„Jeder sollte da sein, wo er ist, durch Leistung und seine Persönlichkeit und eben nicht wegen seines Geschlechts.“
Motorsport: Leistung und Leidenschaft statt Geschlecht
Am ersten Tag des Maschinenbau-Studiums an der Hochschule Pforzheim beginnt Tamaras Motorsportkarriere: Beim Betreten der Aula zieht ein Rennwagen am Infostand des Formula Student Teams ihre Aufmerksamkeit auf sich. Für den Rest des Studiums verlässt sie die Werkstatt des studentischen Motorsportteams nur noch selten. Das Ziel, eine professionelle Karriere im Motorsport einzuschlagen, ist manifestiert – auch wenn sie im ersten Jahr fast die einzige Frau im Team ist.
Die Formula Student ist ein internationaler Konstruktionswettbewerb für Studierende, bei dem Teams von Universitäten aus aller Welt jährlich einen Rennwagen konstruieren und einen fahrfertigen Prototypen herstellen.
Auf internationalen Events treten sie in verschiedenen Disziplinen gegeneinander an und kämpfen um die Pokale. Studierende verschiedener Fachrichtungen können auf diesem Weg bereits während des Studiums ihrer Leidenschaft für den Motorsport nachgehen und wertvolle praktische Erfahrungen sammeln.
Quelle: Formula Student Germany
An ihrer Studien- oder Berufswahl zweifeln lassen hat der hohe Männeranteil Tamara nie. Weder während der Arbeit im Formula Student Team, noch in den Vorlesungen. Natürlich hätten einzelne Professoren einen zu Beginn etwas belächelt und Teammitglieder den einen oder anderen Kommentar abgelassen, aber dabei handle es sich um Einzelfälle, über denen man stehen müsse. „Ich habe einfach das gemacht, worauf ich Lust hatte – daran hatte ich Spaß und dann habe ich weitergemacht“, fasst sie zusammen.
Für den Motorsport aus dem hohen Norden nach Stuttgart
Diese Ansicht vertritt auch Johanna. Sie ist Masterstudentin im Studiengang „Simulation Technology“ an der Universität Stuttgart. Seit über zehn Jahren begeistert sie sich für Motorsport. Schon während der Schulzeit war es vor allem der technische Aspekt des Sports, der sie in den Bann gezogen hat. Mit dem Ziel vor Augen, später als Strömungsmechanikerin im Motorsport zu arbeiten, ist sie für das Studium aus dem Norden Deutschlands in die Automobilstadt Stuttgart gezogen. Auch wegen des Formula Student Teams der Uni, dessen Teamleitung sie derzeit für ein Jahr übernimmt.
So zielstrebig hinsichtlich ihrer technischen Berufswünsche sind nicht alle Frauen. Bei einem Besuch im Kanzleramt anlässlich des Girls' Day 2017 hat Tamara in Gesprächen mit Schülerinnen in Bezug auf technische Berufe oft Aussagen gehört wie „Das traue ich mir nicht zu“ oder „Da sind doch so viele Jungs“. Einen Grund für den Frauenmangel im Motorsport sehe sie deshalb darin, dass noch immer weniger Frauen als Männer technische Studiengänge wählen. Die Anzahl an Simulation Technology, Fahrzeug- und Motorentechnik sowie Maschinenbau-Studentinnen an der Universität Stuttgart zeigt: Bei beiden letzteren Studiengängen ist über die letzten zehn Jahre mit Schwankungen eine leicht positive Entwicklung der Zahlen zu erkennen. 2021 liegt der Frauenanteil dennoch unter zehn Prozent. Im Studiengang Simulation Technology (SimTech) pendeln die Zahlen zwischen zwanzig und dreißig Prozent. Beachten muss man, dass sich die Gesamtzahl der Studienanfänger*innen unterscheidet. Während jährlich etwa 30 Studierende das SimTech-Studium beginnen, handelt es sich bei den anderen beiden Studiengängen um Dimensionen von hundert bis vierhundert Studierenden.
Michael Bargende ist Professor am Institut für Fahrzeugtechnik Stuttgart (IFS). Seine Erfahrungen untermauern die Zahlen. Seit Gründung des Studiengangs Fahrzeug- und Motorentechnik am Institut bewege sich der Frauenanteil der Studierenden mit wenigen Ausnahmen bei fünf bis sechs Prozent. Er betont: „Die Frauen, die das Studium beginnen, sind überproportional gut“. Nicht selten blieben die Studentinnen bis zur Promotion am Institut. Für ihn spreche das dafür, dass Frauen einen technischen Berufsweg überlegt wählen. Johannas und Tamaras Erzählungen unterstützen die Annahme. Beide entschieden sich während der Schulzeit für eine technische Laufbahn und eine Karriere im Motorsport. Von diesen Zielen lassen sie sich nicht abbringen.
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Von der Leidenschaft zum Beruf
Heute ist Tamara Motorsport-Entwicklungsingenieurin. Noch während des Mechatronik-Masterstudiengangs ist sie als Renningenieurin unter anderem beim 24-Stunden-Rennen am Nürburgring tätig. Das Besondere: Ihren ersten Streckeneinsatz hat sie 2019 mit dem Girls Only Team von WS Racing. Das Team wurde gegründet, um den Frauenanteil in den Boxen an der Rennstrecke zu erhöhen. Die Medienaufmerksamkeit ist dementsprechend groß: „Zu Anfang haben uns alle auf die Finger geschaut, im Sinne: ‚Was machen die Mädels da?‘. Heute gibt es immer die eine Hälfte, die uns Mädels ein wenig belächelt und die andere Hälfte, die unser Projekt begeistert und uns anfeuert“.
Dass von den wenigen Technikstudentinnen am Ende nur eine Handvoll im Motorsport landet, liegt für Bargende daran, dass die Branche ein Extremfall sei. Ein Bereich, in dem andere Werte als das Geschlecht bestimmend für beruflichen Erfolg seien. „Keine geregelten Arbeitszeiten, ein hoher Stressfaktor, Zeitdruck und viele Reisen“. Sei keine Liebe für den Sport und Technik vorhanden, entscheide sich niemand für eine Karriere in dieser schnelllebigen Branche. Diese Rahmenbedingungen würden Leistung, Leidenschaft und Robustheit erfordern – unabhängig vom Geschlecht.
Bargende ist überzeugt: „Es ist wichtig, dass der Frauenanteil nicht nur im Motorsport, sondern auch in anderen technischen Berufen weiterhin steigt, um Monokulturen aufzubrechen“. Davon würde am Ende jede*r profitieren. Johanna ergänzt ihre Ansicht: „Jeder sollte da sein, wo er ist, durch Leistung und seine Persönlichkeit und eben nicht wegen seines Geschlechts“. Dafür müssten für junge Frauen Vorbilder geschaffen und Einstiegsmöglichkeiten in den Motorsport aufgezeigt werden. Tamara möchte ihr direktes Umfeld inspirieren, indem sie beispielsweise auf Social Media Einblicke in ihre Tätigkeit gibt. Aufgrund ihres Geschlechts regelmäßig in den Mittelpunkt gestellt zu werden, gefällt ihr nicht. Ihrer Wahrnehmung nach ist die Zahl der Frauen im Motorsport in den letzten Jahren gestiegen. Wegen dieser positiven Entwicklung fühlt sich ein Hervorheben der Frauen im Motorsport für sie nicht richtig an. Johanna stimmt ihr zu.
Trotzdem sind beide der Meinung, dass Frauen in der Technik gefördert werden müssen. „Am Ende benötigt es heutzutage noch Unterstützung, damit jede Person ihren Wunschberuf ausüben kann“, so Johanna. Tamaras Erfahrungen unterstützen die Annahme. Bei Rennen mit dem Girls Only Team werde sie oft von Frauen darauf angesprochen, dass Einstiegsmöglichkeiten in den Sport gar nicht offensichtlich seien. Bargende sieht besonders in den Formula Student Teams der Hochschulen eine Möglichkeit, in der Branche Fuß zu fassen.
Initiativen, die den Frauenanteil in Technikberufen stärken:
Initiativen, die den Frauenanteil im Motorsport stärken: