„Wenn Patienten oder Angehörige mich nicht kennen, gehen sie oft davon aus, dass ich der Stationsarzt bin, einfach nur, weil ich ein Mann bin.“
Oliver Feige, seit acht Jahren in der Altenpflege tätig, ist mit einem Anteil von 30 Prozent einer der wenigen Männern in seiner Einrichtung. Damit ist er nicht allein. Laut einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit von Mai 2021 sind nur 20 Prozent aller in Pflegeberufen Beschäftigten Männer. Feige führt diesen Zustand auf ein gesellschaftliches Bild seines Berufstandes zurück, das oftmals nur auf die negativen Seiten reduziert wird: Windeln wechseln, Hintern abwischen, Bettpfannen leeren, dabei stets freundlich bleiben und die Zeit im Blick behalten. „Es ist der kleinste Teil von dem, was gemacht wird. Der Beruf wird leider oft auf die unangenehmen Dinge reduziert“, betont Feige.
Das ist allerdings nicht das einzige Vorurteil, das mit sozialer Arbeit in Verbindung gebracht wird. Laut der Bundeszentrale für politische Bildung ist eine weitere Ursache hierfür, dass soziale Berufe in den Köpfen vieler nach wie vor als typische „Frauenberufe“ gelten. Sie spiegeln die Rolle der Frau als fürsorgliche Mutter wider. Männer hingegen sind in den Köpfen vieler nach wie vor als Haupternährer der Familie verankert.
Früher waren die Rollen fest verteilt:
Der Mann bringt das Geld nach Hause, die Frau kümmert sich um den Haushalt, die Kindererziehung und auch noch die Pflege der Angehörigen. Dabei war es selbstverständlich, dass der Mann in einem typischen „Männerberuf“ tätig war. Wenn diese Rolle nicht bedient wurde, galt Man(n) als Rarität oder vielmehr schon fast als Kuriosität.
„Wenn Patienten oder Angehörige mich nicht kennen, gehen sie oft davon aus, dass ich der Stationsarzt bin, einfach nur, weil ich ein Mann bin.“
Heute haben wir auf der einen Seite die gesetzlich vorgeschriebene Frauenquote in Führungspositionen und die Forderung nach mehr Frauen in von Männern dominierten Berufsfeldern. Auf der anderen Seite stehen jedoch die immer noch herrschenden Vorurteile gegenüber Männern in sozialen Berufen. Das kann auch Frank Alf bestätigen. Er arbeitet als Pfleger im Krankenhaus und wird in seinem Berufsalltag oftmals mit Vorurteilen konfrontiert. „Wenn Patienten oder Angehörige mich nicht kennen, gehen sie oft davon aus, dass ich der Stationsarzt bin, einfach nur, weil ich ein Mann bin. Im Gegenteil dazu werden die Stationsärztinnen oft als Pflegekraft verwechselt.“ Alf betont aber auch, dass er es hauptsächlich mit älteren Patient*innen zu tun habe, bei denen das „alte Denken“ aufgrund der damals herrschenden Sozialisierung noch anders verankert sei. Vor allem bei den jüngeren Generationen nehme er ein Umdenken wahr, beschreibt er.
Auch wenn Männer in sozialen Berufen mit vielen Vorurteilen zu kämpfen haben, erhöht sich die männliche Quote der angefangenen Ausbildungen in diesem Bereich. So stieg beispielsweise der männliche Anteil an angehenden Erziehern laut einer Erhebung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BFSFJ) zum Ausbildungsjahr 2019/2020 um fünf Prozent auf 20,5 Prozent.
Das freut auch den Jugend- und Heimerzieher Jan Müller-Lütken. Ihm ist es ein besonderes Anliegen hervorzuheben, welch wichtige Rolle eine ausgewogene Repräsentation der Geschlechter für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen hat. Wenn diese nicht gewährleistet werden könne, so Müller-Lütken, leide die Entwicklung. Er berichtet weiter, dass die beidseitige Geschlechterrepräsentation vor allem für pubertierende Jungs, die ein starkes Potenzial zur Rebellion hätten, wichtig sei. Diesen fehle oft die Vaterrolle, die nur von einem Mann übernommen werden könne.
Sowohl Müller-Lütken, wie auch Alf und Feige berichten davon, dass man als Mann in einem sozialen Beruf prinzipiell eher für Führungspositionen bevorzugt wird. So sagt beispielsweise Müller-Lütken: „Da es eben so wenige männliche Bewerber gibt, wird man eigentlich direkt herzlichst empfangen“.
Ein Schritt auf dem Weg zu einem ausgeglichenen Verhältnis der Geschlechter könnte der Boys‘ Day sein. Der Jungen-Zukunftstag ist das Gegenstück zum Girls'Day. An diesem Tag wird Jungen die Chance gegeben, Berufe kennenzulernen, in denen aktuell nur wenige Männer arbeiten. Dabei handelt es sich zumeist um Berufe aus dem erzieherischen, sozialen und pflegerischen Bereich.
Auch Oliver Feige, Frank Alf und Jan Müller-Lütken haben Ideen für mögliche Lösungsansätze, wie soziale Berufe vom Image des typischen Frauenberufs gelöst werden könnten.
Es steckt also viel mehr hinter den sozialen Berufen als nur Windeln zu wechseln und die Bettpfannen zu leeren. Obwohl die Zahlen von Männern in diesem Berufsfeld steigen, gibt es noch kein ausgeglichenes Geschlechterbild. Um diesem näher zu kommen, könnten beispielsweise die Lösungsansätze von Feige, Alf und Müller-Lütken eine bedeutende Rolle spielen.