Spielen in anderen Mannschaften antreten. Was in anderen Sportarten problematisch ist, ist bei Quidditch Normalität. Die Gemeinschaft, die hinter der Randsportart steht, geht weit über den Sport hinaus.
Der Experte Markus Gretz vom Netzwerk „Die Sportpsychologen“ erklärt das Phänomen, das dahinter steckt: Jeder Mensch versuche, sich in Gruppen einzuordnen. Bei Randsportarten fühlen sich die Spieler noch stärker als Teil der Gruppe, weil diese etwas Exklusives sei. „Es gibt dann den Ingroup-Outgroup-Effekt. Das heißt, man wertet die eigene Gruppe auf und die andere Gruppe ab.“ Bei Quidditch finde vor allem die Aufwertung statt, betont er.
Aus der Fantasie in die Realität
Ursprünglich stammt die Sportart aus den Harry-Potter-Büchern – fliegende Besen und Zauberei inklusive. Die „Muggel“-Version, so werden nicht-zaubernde Menschen im Bestseller genannt, erfanden zwei amerikanische Studenten im Jahr 2005. Angepasst an eine Welt ohne Magie entwickelte sie sich zu einer Vollkontaktsportart, Plastikstangen ersetzen die Besen.
Ein Thema ist der Harry-Potter-Ursprung in der Community bis heute: „Ich bin natürlich schon Harry Potter Fan, wie glaube ich fast jeder in meinem Alter. Aber das steht gar nicht so im Vordergrund“, so Monique. Die Sportart grenze sich eher davon ab. Wie Monique sind ein Großteil der Spieler Studierende. Und wie bei vielen anderen Mannschaften findet auch das Training der „Tübinger Thestrale“ im Rahmen des Universitätssports statt.
Gemeinsames Engagement für den Sport
Die Mitgliedschaft im DQB verlangt von den Tübingern jedoch mehr Engagement, als es für andere Unisportgruppen nötig wäre. Dazu zählt etwa die Organisation und Teilnahme bei Spieltagen der Baden-Württemberg-Liga oder der deutschen Meisterschaft. Zusätzlich erfordern internationale Strukturen wie die International Quidditch Association (IQA) Einsatz, sodass Europa- und Weltmeisterschaften stattfinden und internationale Ligen bestehen können.
Fest steht: Die Spieler engagieren sich für die Sportart. Dabei spielen gemeinsame Ziele eine große Rolle, sportliche wie soziale. „Das kann die Gruppe zusammenschweißen und ein größeres Wir-Gefühl entstehen lassen. Man sagt, die Gruppenkohäsion steigt“, erläutert der Experte Gretz.
Offenheit und Austausch wichtig
Im Trainingslager erkennt Monique alte Bekannte: Als sie ihren Blick im Kreis schweifen lässt, sieht sie Teilnehmer der letzten „QuAk“, der Quidditchakademie des DQB. Gemeinsam hat sie dort mit ihnen theoretische und praktische Workshops von der Vereinsgründung bis hin zum Tackeln besucht. „Dabei geht es auch darum, gemeinsam besser zu werden und nicht nur individuell.“ Das Wissen einzelner Teams soll mit den anderen ausgetauscht werden, so Monique.
Austausch spiele auch global eine große Rolle, angefangen bei den internationalen Turnieren bis hin zur Hauptsprache Englisch. „Einige Mannschaften sprechen auch intern englisch, weil sie viele Leute aus anderen Ländern dabei haben, die zum Beispiel ihr Auslandssemester hier machen“, berichtet Monique. Selbst bei privaten Kurztrips können Quidditchspieler auf die Community zählen: „Wenn man in eine Stadt reist, in der es ein Quidditchteam gibt, ist es eigentlich selbstverständlich, dass man da auch zum Training gehen kann.“ Viele helfen sich mit Übernachtungsmöglichkeiten aus oder machen private Stadtführungen.
Die Gemeinschaft kommuniziert über eine Social Media Gruppe. Nicht nur dazu, sondern auch für die Mitgliederversammlung des DQB ist die Überbrückung geografischer Distanzen über Social Media essenziell.
Immer mehr Zuwachs
Die Quidditchgemeinschaft wächst. Während der DQB in der Saison 2015/16 noch 116 Mitglieder verzeichnete, hat sich die Zahl bis heute nahezu verzehnfacht: Aktuell liegt sie bei 1.068. Veränderungen bleiben dabei nicht aus: „Ich glaube nicht, dass der Zusammenhalt schwächer wird, wenn mehr Leute spielen. ich glaube nur, dass der Anteil derer größer wird, die weniger machen“, denkt Monique. Insgesamt sieht sie im Wachstum aber mehr Chancen als Herausforderungen. Auch Experte Gretz schließt sich an: „Im Vergleich zu anderen Sportarten ist es ja immer noch sehr klein. Die Exklusivität und damit das Ingroup-Denken wird wahrscheinlich lange andauern.“
Der Kreis löst sich auf, Monique geht gemeinsam mit dem Team zum Essen. Danach wird es für sie weitergehen: im Trainingslager, aber auch in ihrer Community. „Quidditch hat mich und mein Leben sehr verändert – zum Positiven“, offenbart sie.