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Fehlalarm für Feinstaub?

Frau steht vor Stuttgarter Messstation und hält sich die Nase zu.
Die Messstation an der Hohenheimer Straße hatte 2023 einen Jahresmittelwert von 16 µg/m³ Feinstaub. Hier wurde der Grenzwert dreimal überschritten. | Quelle: Danah Ruf
30. Mai 2024

Feinstaubalarm in der Autostadt: Im Kessel ist die Luft schlecht! Mit langjährigen Maßnahmen hat Stuttgart dem Feinstaubalarm die Stirn geboten. Inzwischen ist hier die Luft deutlich sauberer geworden. Das belegen die Werte an den Messstationen. Schaut man genauer hin, so stehen in Stuttgart die meisten dieser grauen Kästen an verkehrsbelasteten Stellen. Sind solche Standorte repräsentativ für die Luftqualität einer ganzen Stadt? Eine Analyse.

Schlechte Luft macht krank und kann sogar zum Tod führen. Nach Angaben der Europäischen Umweltagentur (EEA) starben im Jahr 2021 etwa 253.000 Menschen vorzeitig an den Folgen zu hoher Feinstaubbelastungen. Die gesundheitlichen Auswirkungen von Feinstaub hängen von der Größe und der Eindringtiefe der Partikel ab. Größere Partikel (PM10) gelangen beim Menschen nur bis in die Nasenhöhle, während kleinere Partikel (PM2,5) bis in die Bronchien und Lungenbläschen vordringen. 

Seitdem diese Auswirkungen von Feinstaub auf die menschliche Gesundheit bekannt sind, steht die Reduzierung dieser Feinstaubbestandteile im Vordergrund der Luftreinhaltepolitik. Um dagegen vorzugehen, werden in Deutschland seit den 2000er Jahren flächendeckende Feinstaubmessungen durch das Umweltbundesamt durchgeführt. In Europa darf der PM₁₀-Jahresmittelwert 40 Mikrogramm nicht überschreiten. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt sogar einen deutlich geringeren Richtwert von 15 Mikrogramm.

Unter dem Begriff Feinstaub werden der primär emittierte und sekundär gebildete Feinstaub zusammengefasst: 

Primärer Feinstaub wird unmittelbar an der Quelle freigesetzt, zum Beispiel bei Verbrennungsprozessen.

Sekundärer Feinstaub entsteht durch die Reaktion von gasförmigen Vorläufersubstanzen wie Ammoniak oder Schwefel- und Stickoxide.

 

Dabei kann der Feinstaub verschieden groß sein:

  • Feinstaub PM 10: Partikel mit einem Durchmesser von weniger als 10 µg/m³
  • Feinstaub PM 2.5: Partikel mit einem Durchmesser von weniger als 2,5 µg/m³
  • Ultrafeine Partikel: Haben einen Durchmesser von weniger als 0,1 µg/m³

PM = particulate matter

µg/m³= Mikrogramm pro Kubikmeter ist eine Einheit zum Messen von Schadstoffen in der Luft

Autoverkehr – Hauptverursacher von Feinstaub

Besonders dicht ist das Messnetz in Ballungsräumen – 2023 gab es allein in deutschen Städten 228 Feinstaub-Messstationen. Denn die hohe Dichte von Emittenten wie Heizungen, Industrieanlagen oder dem Straßenverkehr verursachen in städtischen Gebieten größere Mengen an Feinstaub als im Umland. In vielen Städten prägen laufende Motoren im stockenden Verkehr das Stadtbild. Vor allem im Straßenverkehr werden besonders hohe Feinstaubkonzentrationen registriert. Das Problem: Durch die Auspuffabgase aber auch durch den Abrieb von Bremsen, Reifen und Straßenbelägen entsteht Feinstaub. Dieselmotoren stoßen dabei besonders viele Feinstaubpartikel aus.

Ob im Feierabendverkehr oder in belebten Stadtteilen – etwa eine halbe Million Autos rollen täglich durch Stuttgart. In Sachen Luftverschmutzung bestätigte die Landeshauptstadt jahrelang ihr Klischee als Autostadt und hatte mit Grenzwertüberschreitungen zu kämpfen. In der Stadt gibt es insgesamt vier Messstationen – drei davon in der Innenstadt an stark befahrenen Straßen. Bei diesem Stationstyp „Verkehr“ wird die Luftqualität direkt an der Straße gemessen. Die grauen Kästen stehen an der Hohenheimer Straße, am Arnulf-Klett-Platz und am Neckartor. Nur eine der Stuttgarter Feinstaub-Messstationen steht nicht an einer Hauptverkehrsstraße, sondern in einem Wohngebiet.

Der Standort ist entscheidend

„Ballungsräume mit starkem Verkehr, Industrie oder Heizungen dürfen die Messergebnisse nicht beeinflussen“, so das Umweltbundesamt. Um nur weiträumig und grenzüberschreitend transportierte Luftmassen zu erfassen, würden die Messstationen deshalb möglichst weit entfernt von lokalen Schadstoffquellen aufgestellt. Dieser Ansatz wurde in der Landeshauptstadt weniger konsequent umgesetzt. Kann es also sein, dass das Fehlen von Messstationen in Wohngebieten am Beispiel Stuttgart die tatsächliche Luftqualität in der ganzen Stadt verfälscht? Die folgende Grafik zeigt sehr deutlich, dass sich die Jahresmittelwerte von Messstationen im Verkehr zu denen in Wohngebieten stark unterscheiden können:

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Verkehrsreiche Ballungsräume können einen großen Einfluss auf die Feinstaub-Bilanz von deutschen Großstädten haben. | Quelle: Umwelt Bundesamt

Unter den deutschen Großstädten liegt München mit seinen Feinstaubwerten im Verkehr an der Spitze. Anders sieht es in den Wohngebieten der bayerischen Landeshauptstadt aus: Hier zeigen die Messstationen bessere Werte als in vielen anderen Großstädten. Betrachtet man die Feinstaubwerte in Wohngebieten isoliert vom Verkehr, verändern sich die Städte mit den höchsten Werten und die zeitweiligen Spitzenreiter verschwinden von der Bildfläche.

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In diesen deutschen Städten ist die Luft im städtischen Wohnraum am schlechtesten. | Quelle: Umwelt Bundesamt

Schmutzige Luft in Wohngebieten

Natürlich ist es wichtig, dass in Städten mit hoher verkehrsbedingter Feinstaubbelastung Maßnahmen zur Feinstaubreduzierung ergriffen werden. Die meisten Stadtbewohner leben jedoch nicht an stark befahrenen Straßen, sondern in den umliegenden Wohngebieten. Für die Lebensqualität im eigenen Wohnquartier ist die eigene Gesundheit für viele Bundesbürger besonders wichtig. Bei der Wahl des Wohnortes spielt daher die Luftqualität einer Stadt eine entscheidende Rolle. Um die Luft an den richtigen Stellen zu verbessern, sollte das Umweltbundesamt daher auch die Städte mit den höchsten Feinstaubwerten in Wohngebieten genauer unter die Lupe nehmen. Mehr Messstationen abseits stark befahrener Hauptstraßen könnten ein Anfang sein.