Gesundheitswesen

Pflegt endlich die Pflege!

Applaus für die Pflege aber keine Besserung in Sicht.
10. Juli 2020

Klatschende Menschen auf Balkonen, eine Prämie der Bundesregierung und ein reserviertes Autokino: Pflegekräfte in Deutschland haben in den letzten Wochen eine neue Form der Anerkennung erfahren. Und was ändert sich im Pflegealltag? Nichts.
Der Patient Pflege liegt auf der Intensivstation und ringt verzweifelt nach Luft.

In vier von fünf Krankenhäusern bleiben Pflegestellen unbesetzt. Das Personal, die Anreize und realistische Quoten fehlen. Laut einer neuen Studie ist den Pflegekräften inzwischen sogar Entlastung und Anerkennung wichtiger als ein höheres Gehalt. Als würde der Patient Pflege akzeptieren, dass er nicht zwei gesunde Arme haben kann und sich für einen Arm entscheiden muss.

Das Bewusstsein für die so gerne rational und kühl genannten „systemrelevanten“ Berufe ist gestiegen. Doch Pflegekräfte sind nicht nur systemrelevant: Sie sind Helfer in der Not, verlässlich und selbstlos; aber vor allem sind sie überarbeitet und fühlen sich im Stich gelassen. Der für sie zuständige Gesundheitsminister Jens Spahn sagte kürzlich, dass das Gesundheitswesen in der Corona-Krise „zu keiner Zeit überfordert“ gewesen sei. Zu keiner Zeit? Eher: Zu jeder Zeit, seit Jahren. Der Patient Pflege hat nicht nur einen harmlosen Schnupfen, er hängt längst am Beatmungsgerät und so langsam verlieren die Angehörigen den Glauben an ein gutes Ende.

Medizin die wenig hilft

Die Bundesregierung hatte sich bereits vieles vorgenommen, um dem Pflegenotstand entgegenzuwirken. Eine neue Pflegeausbildung, neu geschaffene Stellen und eine neue Anwerbetaktik. Am 1. April diesen Jahres folgte dann der Aprilscherz für ausgebildete Pflegekräfte: Gesundheitsminister Spahn verkündete stolz, dass nun der neue Pflegemindestlohn gilt. Er liegt zwischen 2.175 und 2.669 Euro monatlich.
2.669 Euro (natürlich Brutto) für eine ausgebildete Pflegekraft, die im Krankenhaus nachts alleine für durchschnittlich 26 Patienten zuständig ist und bei der jeder Fehler schwere Folgen haben kann. 2.669 Euro dafür, dass sich die Pflegekräfte vielen gefährlichen Krankheiten aussetzen: Mehr als jeder zehnte Corona-Kranke in Deutschland kommt aus dem Gesundheitswesen. Setzt man diese Schritte zur Verbesserung der Pflege mit der Realität gleich, wirken sie, als würde die Bundesregierung hoffen, dass der Patient Pflege durch ein schön gesungenes (eigens komponiertes) Kinderlied wieder gesund wird. Sollte stattdessen nichts unversucht bleiben, um einen derart kranken Patienten zu heilen, bevor er noch ins Koma fällt?

Was muss getan werden, damit die Pflege wieder gesund wird?

Die Ideen und Vorschläge gibt es: In der Petition „Mehr als ein Danke“, die knapp 40.000 Menschen unterschrieben haben, stellen die Initiatoren drei Forderungen: Bessere Arbeitsbedingungen, gerechter Lohn und mehr Wertschätzung. Erreichbar durch mehr Personal, mehr Geld und mehr öffentliche Anerkennung. Die Petition stammt von Anfang Mai, der neue Pflegemindestlohn ist also gerademal einen Monat alt.
Rückendeckung kommt aus der Wissenschaft: Die Robert Bosch Stiftung, die Bertelsmann Stiftung und die Stiftung Münch haben erst im Februar ein gemeinsames Positionspapier mit dem Titel „Pflege kann mehr“ veröffentlicht. Sie fordern deutlich bessere Rahmenbedingungen, mehr Verantwortung bei Entscheidungen und vor allem eine Professionalisierung der Pflege. Unter anderem heißt es: „Eine Politik, die das Bild ‚Pflegen kann jeder‘ bedient und dazu beiträgt, Bildungsstandards abzusenken, schafft ein gefährliches Deprofessionalisierungsklima.“ Kurz gesagt: Gebt der Pflege endlich mehr Wertschätzung! Sie ist ein sehr wichtiger Patient!

Warten bis der Arzt kommt

Verantwortlich für den Patienten sind die Ärzte. Oder in diesem Fall: die Politiker. Sie können dem Patienten mehr Aufmerksamkeit schenken, sie können deutlich machen, wie wichtig der Patient für sie und die Gesellschaft ist und sie können mehr Geld für die Pflege in die Hand nehmen.

Die Medizin liegt auf dem Tisch. Der Patient Pflege liegt hilflos daneben und schnappt nach Luft. Er braucht dringend Hilfe, denn alleine schafft er es nicht mehr.