„Du musst dich nicht verstellen, du hast keine Angst davor, verurteilt zu werden.“
Ein Raum ohne Konsequenzen
Elisa ist ein bisschen aufgeregt. Die meisten Gesichter sind ihr noch unbekannt, aber auf engem Raum lernt man sich schnell besser kennen. Die kleine Studentenbar „Boddschamber“ auf dem Campus Vaihingen ist randvoll mit Menschen, von denen sich der Großteil heute das erste Mal sieht. Was dort zu finden ist? Studierende, die sich austauschen, wohl fühlen, gemütlich etwas trinken. Eine offene Atmosphäre. Was nicht zu finden ist? Diskriminierung und Vorurteile – denn es soll ein Ort sein, an dem alle sich so zeigen können, wie sie wirklich sind, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen: ein Safe Space.
Als Teil der LGBTQIA+ Community und nun auch Teil einer Hochschulinitiative, die genau diese Idee umsetzen möchte, sind Elisa und auch Elena bei diesem ersten Semestertreffen des Rainbow-Cafés dabei. Die monatlichen Treffen, die die Gruppe organisiert, bieten queeren Menschen an der Hochschule der Medien einen Safe Space. Ins Deutsche übersetzt, heißt Safe Space „sicherer Raum". Für Elisa steckt allerdings mehr dahinter: „Es ist nicht zwingend eine Räumlichkeit, aber eine Gruppe von Leuten, bei der du das Gefühl hast, komplett du selbst sein zu können. Du musst dich nicht verstellen, du hast keine Angst davor, verurteilt zu werden und kannst auch vertrauliche Sachen erzählen.“
Ursprung und Entwicklung
Gay Bars in den USA gelten in der Geschichte oft als erstes Beispiel für Safe Spaces. Aufgrund politischer und sozialer Unterdrückung in der Nachkriegszeit verstand die LGBTQIA+ Community das Konzept zunächst als einen Raum, um unter sich zu sein. Ein Ventil, um dem gesellschaftlichen Druck zu entkommen.
Janna Mareike Hilger ist Philosophin und hat für ihre Doktorarbeit zum Thema Safe Spaces geforscht. Sie sagt: „Die Schnittstelle zwischen Sicherheit und Queerness hat natürlich schon immer eine große Rolle gespielt.“
Von der Unsicherheit zur Selbstakzeptanz
Die Aufregung schiebt Elisa bei Seite. Beim Treffen mit dem Rainbow-Café, dem queeren Safe Space an der HdM, ist sie vor allem stolz auf sich: Endlich fühlt sie sich wohl mit ihrer Sexualität und ist bereit, sich mit anderen darüber auszutauschen. Aufgewachsen ist Elisa in einem eher homophoben Umfeld, ihr Weg zur Selbstakzeptanz war dadurch nicht gerade leicht. Sie fühlt sich im ersten Semester an der Hochschule noch sehr unsicher und traut sich nicht zu den queeren Treffen zu gehen. Den Safe Space damals schon zu beanspruchen, denkt Elisa, hätte ihren Prozess sich selbst zu akzeptieren etwas beschleunigt. „Es hätte bestimmt geholfen, auf Leute zu treffen, die genau dieselben Probleme hatten. Mittlerweile weiß ich, dass es voll okay ist, auf Frauen zu stehen und das nichts Verwerfliches ist.“
Elena hingegen erzählt, sie hatte Glück mit einem toleranten Umfeld. Allerdings kennt sie einige, deren Eltern Queer-Sein nicht akzeptieren: „Für die Leute, die trotzdem zu Hause wohnen müssen, ist es total wichtig, einen Platz zu haben, wo einem nicht vermittelt wird, man wäre nicht normal.“
Die Frage nach der Definition
Laut Expertin Janna Mareike Hilger sei die Antwort auf die Frage, was Safe Spaces sind und wozu sie dienen, nicht nur schwarz-weiß. Man müsse den Begriff immer in seinem gesellschaftlichen Rahmen betrachten. Ein Safe Space im Kontext von Universitäten zum Beispiel sei etwas anderes als im Kontext von großen sozialen Bewegungen. Auch Menschen können oft ein persönlicher Safe Space sein: Freund*innen, Familie oder andere vertrauliche Ansprechpartner*innen.
Mit Blick auf die LGBTQIA+ Community, wird allerdings oft eine Definition im Zusammenhang mit politischer Marginalisierung verwendet:
Queer Safe Space
Ziel von einem Safe Space ist es, eine sichere und unterstützende Umgebung für Mitglieder der LGBTQIA+ Community zu schaffen. Queeren Menschen soll ein Raum geboten werden, in dem sie sich frei öffnen können, ohne Alltagsdiskriminierungen zu erfahren.
Wohl fühlen oder Aktivismus?
Bei der Umsetzung von Safe Spaces an Hochschulen sieht die Philosophin Janna Mareike Hilger jedoch ein Risiko. Durch Institutionalisierung des Konzepts bestehe die Gefahr, dass Safe Spaces auf eine emotionale Wohlfühlebene reduziert werden, wo es eigentlich eher eine Kritik an bestehenden Strukturen bräuchte: „Es kann auch ein Instrument sein, um einen kritischen Impuls einzugrenzen, so nach dem Motto ‚Ihr habt doch hier euren Raum und ihr dürft doch jetzt da über eure Probleme reden – geht rein, Tür zu!‘ "
„Ihr habt doch hier euren Raum – geht rein, Tür zu!“
Andererseits können Safe Space-Initiativen der LGBTQIA+ Community auch eine Stimme für mehr Inklusion am Campus geben. Das wird zum Beispiel von Safe Zone Programmen angestrebt, die in den frühen 2000ern populär geworden sind und die viele Colleges in den USA anbieten. Dabei geht es darum, die Herausforderungen der LGBTQIA+ Community am Campus besser zu verstehen, sich mit Vorurteilen auseinanderzusetzen und diese durch Dialog abzubauen.
Eine Institutionalisierung sieht Janna Hilger kritisch, sie ist allerdings überzeugt vom aktivistischen Potenzial des Konzepts: „Safe Spaces haben das Potenzial, viel mehr zu sein als ein Schutzraum oder ein Treffpunkt.“
Kein Entweder - Oder
Auch beim ersten Treffen des Rainbow-Cafés sitzt die Gruppe nicht nur - typisch Studierende - in einer Bar. Zuvor tauscht man sich auch darüber aus, welche aktivistischen Aktionen vorstellbar wären. Flyer, Poster, Aufkleber – zum Pride Month im Juni vielleicht? Elena war auch in den vorigen Semestern schon bei den Treffen und sagt, es komme auch immer auf die Leute an, die bei der Initiative dabei sind. In den letzten Semestern sei es eher so gewesen, dass man sich getroffen hat, um gemeinsam etwas zu unternehmen. „Man will dieses aktivistische Potenzial vielleicht gar nicht immer nutzen. Manchmal ist es auch schön, einfach seine persönlichen Erfahrungen auszutauschen.“
Rund um das Thema Safe Spaces dringt oft eine gewisse Skepsis durch, Debatten finden zur Genüge statt. Welche Antworten darauf gefunden werden, ist oft eine Frage der eigenen Sichtweise. Der Grundsatz des vielschichtigen Konzepts kann dabei aber direkt seine Anwendung finden: Ein sicheres Umfeld, in dem man seine Sichtweisen und Erfahrungen ohne Bedenken austauschen kann, ist auch ein Umfeld mit großem Potenzial für ertragreiche Debatten.