Erholung für Mutter Erde?
Home Office, Maskenpflicht und #stayathome. Durch das Coronavirus scheint die Welt stillzustehen. Ausgangs- und Kontaktsperren hindern uns daran, unserem normalen Alltag nachzugehen. Was für uns eine große Umstellung ist, ist eine Erholung für unseren Planeten – so scheint es zumindest.
Einmal tief durchatmen, bitte!
Die meisten Flugzeuge müssen am Boden bleiben, der Verkehr hat sich stark verringert und die Industrieproduktion bricht ein: Das hat deutliche Auswirkungen auf die Luftqualität. Satellitenbilder der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) zeigen, dass die Stickstoffdioxid (NO₂)-Belastung in Deutschland im April im Vergleich zum Vorjahresmonat um mehr als 30 Prozent gesunken ist. Auch in Italien, Frankreich, Spanien und in weiteren Teilen Europas lässt sich eine entsprechende Reduktion feststellen. Forscher des US-amerikanischen Centre for Research on Energy and Clean Air fanden heraus, dass in China neben den NO₂-Werten auch die CO₂-Emissionen um 25 Prozent zurückgegangen sind.
Der Satellit der ESA misst jedoch nur Spurengase in etwa 850 Kilometern Höhe. Um klare Bilder der für den Mensch gesundheitsgefährdenden Luftqualität zu erhalten, muss man sich auf Bodennähe begeben. Die lokalen Messungen führt das Umweltbundesamt (UBA) durch. Eine Reduzierung der Emissionen hat laut UBA immer eine Verbesserung der Luftqualität zur Folge, die letzten Wochen lassen jedoch noch keinen klaren Trend erkennen – es sei noch zu früh.
Anders das Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg: „Die Luftqualität in Stuttgart hat sich in den vergangenen Monaten an den stark befahrenen Straßenabschnitten deutlich verbessert. Dies zeigen die aktuellen Messergebnisse der LUBW Landesanstalt für Umwelt“, so Landesverkehrsminister Winfried Hermann. Durch Corona habe sich der Verkehr in Stuttgart um gut ein Drittel reduziert.
Generell hängt die Luftqualität von drei Schadstoffen ab: Stickstoffdioxid (NO₂), Feinstaub (PM₁₀) und Ozon. Die NO₂-Belastung wird nahe viel befahrener Straßen gemessen, da Stickstoffdioxid durch Verbrennungsprozesse entsteht. PM₁₀ wird durch Industrien, Straßenverkehr oder der Landwirtschaft freigesetzt, oder kann natürlichen Ursprung haben, wie zum Beispiel Saharastaub. Bodennahes Ozon wird durch intensive Sonneneinstrahlung gebildet. Die warmen Temperaturen in den letzten Wochen lassen hier eher erhöhte Ozonwerte statt einer Verbesserung vermuten, jedoch liegen noch keine Zahlen vom Umweltbundesamt vor.
„Himmlische“ Ruhe
Aufgrund der Reisewarnungen und Einreisebeschränkungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie ist der Flugverkehr fast zum Erliegen gekommen. Eine Analyse des Official Airline Guide zeigt auf, dass es in der Woche vom 8. Juni weltweit fast 65 Prozent weniger geplante Flugzeugstarts als in der Vorjahreswoche gab. Dieser Rückgang hat nicht nur positive Auswirkungen auf die Luftqualität, sondern auch auf den Lärmpegel. Die Messungen des Deutschen Fluglärmdienstes zeigen deutliche Einbrüche des Fluglärms ab Mitte März. Zu diesem Zeitpunkt wurden die Ausgangsbeschränkungen wirksam.
Treibhausgasemission auf der Zielgerade
Ein Erfolg für Deutschland lässt sich besonders im Bereich der Treibhausgasemissionen verzeichnen. Schon 2019 ist der CO₂-Ausstoß im Vergleich zu 1990 um 35,7 Prozent zurückgegangen. Für 2020 hat sich die Bundesregierung zum Ziel gesetzt, die Treibhausgasemissionen um mindestens 40 Prozent zu senken. Durch die Corona-Krise ist zu erwarten, dass das Ziel nicht nur erreicht, sondern sogar übererfüllt wird, schätzt die Organisation Agora Energiewende, die sich für die Umsetzung einer Energiewende in Deutschland einsetzt. Direktor Patrick Graichen geht davon aus, „dass der Rückgang der Emissionen bei 40 bis 45 Prozent liegen könnte.“ Gleichzeitig warnt er aber davor, dass die Emissionen nach der Corona-Krise wieder hochschnellen werden.
Tierisch gute Nachrichten
Schon seit Wochen kursieren Bilder von Venedigs glasklarem Wasser im Internet, in dem man sogar die Fische am Grund sehen kann. Die Stadtverwaltung Venedigs stellte gegenüber dem Nachrichtensender CNN aber klar, dass das mit einer verbesserten Wasserqualität nichts zu tun hat. Wegen fehlenden Touristenmassen sind weniger Boote und Schiffe auf dem Wasser unterwegs, dadurch bleiben Sedimente am Boden liegen und werden nicht aufgewirbelt.
Weniger Touristen heißt aber auch saubere Strände. Davon profitieren besonders die Tiere: In der brasilianischen Stadt Paulista sind fast 100 vom Aussterben bedrohte Echte Karettschildkröten geschlüpft und gefährdete Lederschildkröten wurden an leeren Stränden in Thailand gesichtet. Wale und Delfine kehren an die Adria zurück und tummeln sich in den Häfen von Triest und Cagliari. Auch im Bosporus in Istanbul tauchen Delfine in großer Zahl auf und trauen sich näher ans Ufer. Andere Wildtiere erobern leere Städte: in der nordwalisischen Kleinstadt Llandudno macht sich eine Herde wilder Bergziegen breit und in der israelischen Stadt Haifa tummeln sich die Wildschweine.
Müllberge wachsen
Doch die Corona-Krise hat nicht nur positive Auswirkungen auf die Umwelt. Weil viele Menschen jetzt entrümpeln und aufräumen, bei Lieferdiensten bestellen oder selber öfter kochen, entsteht mehr Müll. Der Hausmüll werde nun auch vermehrt zur illegalen Müllentsorgung genutzt, zum Beispiel von Bauschutt und Elekroschrott, melden einige Landkreise in Deutschland. Grund dafür sind geschlossene Wertstoffhöfe. Abfallbetriebe appellieren an die Menschen, besonders jetzt auf Mülltrennung zu achten und Müll zu vermeiden.
Wie geht es jetzt weiter?
Kein Experte glaubt daran, dass die positiven Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Umwelt nachhaltig sind. Schon jetzt werden die Einschränkungen nach und nach gelockert und damit kommen auch die Emissionen wieder. UBA-Präsident Dirk Messner appelliert, dass Umwelt- und Klimaschutz auch nach der Corona-Krise von übergeordneter Bedeutung sein müsse. „Wir sollten uns davor hüten, diese sehr gravierenden Probleme beim wirtschaftlichen Neustart aus dem Blick zu verlieren.“
Um die Klimaziele des 2019 von der Bundesregierung verabschiedeten European Green Deal zu erreichen, muss sich noch einiges ändern. Das Ziel für 2020 wird voraussichtlich aufgrund des wirtschaftlichen Shutdowns während der Corona-Krise erreicht, aber für eine langfristige Verbesserung schlägt das Umweltbundesamt einen 15-Punkte-Plan zur Konjunkturbelebung vor. „Aus meiner Sicht müssen wir hierfür an folgenden 5 Punkten ansetzen: Krisenfestigkeit stärken, Klimaneutralität erreichen, Produktivitätssteigerungen durch Innovation und Digitalisierung steigern, internationale Vernetzung nutzen und Nationalisierung von Wertschöpfungsketten vermeiden sowie Europa stärken.“, kommentierte Dr. Fritzi Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW ) das Papier des UBA.
Erholung für Mutter Erde? Nur kurzfristig also. Das Coronavirus zeigt uns, wie gut es der Umwelt ohne die Verschmutzung durch die Menschen gehen würde. Klar ist: Die Pandemie kann den Klimawandel nicht stoppen – ein Umbau der Wirtschaft schon.