„Der Krieg hatte eine so große Bedeutung und war auf einmal so nahe.“
„Unsere Arbeit zum Ukraine-Krieg ging über den Journalismus hinaus“
Tabea Stock ist seit 2021 Redakteurin in der Online-Redaktion des Katapult-Magazins. Studiert hat sie Onlinejournalismus und Humangeographie. „Katapult“ verarbeitet sozialwissenschaftliche Studien und Statistiken zu farbenfrohen, teils witzigen Grafiken und richtet sich damit vor allem an junge Leser*innen. Neben ihren erfolgreichen Social-Media-Kanälen, für die unter anderem Tabea Stock zuständig ist, gibt es das Magazin auch als Print-Ausgabe mit einer Auflage von rund 150.000 Exemplaren und 80.000 Abonnent*innen (Stand August 2021). Seit der Schwerpunktverlegung zu Beginn des Krieges in der Ukraine ist die Zahl der Leser*innen, vor allem auf den Sozialen Medien, stark angestiegen.
Am 24. Februar überfiel Russland die Ukraine und der Krieg begann. Ziemlich schnell habt ihr dann euren kompletten Feed von viel sozialwissenschaftlichen und politischen Hintergrundberichten auf aktuelle Kriegsberichterstattung umgestellt. Woher kam dieser plötzliche Schwerpunktwechsel?
Der Krieg hatte eine so große Bedeutung und war auf einmal so nahe. Die journalistische Relevanz war so groß, dass wir eigentlich gar nicht anders konnten, als uns 24/7 auf die Berichterstattung zu stürzen. Wir mussten diesen Krieg einfach journalistisch abbilden, das haben auch unsere Follower*innen von uns erwartet.
Welche Probleme brachte die Umstellung mit sich?
Die ersten Tage haben wir bis tief in die Nacht rein gearbeitet und manche haben sogar im Büro geschlafen. Uns haben die Ereignisse ziemlich überrollt, weil wir anfangs auch noch nicht richtig organisiert waren.
Wir haben dann aber ein Schichtsystem eingeführt, mit dem wir 24 Stunden abdecken und trotzdem in unserer normalen Arbeitszeit bleiben konnten. Das hat einiges erleichtert.
Das heißt, ihr habt euch die meiste Zeit des Tages mit dem Krieg beschäftigt. Wie hat sich das privat auf euch ausgewirkt?
Vor allem die Arbeit auf Social Media ist viel emotionale Arbeit. Man wird nicht nur die ganze Zeit mit Kriegsbildern konfrontiert, sondern auch mit Menschen, die einen persönlich angreifen. Da ist es schon schwierig, sich zu distanzieren, weil man nicht nur als Redakteurin, sondern auch als Privatperson involviert ist. Durch die viele Zeit, die wir in der Redaktion verbracht haben, gerieten wir in einen Sog, aus dem wir nun wieder rauskommen wollen. Deshalb suchen wir gerade auch nach therapeutischer Unterstützung.
„Vor allem die Arbeit auf Social Media ist viel emotionale Arbeit.“
Ihr habt euch dann als Unterstützung 15 Ukrainer*innen mit journalistischer Erfahrung dazu geholt. Wieso keine deutschen Journalist*innen?
Das Schwierigste an der Kriegsberichterstattung ist, als Menschen, die in Deutschland sitzen, an verifizierte Informationen zu kommen. Wir wollten nicht als deutsches Medium über die Ukraine berichten, sondern versuchen, die Menschen vor Ort einzubeziehen und mit ihnen zusammen zu arbeiten.
Für euer kleineres Magazin mit bisher 44 Mitarbeitenden sind das relativ viele neue Angestellte auf einmal. Wie habt ihr das finanziert?
Einige unserer Mitarbeitenden haben für einen Monat auf einen Teil ihres Gehalts verzichtet. Dann gab es aber so viele Spenden, dass wir die ukrainischen Journalist*innen gut finanzieren und sogar vier von ihnen zu uns nach Greifswald holen konnten.
Das Land eurer ukrainischen Mitarbeitenden wird gerade angegriffen, das muss für sie ein sehr emotionales Thema sein. Wie könnt ihr deren Neutralität garantieren?
Das ist wirklich eine Herausforderung. Im Austausch mit den Menschen in der Ukraine haben wir auch oft Texte zugesendet bekommen, die nicht journalistisch neutral waren. Wir haben gemerkt, dass wir super vorsichtig sein müssen mit den Infos, die wir bekommen. Das hatten wir so nicht erwartet.
Wie seid ihr dann damit umgegangen?
Mit einigen haben wir tatsächlich die Zusammenarbeit beendet. Mit den anderen sind unsere ausgebildeten Journalisten aus Greifswald vor Ort die journalistischen Standards durchgegangen.
Seit Kriegsbeginn habt ihr eine eigene Ukraine-Redaktion aufgemacht, einen Liveblog gestartet, Büroräume zu Anlaufstellen für Geflüchtete umgebaut, nächtelang durchgearbeitet und sogar teilweise auf euer Gehalt verzichtet. Das ist ja schon sehr viel, was ihr für die Ukraine tut. Würdest du sagen, dass ihr Aktivismus betreibt?
Ich glaube, wenn man sich im Journalismus mit Politik befasst, bleibt es nicht aus, sich zu positionieren und gerade in diesem Fall mussten wir uns einfach positionieren. Unsere Arbeit zum Ukraine-Krieg ging über den Journalismus hinaus und war zum Teil auch Aktivismus, aber wir konnten einfach nicht anders.
„Unsere Arbeit ging über den Journalismus hinaus und war zum Teil auch Aktivismus.“
Siehst du darin ein Problem?
Solange man das transparent macht, was wir gemacht haben, finde ich das absolut okay. Wir helfen den Menschen, die es gerade brauchen. Unsere journalistischen Standards als Redaktion haben wir ja nach wie vor.
In diesem Krieg gibt es ja zwei Kriegsparteien. Wie bildet ihr die russische Seite ab?
Natürlich ist es wichtig, auch die russische Seite darzustellen. Dafür haben wir eine Journalistin in Russland und veröffentlichen jetzt auch ein Buch mit hundert Karten über Russland.
Habt ihr durch die Schwerpunktverlegung einen Unterschied in der Social-Media-Community gemerkt?
Die Anzahl der Follower*innen ist ziemlich gestiegen und auch die Interaktionen wie Kommentare waren viel, viel mehr. Wir wurden überschüttet mit Nachrichten von ganz unterschiedlichen Menschen. Da war super viel positives Feedback dabei, aber auch Leute, die helfen wollten oder Hilfe brauchten und sich an uns als aktivistisches Medium gewandt haben. Auf der anderen Seite haben sich auch Menschen wegen unserer journalistischen Kompetenz an uns gewandt, zum Beispiel mit Videos, die wir verifizieren sollten.
Ihr bekommt also nicht nur Informationen von euren Leuten vor Ort, sondern auch von Social-Media-Nutzer*innen. Wie verifiziert ihr die Infos, die ihr bekommt?
Oft kann man anhand der Profile der Menschen schon gut einschätzen, ob die gesendeten Informationen glaubwürdig sind. Ansonsten sind wir in der Redaktion im Austausch und schauen auch darauf, ob andere Medienhäuser schon darüber berichtet haben. Am wichtigsten ist, die Quellen so transparent wie möglich zu machen oder auch Themen einfach nicht zu bearbeiten, über die kein guter Konsens herrscht.
„Am wichtigsten ist, die Quellen so transparent wie möglich zu machen.“
Bei der Arbeit auf Social Media kommt es auch auf Schnelligkeit an, vor allem bei aktueller Berichterstattung. Ist eure Arbeit dadurch fehleranfälliger?
Ja absolut. In der Online-Redaktion haben wir kein Printmagazin, über das man noch mehrmals drüber gehen kann, sondern stehen oft unter Zeitdruck. Dafür haben wir hier aber das typische Vier-Augen-Prinzip und eine Doku-Schleife, bei der eine Person nochmal schaut, ob auch alle Infos stimmen und richtig dargestellt sind.
Wie geht ihr damit um, wenn doch mal Fehler passieren?
Uns sind viele Fehler passiert, das muss ich zugeben. Wenn Karten faktisch falsch sind, löschen wir diese auch, aber keine Karte verschwindet. Wir haben einen Transparenzblog geschaffen, auf dem wir Karten mit falschen Informationen nochmal richtig posten und klar machen, was falsch war.
„Uns sind viele Fehler passiert, das muss ich zugeben.“
Durch die Umstellung hat euer Magazin mehr Aufmerksamkeit erlangt. Ist auch die Kritik mehr geworden?
Allgemein waren die Zustimmung und die Unterstützung sehr groß. Die größte Kritik war, dass es ja nicht nur den Krieg in der Ukraine gibt. Da der Krieg ein hoch politisch aufgeladener Konflikt ist, wurde uns auch oft Propaganda und die Verbreitung von Fake News vorgeworfen.
Wie geht ihr mit solcher Kritik um?
Wir versuchen immer direkt darauf einzugehen und die Leute über unsere Arbeit aufzuklären. Manchmal war es aber so, dass wir von Troll-Armeen überrannt wurden, die unsere Reichweite nutzen wollten, um ihre Fake News zu verbreiten. Da ging es dann nicht anders, als auch viele Kommentare einfach zu löschen.
Wie lange werdet ihr den Ukraine-Schwerpunkt noch beibehalten?
Wir haben es schon wieder zurückgefahren. Unser Feed ist wieder durchmischter und das Schichtsystem ist mittlerweile auch nicht mehr 24/7. Es ist aber nicht so, dass der Krieg in den Hintergrund rückt und wir dann unsere Leute abziehen. Auch die Arbeit mit den ukrainischen Mitarbeitenden ist langfristig ausgelegt. Unsere Kolleg*innen hier und in der Ukraine werden weiterhin Inhalte zum Krieg für Instagram produzieren.