„Es geht in erster Linie um den Menschen, nicht den Athleten, und die sind genauso anfällig oder nicht anfällig wie andere Menschen auch.“
Depressionen im Profifußball: Zwischen Traum und Albtraum
Es ist 8 Uhr. Der Wecker klingelt. Trainingsstart. Nicht für Dennis Hoins. Er hat seine Karriere am Punkt seines größten Triumphes, dem Aufstieg in die dritte Fußballliga, beendet. Der Grund: Depressionen.
„Die Krankheit kam für mich aus dem Nichts“, sagt der 28-Jährige. „Ich habe mich zwar oft gefragt, ob der Profifußball das Richtige für mich ist, letztendlich habe ich mir aber immer eingeredet, dass das schon besser wird, wenn wir erst einmal aufgestiegen sind“, ergänzt er. Dann kam der große Knall. Dennis Hoins erinnert sich noch genau an die Situation. Ein Fußballwochenende wie jedes andere. Auswärtsspiel. Übernachtung im Hotel. „Schon am Abend vor dem Spiel ging es mir schrecklich.“ Der Abend nach dem Spiel sollte noch schlimmer werden. „Von jetzt auf gleich hat es mich komplett aus der Bahn geworfen. Ich konnte nicht mehr essen, kein Auto fahren. Gar nichts.“ In diesem Moment wurde Dennis Hoins klar, er braucht Hilfe. Er zog die Reißleine.
Wodurch die Depression ausgelöst wurde, ist unklar. Was aber klar ist: Es waren viele Faktoren. Der innerliche Druck. Der persönliche Zwiespalt. Dazu die körperliche Leistungsfähigkeit. „Egal wie viel ich trainiert habe, ich habe keine Verbesserung mehr gesehen“, so Hoins. Das wurmt. Heute weiß der 28-Jährige: „Nicht jeder Körper ist für den Leistungssport gemacht, aber das wollte ich mir anfangs nicht eingestehen.“ Stattdessen hat er sich immer wieder Stresssituationen ausgesetzt. Der Körper reagierte mit Krampfanfällen. „Das sind Situationen, die einen nachdenken lassen: Muss ich mich dem Druck aussetzen, auch unter Schmerzen performen zu müssen?“, schildert Dennis Hoins. Auch heute komme es noch gelegentlich zu Krampfanfällen. Aber dann lege er sich ins Bett und bleibe zuhause. „Die Möglichkeit hast du als Profi nicht.“
Aber Dennis zieht auch Positives aus seiner Krankheit. „Sie hat mich dazu gebracht, eine Entscheidung zu treffen, die ich eigentlich schon viel früher hätte treffen müssen“, sagt er. Eine Entscheidung für einen geregelten Alltag, seine Familie und freie Wochenenden. Klingt simpel, aber all das konnte das Fußballgeschäft ihm nicht bieten.
Hoins ist einer der wenigen Sportler, die offen über die Krankheit sprechen. Allein ist er dennoch nicht. Er reiht sich ein in eine Liste von Fußballern wie Andreas Biermann, Sebastian Deisler und Andres Iniesta. Sie alle haben zwei Dinge gemeinsam: Sie sind oder waren Fußballprofis und sie alle gaben öffentlich bekannt: „Ja, ich litt unter Depressionen.“
Depressionen gehören zu den häufigsten Krankheiten in Deutschland. Selbstverständlich sind davon auch Profifußballer*innen betroffen. Bekannt sind nur wenige Fälle. Die Dunkelziffer lässt sich daher nur erahnen. Studien wie die Metaanalyse 2017 belegen aber, wovon die Sportpsychologie schon lange ausgeht. Leistungssportler*innen sind nicht mehr, aber auch nicht weniger betroffen als die Allgemeinbevölkerung. „Es geht in erster Linie um den Menschen, nicht den Athleten, und die sind genauso anfällig beziehungsweise nicht anfällig wie andere Menschen auch“, bestätigt Caroline Hille, Psychotherapeutin und Sportpsychologin aus Köln. Gesprochen wird darüber öffentlich aber auch nach Fällen wie Robert Enke selten. Auch ich musste das bei meiner Recherche erfahren. Über fünfzig Anfragen an (ehemalige) Fußballer, Vereine und Funktionäre. Nur Dennis Hoins wollte sich äußern.
Warum Depressionen im Profifußball nach wie vor tabuisiert werden, kann nicht pauschal beantwortet werden. Eine wissenschaftliche Erklärung gibt es nicht. Es liegt laut Hille aber nahe, dass im Fußball ein besonderes Bild von Stärke und Männlichkeit besteht. Eine seelische Erkrankung passt nicht dazu.
„Druck ist ein begünstigender, aber nicht der allein erklärende Faktor.“
Caroline Hille erklärt mir im Laufe unseres Gesprächs: „Allgemein geht man nicht von Sportlergründen aus, die eine Depression auslösen. Vielmehr basiert die Krankheit auf einem bio-psycho-sozialen Modell.“ Bio-psycho-soziales Modell, das heißt, gleich mehrere Faktoren spielen bei der Entstehung eine Rolle. Diese, so Hille, seien bei Sportlern und Normalbürgern im Grundsatz gleich. Das sind beispielsweise Schicksalsschläge, nicht funktionierende Beziehungen oder Dauerstress.
Im Leistungssport, vor allem dem Profifußball, kommt dann die Schnelllebigkeit des Geschäftes hinzu. Jede Woche steht mindestens ein wichtiges Lebensereignis an, das für die weitere Karriere entscheiden ist. „Weil so viel so schnell passiert, kann sich eine Spirale aus Misserfolgen ergeben, aus der Betroffene schwerer herauskommen, da sie das Gefühl haben, die ganze Zukunft steht auf dem Spiel“, erklärt die Sportpsychologin. Sich rausnehmen, Kraft tanken und neu angreifen sei dann deutlich schwieriger. Es entsteht eine noch größere Drucksituation. „Druck ist ein begünstigender, aber nicht der allein erklärende Faktor für Depressionen im Profisport“, ergänzt Caroline Hille.
Umso wichtiger ist die Rolle jedes und jeder Einzelnen. „Es ist nicht hilfreich, an den Pranger dafür gestellt zu werden, wie es jemandem geht“, sagt sie. Nicht als Normalbürger*in und auch nicht als Sportler*in. Dazu können wir alle einen Teil beitragen. Empathie zeigen, das eigene Verhalten hinterfragen und die Wut aufgrund eines verlorenen Spiels nicht an den Spieler*innen auslassen. Fußball: Das sind Emotionen und Gefühle. Fußballer*innen haben diese Gefühle auch.
„Man kann psychische Krankheiten beheben, wenn man sich um sich kümmert und Unterstützung sucht.“
Für die Zukunft wünscht sich die Sportpsychologin eine Enttabuisierung. „In ganz vielen Punkten hilft Wissen. Depressionen sind keine Charakterschwäche oder ein Persönlichkeitszug, sondern eine Krankheit“, sagt Hille. Das müsse bei der breiten Masse ankommen. Deshalb freut sich Caroline Hille über jeden, der offen über die Krankheit spricht, und macht deutlich: „Man kann psychische Krankheiten beheben, wenn man sich um sich kümmert und Unterstützung sucht.“
Dennis Hoins bereut seine Zeit im Profifußball nicht. „Ich bin aufgestiegen und habe im DFB-Pokal gespielt. Eigentlich genau das, was ich mir früher immer gewünscht habe.“ Er macht eine Pause. „Aber ich habe eingesehen, dass es nicht mehr das ist, was ich mir heute wünsche.“
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