Brautmoden-Branche

Kein Glitzer in der Tüll-Welt

Die Brautmoden-Branche ist nicht so prunkvoll wie sie von außen scheint.
03. Juli 2020

Damit die Hochzeit zum schönsten Tag im Leben wird, trägt sie einiges bei: Victoria Rüsche. Die Inhaberin eines Kölner Brautmodengeschäfts geht mit ihren Kundinnen durch sämtliche Höhen und Tiefen. Diese hat sie beruflich selbst durchlebt. Romantische Liebesgeschichten übertünchen lange nicht die Schattenseiten der Branche. Über falsche Schönheitsideale, Shitstorm im Netz und niedrige Bezahlung.

Victoria, du hast mit 23 Jahren dein eigenes Brautmoden-Atelier eröffnet, bereits eine eigene Brautkleid-Kollektion entworfen und berätst Kundinnen sogar an Wochenenden. Wie hast du das erreicht? 

Als ich mich vor neun Jahren selbstständig gemacht habe, war das super schwierig als Frau, noch dazu, weil ich sehr jung war. Zwischen all den Händlern und Banken war es schwer ernst genommen zu werden, weil es Branchen sind, die von Männern dominiert werden. Ich wurde oft belächelt. Es waren lange Tage und Nächte mit viel Aufopferung.

Jetzt stehst du aber in einem Laden, der deinen eigenen Namen trägt. Erinnerst du dich an den ersten Tag?

Ich bin ausgerastet, als das Telefon zum ersten Mal geklingelt hat. Man war ja vor der Eröffnung öfter schon im Laden, ohne dass es geklingelt hat. Vor fast zehn Jahren war Social Media noch keine Sache, da hat man den Kontakt zum Kunden erst über das Telefon bekommen. 

Wie hat sich denn dein Beruf durch Social Media geändert?

Damals hatten wir Werbung nur über Anzeigen in Brautmagazinen. Das machen wir jetzt gar nicht mehr. Man erreicht viel mehr Leute über Social Media und der Kundenkontakt ist näher. Bräute haben die Möglichkeit, einen direkt über Instagram anzuschreiben: Fragen zu Lieferzeiten, Termine für die Anprobe, … Damals wurde für Kleinigkeiten nicht der Hörer hochgenommen.

„Welche Braut möchte mit so einem Maulkorb heiraten?“

Kommentar auf Instagram

„Welche Braut möchte mit so einem Maulkorb heiraten?“ Dieser Kommentar steht unter einem deiner Instagram-Beiträge, der für viel Aufsehen gesorgt hat. 

Damit zu Corona-Zeiten regelkonform geheiratet werden kann, nähen wir zu den Brautkleidern passende Gesichtsmasken. Es gibt Paare, die heiraten „müssen“, andere wollen sich gerade jetzt das Ja-Wort geben. Um nicht mit kariertem Mundschutz losdüsen zu müssen, ist die Idee entstanden. Bei Instagram wird die Meinung eben schnell kundgetan. Das ist in Ordnung, wir wollen direktes Feedback bekommen. Trotzdem war ich überrascht, dass es viele so negativ gesehen haben.

Du bist gelernte Schneiderin. War das dein Traumberuf? 

Meine Oma war Schneiderin, ihr habe ich immer zugeschaut. Das fand ich schon als Kind spannend. Deshalb stand schnell für mich fest, dass ich irgendetwas in Richtung Mode machen wollte. Nach nichtmal einem Semester habe ich mein Studium geschmissen und eine Schneiderlehre angefangen. Es ist schwierig eine Stelle zu bekommen, außer im Theaterbereich oder in Brautmodengeschäften, daraus hat sich für mich dann das Brautmoden-Feld ergeben.

Die Bezahlung als Schneiderin ist leider recht dürftig … 

Ich weiß, dass es in diesem Berufsfeld auch nicht so coole Jobs gibt, die miserabel bezahlt werden. Wenn man Glück hat, ergattert man gerade noch den Mindestlohn. Ich bin stolz, dass ich es aber geschafft habe, mehreren Frauen einen sicheren Arbeitsplatz zu geben - und mir selbst auch.

Die Schneiderei, in der deine Kolleginnen hauptsächlich tätig sind, ist ein Teil der Arbeit im Atelier. Der andere Part ist die Beratung im Laden. Was ist das Beste daran?

Die ganze Arbeit im Hintergrund macht zwar auch Spaß, aber am aller-, allerliebsten habe ich nichts mit Buchhaltung zu tun, sondern helfe meinen Kundinnen, ihr Kleid zu finden. Wenn ich die schönen Geschichten der Bräute höre, kann ich entspannen. Es ist wie Urlaub.

Und die weniger schönen Geschichten?

Die steckt man nicht so leicht weg. Es kam schon vor, dass die Mami der Braut vor dem Termin gestorben ist. Das ist schon heftig. Oft erzählen die Frauen auch von Krankheiten des Ehepartners oder Dramatisches über komplizierte Liebesgeschichten.

Apropos kompliziert: Man sagt, dass die Begleiter oft anspruchsvoller sind, als die Braut selbst. Was machst du, wenn die Schwiegermutter zu einem Kleid drängt?

Vor der Anprobe erklären wir, dass als erstes die Braut sprechen darf. Bevor wir diese Regel einführten, hatten wir öfter das Problem mit Begleitungen, die es zu gut meinten. Mir tat es leid, wenn die Braut letztendlich kein Kleid genommen hat, das sie gern gehabt hätte. Wenn wir jetzt merken, dass die Braut ihre eigene Meinung nicht äußern kann, dann schreiten wir schnell ein.

Aber wenn sich eine Kundin in ein Brautkleid verliebt, das ihr nicht steht?

Ich halte mich trotzdem zurück. Jede Frau hat an ihrem Körper eine Stelle, die sie nicht unbedingt zeigen möchte. Wenn mir eine Kundin sagt, dass sie diesen Bereich verdecken will, dann finden wir etwas, in dem sie sich gefällt. Hinter all den Vorurteilen, wie eine Frau in einem Brautkleid auszusehen hat, steh ich einfach nicht. Wenn jemand mit Größe 50 ein eng geschnittenes Kleid tragen möchte, dann soll sie das auch bitte, bitte tun. 

Stichwort „Curvy Bride“: Nicht nur Frauen mit Model-Maßen schreiten vor dem Altar.

Jahrelang wurde dieser Punkt von der Industrie komplett vernachlässigt. Ab einer bestimmten Größe gab es keine „schönen“, lockeren, fließenden Kleider zu kaufen. Langsam haben die Labels verstanden, dass nicht jeder Kleidergröße 32 trägt.

Laut der Zalando-Hochzeitsstudie wollen 25 Prozent der Bräute ein Kleid mit Tüll. Dein Stil ist eher Vintage. Müssen Kundinnen auch mal ohne Kleid nach Hause gehen, weil sie falsche Erwartungen haben?

Vor Social Media haben Bräute oft blind Termine in allen Läden gemacht. Da kam es vor, dass Frauen mit ganz anderen Vorstellungen hier waren, die Kleider gesucht haben, die wir gar nicht anbieten. Aber durch Instagram kommen tatsächlich keine Bräute mehr, die ein riesiges Tüll-Prinzessinnen-Glitzer-Kleid suchen.

Wirst du bevorzugt von Bekannten gefragt, die Begleitung bei der Anprobe zu sein? 

Oft schauen wir erstmal im eigenen Laden, aber es ist total spannend, auch einmal in andere Geschäfte zu gehen. Auch da bemühe ich mich darum, mich wie eine ordentliche Begleitperson zu benehmen und versuche, mich zurückzuhalten (lacht). Natürlich sage ich, wenn mir etwas gefällt, dafür ist man ja dabei. Man sollte trotzdem immer darauf hören, was die Braut sagt, das ist die erste Regel. 

2016 hast du die Seite von der Beraterin zur Braut gewechselt. Auf den Bildern deiner standesamtlichen Trauung hast du einen Pulli über dem Kleid getragen. Wie wichtig ist einer Inhaberin eines Brautmodengeschäfts das eigene Hochzeitskleid?

Mir war nur wichtig, dass ich reinpasse, da ich zu der Zeit schwanger war. Von Tag zu Tag habe ich zugenommen. Gefühlt eine Woche vor der Hochzeit mussten wir das Kleid weiter nähen. Außerdem hat meine Kollegin das Kleid selbst genäht, das war mir wichtig.

Was hebt „Victoria Rüsche“ von anderen Brautmodengeschäften ab?

Im Atelier haben wir nur eine kleine Auswahl, weil ich es super überfordernd finde, wenn man in einen Laden mit 500 Kleidern kommt. Ich möchte nicht, dass es hier wie in einer Fabrik wird: Jeder holt sein Kleid und geht einfach wieder. Ich kenne meine Kundinnen „persönlich“, zumindest für einen Augenblick. Das ist das Beste an meinem Job.