Grüße aus dem Jammertal
Im letzten Jahr haben wir wahrscheinlich alle etwas mehr als sonst gemeckert. Mal war es das Homeoffice, mal die Ausgangssperre und mal unsere Maske, die wir schon wieder nirgends finden konnten. Als Krönung des Ganzen platzt nun für viele auch noch der Traum des langersehnten Sommerurlaubs. Sich in Zeiten von Corona zu beschweren, scheint also keine große Kunst zu sein, denn darunter leiden wir alle. Das Gerücht, dass gerade wir Deutschen außerordentlich gerne jammern, hält sich dennoch wacker. Und wenn wir ehrlich sind, dann haben wir doch auch vor der Pandemie einiges zum Rumnörgeln gehabt. Nicht umsonst bietet unsere Sprache viele tolle Begriffe, um dieses lang antrainierte Hobby zu beschreiben. Also ganz egal, ob man nun rummault, zetert oder jammert, entscheidend ist, dass jedes Mal irgendetwas nicht passt.
Früher haben wir uns mit hochrotem Kopf über den lauten Nachbarn, den überteuerten Online-Shop oder die Kassiererin aufgeregt. Schließlich waren die der Grund, warum alles gerade schieflief. Heute ist das Ganze einfacher. Egal was auch passiert: Es liegt einfach an Corona. Denn wenn ich mich in meinem Umfeld mal so umhöre, dann war die Pandemie ebenso der willkommene Grund für das ein oder andere Liebesaus oder die schlechten Ergebnisse der Prüfungen.
Liegt's an Corona oder liegt's an mir?
Geht es uns also besser, wenn wir einen Grund haben, warum nicht alles nach Plan läuft? Wenn ja, dann haben wir mit Covid-19 den Übeltäter-Jackpot gezogen, denn darauf können wir einfach alles schieben. Das klingt erstmal rosarot, ist aber doch eher ekelig grau. Und so sollten wir uns manchmal fragen: Liegt‘s an Corona oder liegt‘s an mir, dass ich den Müll nicht rausbringe oder meine Haare nicht aus dem Duschsieb entferne?
Doch neben den kleineren Dingen, an denen Covid-19 die vermeintliche Schuld trägt, gibt es auch noch deutlich düstere Kapitel. Eins steht fest: Corona tut unserer Seele nicht gut. Und so ist es ein bitterer Fakt, dass sich im Zuge der Pandemie immer mehr Menschen einsam fühlen. Die Umfrageergebnisse des Cybersicherheitsunternehmen Kaspersky zeigen: Rund die Hälfte der Deutschen hatte 2020 vermehrt ein Gefühl der Einsamkeit. Bei der jungen Generation (nach 1994 geboren) waren es sogar rund 60%. Fest steht jedoch: Nicht einzig und allein der Virus ist schuld. Auch in den Jahren vor der Pandemie gab es vermehrt Schlagzeilen zu unserem Trend des Einsamseins. Laut einer KIGGS Langzeitstudie ist die Einsamkeitsquote von 2011 bis 2017 in manchen Altersgruppen bis zu 15% gestiegen. So scheint es, als würde die Pandemie unserem Land auf den Schlips treten und Missstände verdeutlichen, für die nicht nur Covid-19 verantwortlich ist. Und was tun wir? Wir meckern erstmal, denn daran sind sicher die anderen schuld.
Sind wir mal ehrlich: Vielleicht liegt es sogar an uns selbst, dass sich jemand noch etwas einsamer fühlt. Es mag uns zwar leichter fallen, Corona die Schuld für alles zu geben, jedoch sind es dann doch wir, die viel zu selten bei Oma anrufen. Auch unseren Mitmenschen könnten wir wieder öfter ein Lächeln schenken, anstatt zu hoffen, dass uns bloß niemand Bekanntes begegnet.
Mecker-Kultur
Mich selbst nervt die Feel-Good-Mentality zwar auch öfter, jedoch bringt uns unsere Mecker-Kultur auch nicht weiter. Denn während wir dann in Jogginghose im Homeoffice sitzen und uns ein Nutella-Brot nach dem anderen reinziehen, beschweren wir uns über die Pandemie. Und über die extra Pfunde. Schon irgendwie komisch, oder? Schließlich war davor doch das fettige Mensa-Essen schuld, dass wir zugenommen haben, und jetzt im Homeoffice essen wir trotzdem keine Quinoa-Gemüsepfanne mit Hafer-Dip.
Aber stimmt es überhaupt, dass in Deutschland mehr genörgelt wird als anderswo? Nachdem ich ein Jahr in Westafrika verbracht habe, weiß ich: Jede*r meckert auf seinem eigenen Niveau, angepasst an die eigenen Lebensumstände. Während Kinder irgendwo im ghanaischen Regenwald über den kilometerlangen Schulweg jammern, beschwert sich irgendjemand im Schwarzwald über den langsamen Laptop. Gemeckert wird überall auf der Welt, nur eben über die unterschiedlichsten Dinge. Die Frage ist nur, wann hat man Grund genug zu meckern? Wenn man uns das jedoch vor Augen hält, dann bringt es uns eher auf die Palme als auf den Boden der Tatsachen. Aussagen wie: „Anderen geht es viel schlechter“ oder „Beate hat‘s viel schlimmer erwischt“ helfen also nur bedingt.
Auch die schweren Schicksale, die direkt vor unserer Nase passieren, scheinen uns eher zu unserem eigenen Leid zu inspirieren als dieses abzumildern. Wer also ohnehin schon im Corona-Mecker-Flow ist, für den ist die Kündigung der Kollegin wie der Spiritus im Feuer. Man hat einfach einen Grund mehr, warum bei einem selbst gerade alles super schwierig ist. Dabei sollte man sich doch eher fragen, ob es einem nicht vergleichsweise gut geht. Schließlich bedeutet Corona für jede*n von uns etwas anderes. Für die einen fällt der langersehnte Bali-Urlaub ins Wasser und für die anderen ist seit der Pandemie nicht mal mehr der Tropical-Obst-Cocktail von Aldi drin. Vielleicht sollte man sich manchmal doch die eigene Situation ganz genau ansehen und sich fragen, ob diese wirklich eine Zeterei wert ist? Schließlich ist es eben doch die eigene Einstellung, die unsere Wahrnehmung und Zufriedenheit bestimmt.
Wir sind so eine 6,74 von 10 zufrieden
Laut der Umfrage des Deutsche Post Glücksatlas lag unsere Lebenszufriedenheit im Krisenjahr 2020 auf einer Skala von 0 bis 10 bei 6,74 Punkten. So unzufrieden waren wir letztes Mal 2006 und da haben wir Songs wie „I‘m bringing sexy back“ von Justin Timberlake geträllert und waren somit ziemlich arm dran. Es scheint also kein Wunder zu sein, dass wir viel Nörgeln. Wir verschaffen uns damit emotionale Entlastung. Es ist eine Art Ventil für unseren Gefühlshaushalt. In der Psychologie beschreibt man diese Entlastung auch als Katharsis-Effekt. Man meckert sich den Frust also buchstäblich von der Seele. Ob wir dadurch zufriedener werden, ist die andere Frage. So richtig glücklich sehen die meisten von uns nach einem Jammer-Vortrag jedenfalls nicht aus.
Vielleicht ist diese Mecker-Kultur aber auch einfach viel zu fest in uns verankert. Schließlich jammern wir sogar, wenn wir frisch verliebt sind, und da präsentiert man sich doch eigentlich von seiner besten Seite. Leider falsch gedacht. Wir verwenden Rumgejammer als regelrechtes Mittel zum Zweck und so beschwert sich die Angebetete über die eisige Kälte und erhofft sich dadurch die warme Jacke ihres Liebsten.
Das ist aber noch nicht alles. Wir versuchen übers Nörgeln auch Anschluss zu finden. Wir möchten quasi mit anderen sympathisieren, weil wir so ein toller Rumheuler sind. Kein Scherz! Kaum ein Kommunikationsmittel scheint hierzulande so gut zu funktionieren. Wer sich also lautstark über den verspäteten Bus aufregt, den Chef oder das Wetter, der findet schnell Gleichgesinnte. Diese Angewohnheit könnte zumindest erklären, warum wir Nörgelei zu unserem Aushängeschild gemacht haben. Aber warum nutzen wir nicht unsere Energie, die wir ins Meckern stecken, um unsere persönliche Situation zu verbessern? Laut dem irischen Schriftsteller Oscar Wilde ist Unzufriedenheit der erste Schritt zum Erfolg. Im besten Fall resultiert aus unserem Rumgenöle also ein regelrechter Tatendrang.
Wir tindern uns durch die Krise
Dieser Tatendrang ist besonders beim Dating zu beobachten. Erst wurde gemeckert, dass man in Zeiten von Corona niemanden kennenlernen kann und inzwischen gibt es doch etliche Corona-Pärchen. Nach ewigem Auf-der-Couch-Rumgammeln griffen Millionen Menschen weltweit zu Dating-Apps. Nach Angaben von Tinder wurden zu Beginn der Pandemie 52% mehr Nachrichten versendet. Doch nicht nur die Art des Datings hat sich geändert, sondern auch die Unternehmungen. Wer früher noch bei einem eleganten Abendessen eine Flasche Wein köpfte, der läuft heute für einen kleinen Flirt kilometerweise durch den Park. Anstelle von Netflix & Chill gibt es dann mit 1,5-Metern-Abstand-auf-der-Parkbank-Sitzen & Chill. Klingt doch auch verlockend? Nein, mal ehrlich, wer mit offenen Augen durch die Welt geht, der wird sehen, dass es unter uns Deutschen immer noch knistert. Vielleicht mit Maske, aber immerhin.
Mein Rumgenöle ist Grund genug, etwas zu ändern
Wie wäre es also, wenn wir auch in anderen Lebensbereichen aus unserer Badewanne der Jammerei aussteigen? Ganz nach dem Motto: Mein Rumgenöle ist Grund genug, etwas zu ändern. Und damit meine ich nicht, sich nach Ewigkeiten wieder die Haare zu waschen. Denn jeder von uns weiß, dass die Pandemie viel Unheil angerichtet hat, was bringt es da noch stundenlang zu meckern? Lasst uns doch lieber die Zeit nutzen. Die Zeit mit den Kindern, die Zeit mit dem Partner, aber auch die Zeit mit uns selbst. Jammernd können wir bestimmt nicht das Beste draus machen.