Katholische Kirche steht QUEER
Jeden dritten Sonntag im Monat treffen sich homosexuelle Frauen und Männer in der St. Fidelis Kirche in Stuttgart, um gemeinsam den katholischen Glauben zu zelebrieren. Die QUEER-Gemeinde in Stuttgart gilt als eine der ersten, die 1996 katholische Gottesdienste für Schwule und Lesben ins Leben rief, um ein Zeichen für die Gleichbehandlung jedes Menschen zu setzen. Diese Entscheidung stieß damals sowohl auf Befürwortung als auch auf Kritik.
Aufbruchstimmung im konservativen Glauben
Die Initiative ergriff in den 1990er Jahren nicht die Kirche, sondern die Gesellschaft selbst. Nach der Aufklärungswelle über Homosexualität in den 70er und 80er Jahren stieg der Bedarf an Glaubensangeboten, die auch Schwule und Lesben wahrnehmen konnten. Erste Gehversuche gab es bereits Anfang der 90er Jahre. Zu ausgewählten Anlässen, wie beispielsweise dem Christopher Street Day (CSD), hatten Schwule und Lesben erstmals die Möglichkeit, an ökumenischen Gottesdiensten teilzunehmen. Wenig später fassten derartige Angebote auch Fuß in der damals konservativen, katholischen Kirche. Nach dem Vorbild des ersten Projekts für Homosexuelle „Maria hilf“, ebenfalls eine römisch katholische Gemeinde für Schwule und Lesben, aus Frankfurt, fassten erst die katholische Kirche in Stuttgart und wenig später auch viele weitere deutsche Städte den Entschluss, Homosexuelle in die Gemeinde zu integrieren. Inzwischen sind katholische QUEER-Gottesdienste keine Seltenheit mehr.
Welcher Pfarrer ist bereit dazu, einen QUEER-Gottesdienst abzuhalten?
Für die Initiatoren der Bewegung, darunter unter anderem kirchlich engagierte Personen und Theologiestudenten, bestand die erste große Herausforderung darin, katholische Pfarrer für die QUEER-Gottesdienste zu finden. Relativ früh setzte sich der damalige Bischof Walter Kasper für die Bewegung ein und forderte katholische Gemeindemitglieder in einem Schreiben dazu auf, diese Form des Gottesdienstes zu unterstützen. Damit legte er den Grundstein für die Entwicklung des QUEER-Gottesdienstes.
Die Stimmen der Gesellschaft
Seitens der Kirche bekam die Initiative unerwartet wenige Steine in den Weg gelegt. Zum Problem wurden allerdings traditionell oder gar fundamentalistisch denkende Gesellschaftsgruppen. Boykottversuche mithilfe von Flyern, auf denen Sprüche wie„Stoppt die Sünde“ zu lesen waren, wurden gezielt in der St. Fidelis Kirche in Stuttgart ausgelegt, um eine Art „stillen Protest“ zu signalisieren. Die QUEER-Gemeinde ließ sich davon jedoch nicht stoppen und berichtet heute über rückläufige Protestaktionen und Gegenstimmen.
Gleichgeschlechtliche Ehe – auch in der Kirche?
Nicht nur kirchlich sondern auch politisch sorgt die Etablierung und das öffentliche Ausleben homosexueller Partnerschaften für Diskussionen. Zur vollständigen Gleichsetzung mit dem „Rest der Gesellschaft“ sehnen sich homosexuelle Paare danach, die Erlaubnis für die Eheschließung zu bekommen. Nach Jahren des Widerstandes ziert die Vorderseiten diverser Medien am 01.10.2017 die Schlagzeile „Gesetzesänderung: Ehe für alle“. Deutschland zählt somit weltweit zu den rund 20 Ländern, in denen Schwule und Lesben ganzheitlich die gleichen Rechte haben wie Heterosexuelle. Die Welt ist gespalten: Während in einigen Ländern die Ehe zwischen Homosexuellen zur Normalität geworden ist, gibt es tatsächlich auch heute noch Länder, in denen Homosexualität als Straftat gilt.
Die kirchliche Eheschließung ist homosexuellen Paaren bis heute weltweit untersagt. Laut Hochschulpfarrer Matthias Haas wird das auch in Zukunft so bleiben, da die Ehe im katholischen Glauben ein heiliges Sakrament ist, das die Offenheit für Nachwuchs impliziert. Alternativen für homosexuelle Paare sind bislang umstritten.
Der „etwas andere“ Gottesdienst?
Die St. Fidelis Kirche in Stuttgart bietet Homosexuellen einen geschützten Raum, in dem Homosexualität bewusst nicht im Fokus steht. Den Teilnehmern des Gottesdienstes soll nicht das Gefühl vermittelt werden, zu einer katholischen „Randgruppe“ zu gehören. Als vollwertige Mitglieder der katholischen Gemeinde nehmen sie daher an einem ganz normalen Gottesdienst teil. Der einzige Unterschied: Im QUEER Gottesdienst sind sie keiner negativen Aufmerksamkeit ausgesetzt. Keiner stört sich daran, wenn zwei Männer den Friedensgruß mit einem Kuss besiegeln. Die warme und herzliche Atmosphäre tragen die Gottesdienstteilnehmer auch nach außen, indem sie jeden Menschen, unabhängig von seiner sexuellen Orientierung, in ihrem Gottesdienst willkommen heißen.
QUEER-Gottesdienste und die junge Generation
Zu Zeiten von Social Media werden QUEER-Gottesdienste kaum medial kommuniziert. Die Zahl der Gottesdienstteilnehmer in Stuttgart pendelt sich inzwischen bei einer deutlich gesunkenen Zahl von circa 20 ein. Grund dafür könnte die mangelnde Kommunikation derartiger Angebote sein, die auf die immer noch bestehende Angst vor Diskriminierung zurückzuführen ist. Andererseits fällt beim Besuch des Gottesdienstes auch auf, dass überwiegend Personen mittleren Alters anzutreffen sind. Doch warum werden QUEER-Gottesdienste nicht von Schwulen und Lesben der jungen Generation genutzt? Die 26-jährige Janine ist homosexuell und hat darauf eine ganz klare Antwort: Der Grund dafür sind bestehende Vorurteile.
Es bleibt schlussendlich zu hoffen, dass sich die katholische Kirche im Hinblick auf fundamentalistische Strukturen und Denkweisen wie „die Kirche darf sich niemals der Gesellschaft anpassen“ weiterentwickelt und dadurch der Gesellschaft dabei hilft, Grenzen vollständig zu überschreiten.
Du möchtest auch am Gottesdienst teilnehmen?
Der Gottesdienst findet immer am 3.Sonntag im Monat um 18.00 Uhr statt.
Wegen Umbauarbeiten an der St.Fidelis Kirche wird er übergangsweise bis Herbst 2019 in der Mutterhauskirche der evang. Diakonissenanstalt, Rosenbergstr. 40 abgehalten .(Stadtbahn Linie U 4, Richtung Hölderlinplatz, Haltestelle Rosenberg-/Seidenstraße "Diakonie-Klinikum")
Termine 2019:
- 20.01.2019
- 17.02.2019
- 17.03.2019
- 21.04.2019 (Ostersonntag)
- 19.05.2019
weitere Infos erhaltet Ihr unter http://www.queergottesdienst-stuttgart.de/index.htm