Für die Öffentlichkeit ist Empathie nur ein Stilmittel
Im Januar 2020 wurde auf das Bürgerbüro von Karamba Diaby in Halle an der Saale mehrfach geschossen. Die Dokumentation ,,Empathie in Politik und Gesellschaft” von Gresa Ferataj, David Wirth und Tim Riegel beginnt mit der Verkündung im Bundestag zum Vorfall des Anschlags. Dabei wird Mitgefühl geäußert und betont, dass ,,in einer Demokratie Gewalt niemals Mittel der Auseinandersetzung sein darf”. Die Bundestagsabgeordneten reagieren emphatisch in Form von Applaus. Danach wird auf ein Interview mit SPD-Politiker Karamba Diaby geschnitten, der sich selbst vorstellt. Ein cleverer Dokumentationsstart, der den Zuschauer unmittelbar einen Teil der Konversation sein lässt. Diese Persönlichkeitsebene erzeugen die Macher*innen Gresa, David und Tim aus dem Studiengang Medienwirtschaft, indem sie in Interviewsituationen ihre Fragen nicht zeigen, sondern nur Antworten stehen lassen. Auch Kurzaufnahmen aus den Lebensbereichen der Portraitierten während des Original-Tons personalisieren die Betrachtungsweise. Gut gelungen!
Mitgefühl - ein Teilaspekt
Sprachwissenschaftler Josef Klein gibt als neu eingeführter Gast eine analytische Perspektive und erwähnt das Mitgefühl, welches ein Teilaspekt der Empathie ist. Die Begriffe stehen für eine Art Reflexion und die Inbezugnahme der eigenen Gefühlswelt in Betrachtung einer Aktion. Alternativ kann mit Emotionen die Wahrnehmung des Empfängers beeinflusst werden, wie es in der Politik Alltag ist.
Darauf folgt die Einführung von Dominique Brewing und Anja Haas, die konträr zu der analytischen Betrachtungsweise den künstlerischen und kreativen Ausdruck von empathischem Verhalten in unserer Gesellschaft verkörpert. Die Kunstbewegung für radikale Empathie soll nach eigenen Angaben der Künstler*innen ,,einen Impuls geben”, eben das, was Empathie ist: Ein Impuls, ein Gefühl, gewisse Schwingungen und Empfindungen, die von Mensch zu Mensch ausgetauscht werden. Der Begriff in der politischen Kommunikation kann sowohl dezent als auch bewusst deutlich eingesetzt werden. Dies zeigt die Kurzdokumentation anhand der Redetechniken der AfD, die zum Beispiel versucht, mit dem Erwähnen der Besorgnis über kulturelle Veränderung, eine empathische, mitfühlende Reaktion bei Wähler*innen und Bürger*innen zu erzielen. Die Gewalt, die aus dem Schüren solcher Ängste entspringt, beinhaltet hohes Potenzial für Gewaltdelikte.
Die dargestellten Personen aus der Dokumentation sind passend gewählt und haben einen wertvollen Stellenwert, da alle aus verschiedenen Positionen und Situationen Empathie verkörpern und damit Facettenreichtum erzeugen. Die drei Erzählstränge stehen dabei unabhängig voneinander. Der uninformierte Zuschauer wird ins kalte Wasser geworfen und benötigt vermutlich einen Moment der Eingewöhnung. Ist das Konzept dann aber verstanden, findet man Gefallen daran, wie abwechslungsreich der Film performt.