Geschlechtsidentitäten

Jenseits von männlich und weiblich

Junge Menschen fordern noch mehr Vielfalt.
14. Jan. 2019

Was wir nicht kennen, gilt in unserer Gesellschaft als oft als komisch. Diese Denkweise lässt jedoch viele Menschen leiden, die anders sind.  Harri und Jonte sind nicht-binär, also weder männlich noch weiblich. Mit uns sprechen sie über ihre Identität, Herausforderungen sowie kleine  und doch große Träume.

Es sind die kleinen Dinge im Leben, über die  sich die beiden 19-jährigen Abiturient*innen Harri und Jonte oft große  Gedanken machen müssen. "Bei öffentlichen Toiletten überlege ich zuerst,  welche Toilette für mich keine Gefahr wie z.B Belästigung darstellt", erzählt Harri, als wir die beiden für ein Interview treffen durften.  Probleme, wie sich ständig erklären zu müssen, weil auf dem Pass der Geburtsname steht oder bei der Arbeit und in der Schule falsch  angesprochen zu werden, sind für nicht-binäre Personen alltäglich. Auf  dem Papier ist Jonte als männlich und unter einem anderen Namen als ks  gewähltem Namen eingetragen, doch das sage nichts über k aus. "Ich  freunde mich nicht mit strikten Labeln an. Wenn ich gefragt werde, wie  viele männliche und weibliche Anteile ich habe, sage ich einfach: ich habe 100% menschliche Anteile."

Welche Pronomen benutzen nicht-binäre Menschen?

Bei  männlichen und weiblichen Personen ist die Ansprache einfach er oder  sie. Das gilt jedoch nicht unbedingt für genderqueere und nicht-binäre  Menschen. Allgemeine Pronomen wären beispielsweise sie*er mit dem "Gendersternchen" oder sie_er mit der "Gendergap". Ansprachen wären so  beispielsweise Frau*Herr oder Frau_Herr. Jonte und Harri verwenden individuelle Pronomen. Harri verwendet das Pronomenset nim/nims, ein  Beispiel wäre: Nim hat nims Schlüssel vergessen. Jonte verwendet das  Pronomenset k/ks, ein Beispiel dafür wäre: K hat ks Schlüssel vergessen.  Welche weiteren Pronomenes für nicht-binären Menschen gibt, könnt ihr  auf Nibi-Space nachlesen.

Was bedeutet was?

cisgender: Personen, deren Geschlechtsidentität mit dem Geschlecht übereinstimmt, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde.

transgender: Personen, deren Geschlechtsidentität nicht mit dem Geschlecht übereinstimmt, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde; einige nicht-binäre Menschen würden sich als trans bezeichnen, einige jedoch nicht.

queer: Menschen, die nicht heterosexuell und/oder nicht cisgender sind; oft ein Überbegriff für Menschen aus der Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender Queer (LGBTQ) - Community.

intersexuell: Menschen die genetisch, hormonell oder auch anatomisch nicht eindeutig dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugeordnet werden können.

Harri und Jonte werden noch hauptsächlich  mit ihren nicht geschlechtsneutralen Geburtsnamen angesprochen, was für  die beiden ein großer Störfaktor ist. "Als nicht-binäre Person ist es in  Deutschland nicht möglich, den Vornamen zu ändern", erklärt Harri. "Es  ist nur entweder für binäre Trans*-Personen, also von männlich zu  weiblich oder umgekehrt, oder für Menschen mit Traumaerfahrung möglich.  Doch selbst da braucht mensch mehrere Gutachten." Für Jonte ist die  Ansprache mit ks gewähltem Namen noch wichtiger als die Pronomen, denn  dieser macht ein großes Stück ks Identität aus.

Non-binaries sind oft auf den CSDs vertreten.

Identitätsfindung ist ein Prozess

In  der Pubertätsphase sind die beiden zum ersten Mal auf genderqueere Themen gestoßen und so kam langsam auch das innere Coming Out. Das  innere Coming Out ist der Zeitpunkt, an dem eine Person die Identität, das Geschlecht oder die Sexualität akzeptiert. "In der Kindheit wusste  ich natürlich noch nicht, dass es außer Mann und Frau noch etwas anderes gibt. Als ich mich zum ersten Mal damit befasst habe, was es denn bedeutet, sich männlich oder weiblich zu fühlen, habe ich gemerkt, dass  ich überhaupt nicht in das binäre System unserer Gesellschaft passe",  erzählt Harri. Mit nims Familie und nims engen Freundeskreis hat Harri  bereits darüber gesprochen, in der Schule ist nim noch nicht geoutet. Jonte hat sich bei wenigen Freunden als nicht-binäre Person geoutet,  auch k tut sich besonders in der Schule und im Sportverein schwer, denn  oft ist keinerlei Akzeptanz vorhanden:

Der Unterschied zwischen Sex und Gender

Im  Deutschen gibt es nur das Wort Geschlecht, während zum Beispiel im Englischen zwischen "sex" und "gender" unterschieden wird. während "sex" die biologischen Eigenschaften beschreibt, steckt hinter "gender" das  soziale Geschlecht und die damit verbunden Normen und Konstrukte. Besonders im Netz lese mensch häufig abfällige Kommentare, dass  nicht-binäre Identitäten ein ausgedachtes Phänomen seien und dass Menschen sich demnach auch als Tiere identifizieren könnten. Doch dabei  vergessen viele, zwischen den Geschlechterbegriffen zu unterscheiden.  "Das Geschlecht, also das Gender, ist etwas, das nicht von außen nicht  feststellbarer ist, es ist eine innere, psychologische Identität",  erklärt Harri. "Andere Menschen können von außen nicht in mich  hineinschauen. Sie können lediglich eine grobe Einschätzung machen. Ob  ein Individuum aber ein Mensch oder ein Tier ist oder eine Person  dunkel- oder hellhäutig ist, lässt sich von außen feststellen."

100 Prozent Mensch sein

Mehr Sichtbarkeit und Akzeptanz für Vielfalt erhoffen sich Harri und Jonte -  in der Gesellschaft und im Gesetz. Ihnen gehe es auf keinen Fall darum,  das männliche und weibliche Genus abzuschaffen, sondern dass neben  diesen beiden weitere existieren können. "Ich fände es gut, wenn es bei  der Geburt für Eltern die Möglichkeit gäbe, die dritte Geschlechtsoption anzukreuzen, damit das Kind das später selbst entscheiden könnte", schlägt Jonte vor. Zwar besteht seit dem 1. Januar 2019 die Möglichkeit als offiziellen Geschlechtseintrag "divers" anzugeben, doch diese Option  steht allein intersexuellen Menschen offen. Sichtbarkeit und Akzeptanz  entstehen aber vor allem durch eines: Aufklärung. "Solche Themen in der  Schule zu behandeln würde queeren Jugendlichen das Leben um vieles  Leichter machen. Da es ein gesellschaftliches Thema ist, sollte mensch  nicht nur in Biologie, sondern auch in Gemeinschaftskunde darüber  sprechen." Als wir die beiden fragten, was sie sich persönlich für die  Zukunft wünschen, muss Harri nicht lange überlegen: