Olympia-Verschiebung

Ein weiteres Jahr bis Tokio

Die Mountainbikerin Elisabeth Brandau beim Training im Bikepark mit einem ihrer Söhne.
23. Juni 2020

Sie führt einen Laden, kümmert sich um ihre beiden Kinder und reist als erfolgreiche Profi-Mountainbikerin durch Europa. Nach der ersten Olympia-Teilnahme diesen Sommer hätte Elisabeth Brandau ihre Sportlerkarriere beendet. Doch wegen der Corona-Pandemie findet Olympia erst im nächsten Jahr statt. Ihr Weg bis zum Rennen in Tokio ist steinig.

„Ich war sauer, traurig und enttäuscht“, beschreibt Elisabeth Brandau den Moment, als sie am 24. März von der Entscheidung des Internationalen Olympischen Komittees (IOC) erfahren hat, die Olympischen Spiele auf das nächste Jahr zu verschieben. Als sie die Mitteilung auf ihrem Handy erhalten hat, saß die elfmalige deutsche Meisterin in verschiedenen Mountainbike-Disziplinen gerade in ihrem Wohnzimmer in Schönaich im Landkreis Böblingen. Bei der Konferenz des Vereins „Athleten Deutschland“, zwei Tage vor der endgültigen Gewissheit, habe sich die Verschiebung der olympischen Spiele in Tokio auf das Jahr 2021 bereits angekündigt, erzählt Brandau. 

Sie musste die Verschiebung erst einmal verarbeiten und einen Monat eine Trainingspause einlegen. Die gelernte Klimaanlagenbaumeisterin hat neben ihrer Karriere im Leistungssport auch abseits der Strecke viel um die Ohren. Die Mutter von zwei Söhnen im Alter von drei und fünf Jahren betreibt einen Fahrradhandel und ist als Heilpraktikerin und Teamchefin ihres eigenen Hobby-Radsportteams tätig. „Ich bin keine reine Leistungssportlerin – bei mir ist das eine Kombination aus vielen Dingen.“ Als vor kurzem die Zusammenarbeit mit Brandaus neuem Trainer startete, sendete er ihr einen Trainingsplan zu, in dem um 19 Uhr das Abendessen eingeplant war. „Das kann ich aber nie genau sagen. Wenn meine Kinder schon eine Stunde früher kommen und dann Hunger haben, gibt es eben dann Abendessen“, lacht Brandau. Und eines ist für die Sportlerin klar: „Meine Familie kommt immer vor allem anderen.“ 

Sportpsychologin Katharina Zollinger über die Folgen der Wettkampfabsagen

„Definitiv können Leistungssportler nach der Absage von sportlichen Highlights in ein Loch fallen. Da kann es gut tun, eine Auszeit einzulegen, um die Situation zu verarbeiten und sich zu sammeln“, sagt die Stuttgarter Sportpsychologin Katharina Zollinger. „Sportler sollten die entstandene Unlust nicht mit sich rumschleppen, sondern lieber nach einer Pause neu durchstarten. Denn Motivation kann man nicht erzwingen“, erklärt die ehemalige Rugbyspielerin. Wichtig sei für Profisportler die Anpassungsfähigkeit und die Eigenmotivation, wenn durch das Corona-Virus altbekannte Strukturen wegbrechen. „Spitzensportler bringen aber schon viele mentale Skills mit, um mit besonderen Situationen umzugehen.“

„Ich wollte aufhören“, gibt Elisabeth Brandau zu. „Nach Tokio wäre Schluss gewesen.“ Sie wollte nach Olympia auf Reisen und Trainingslager verzichten, um mehr Zeit mit ihren beiden Söhnen Maximilian und Alexander und ihrem Mann Marco zu verbringen. Dann kam die Corona-Pandemie und mit ihr die Verschiebung der Spiele auf das nächste Jahr. Das erste Mal überhaupt, dass Olympia nicht im gewohnten Rhythmus von vier Jahren stattfindet, abgesehen von den ausgefallenen Spielen aufgrund der Weltkriege. „Wie kannsch des jetzt noch ein Jahr länger machen?“, fragt sich die 34-Jährige mit unüberhörbar schwäbischem Dialekt. Damit meint sie 15 bis 20 Stunden Training in der Woche für das große Ziel Olympia. Die Entscheidung aber stand trotz der Strapazen schnell fest: Das Olympia-Rennen auf dem Izu Mountain Bike Course mit Blick auf den Berg Fuji soll mit der EM-Dritten von 2019 stattfinden.

Finanzierung von Brandaus Olympia-Start unklar

Probleme mache ihr die finanzielle Ungewissheit. Sponsorenverträge habe sie nur für das Jahr 2020 abgeschlossen. Ihr Hauptsponsor, ein deutscher Fahrradhersteller, muss selbst abwägen, wie sich die Corona-Pandemie auf sein Geschäft auswirkt, bevor finanzielle und materielle Zusagen für das kommende Jahr gemacht werden können. Auch eine weitere Förderzusage der Deutschen Sporthilfe steht noch aus.
Das beschäftigt die Mutter, die laut eigener Aussage „nicht auf großem Fuß“ lebt. Das wirtschaftliche Denken sei ihr eigentlich nicht so wichtig. „Es geht aber um die finanzielle Sicherheit, die ich als Selbstständige und Profisportlerin nicht so sehr habe wie vielleicht eine Angestellte.“ Hinzu kommen die hohen Kosten für die Profi-Räder, die mit einem Drahtesel so viel gemeinsam haben wie ein rostiger Fiat mit einem Ferrari-Formel-1-Boliden. Brandaus Bikes kosten rund 7.500 Euro. Sie besitzt zwei Räder für die Rennen und zwei günstigere Modelle zum Trainieren. 

Qualifikation noch nicht gesichert 

Eine Sorge hat ihr vermeintlich der IOC-Präsident Thomas Bach genommen. „Es ist klar, dass diejenigen Athleten, die sich für die Olympischen Spiele Tokio 2020 qualifiziert haben, weiterhin qualifiziert sind“, so Bach in einer Stellungnahme auf Twitter. Das entspricht aber nur der halben Wahrheit. Wie der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) auf Anfrage mitteilt, gibt es kein „persönliches Olympia-Startrecht“. Für die Disziplin Mountainbike stehen dem BDR zwei Startplätze zur Verfügung. Das heißt, dass Brandau weiterhin ihre Leistungen bestätigen muss, um in Tokio dabei zu sein. „Elisabeth Brandau ist eine heiße Olympia-Kandidatin, wenn sie ihre Form hält“, sagt BDR-Sprecherin Christina Kapp.

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Der Weg von Elisabeth Brandau bis zum Olympia-Rennen im Juli 2021 in Tokio. | Quelle: Kai Leitenberger

Der „Trail to Tokio“, wie Brandau ihren Weg zu Olympia nennt, führt die Schwäbin trotz der Corona-Pandemie zu mindestens vier Rennen zwischen September und Oktober. Dann soll im nächsten Jahr ein zweiwöchiges Trainingslager in der Schweiz folgen. „In meinem Alter muss ich aber aufpassen, dass ich mich nicht kaputt trainiere. Ich bin kein Roboter“, lacht Brandau. Und wenn auch die Olympischen Spiele 2021 abgesagt werden? „Dann beende ich meine Karriere", sagt Brandau. „Das wäre zwar schade, aber damit muss ich klarkommen.“