KI in Ermittlungen 7 Minuten

Algorithmen im Kampf gegen Kriminalität

Links sieht man einen Polizisten und rechts einen Roboter
Symbolbild, mit KI erstellt: Welche Aufgaben kann die KI bereits in der Kriminalitätsbekämpfung übernehmen? | Quelle: Microsoft Designer
12. Dez. 2024

Die fortschreitende Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI) beeinflusst zunehmend alle Lebensbereiche – auch die Kriminalitätsbekämpfung. KI unterstützt Ermittlerinnen und Ermittler bei der Aufklärung von Verbrechen: von der Analyse riesiger Datenmengen bis hin zur Vorhersage von Verbrechen. Inwieweit wird KI schon von der Polizei eingesetzt und welche Maßnahmen werden der Öffentlichkeit preisgegeben? 

Künstliche Intelligenz (KI) spielt in der Kriminalitätsbekämpfung eine zunehmend wichtige Rolle. Technologische Fortschritte schaffen stetig neue Einsatzmöglichkeiten. Bereits heute gibt es schon mehrere Bereiche, in denen KI-Technologie bei der Verbrechensbekämpfung eingesetzt wird. Ein wesentlicher Schwerpunkt liegt auf der Bilderkennung, insbesondere bei der Vorsortierung von Bild- und Videomaterial in Fällen von Kinder- und Jugendpornographie. KI entlastet hierbei die Ermittler erheblich. So wurden im Jahr 2023 von der hessischen Polizei mehr als drei Terabyte an Datenmaterial ausgewertet. Allein ein Terabyte bietet Speicher für 500 Stunden HD Videos oder 6,5 Millionen Dokumentseiten. Angesichts solcher Datenmengen ist eine manuelle Analyse kaum noch möglich. Darüber hinaus entlastet die KI die Ermittler auch psychisch, da sie diese belastenden Inhalte nicht mehr selbst anschauen müssen. Um an diese Kinder- und Jugendpornographien zu kommen, wurden von den Beamten mithilfe von KI-Tools eigene künstliche pornographische Inhalte generiert. Diese wurden im Darknet gehandelt, um Zugang zu den kinderpornographischen Netzwerken zu erhalten.

Videoüberwachung mit KI

Auch bei der Identifizierung von Personen in großen Menschenmengen, etwa bei Demonstrationen oder Fußballspielen, kommt KI zum Einsatz. Sie kann Personen anhand bestimmter Merkmale wie Kleidung oder Accessoires aus großen Datenmengen herausfiltern. Ein weiterer Anwendungsbereich, in dem KI bereits eingesetzt wird, ist die Videoüberwachung. Im Rahmen des Aktionsplans „Mehr Sicherheit für Mannheim“ laufen dort im städtischen Raum Pilotprojekte. Der Plan wurde gemeinsam vom Land Baden-Württemberg, der Polizei und der Stadt Mannheim entwickelt. In der Mannheimer Innenstadt sind 68 Überwachungskameras installiert. Bis 2026 sollen jährlich drei bis fünf dieser Kameras mit KI-Technik ausgestattet werden. Bei den beobachteten Bereichen handelt es sich vorrangig um Kriminalitätsschwerpunkte. Erkennt das System eine verdächtige Bewegung, sendet es sofort ein Alarmsignal an das Führungs- und Lagezentrum (FLZ) der Mannheimer Polizei. Zu verdächtigen Bewegungen gehören Schläge, Tritte sowie wenn eine Person hinfällt oder hilflos auf dem Boden liegt. Im FLZ prüfen die Beamten die Szene genauer und entscheiden, ob ein Einsatz vor Ort erforderlich ist.

Kann KI Verbrechen vorhersagen?

Die Möglichkeit, die Zukunft vorherzusagen, fasziniert die Menschen seit jeher – insbesondere wenn es darum geht, Verbrechen zu verhindern. Ein Beispiel für diese Vision ist das Computerprogramm „System zur Kriminalitätsanalyse und Lageantizipation“ (SKALA). Es erstellt sogenannte Heatmaps von Städten wie Köln. Eine Heatmap ist eine grafische Darstellung von Daten, bei der Werte durch Farben visualisiert werden. Das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen (LKA) setzt das Programm im Rahmen des Predictive Policing ein. Predictive Policing bezeichnet den Einsatz von Datenanalysen und Algorithmen, um kriminelle Aktivitäten vorherzusagen und die Polizeiarbeit gezielt zu unterstützen. Ziel ist es, auf Basis von historischen Daten und Mustern Prognosen zu erstellen, um Verbrechen zu verhindern, anstatt nur darauf zu reagieren. Die Software wurde in Nordrhein-Westfalen entwickelt, um auf die steigende Einbruchsquote zu reagieren: In Nordrhein-Westfalen war von 2014 zu 2015 die Zahl der Wohnungseinbrüche um 18,1 Prozent auf 62.262 Fälle gestiegen, wie die polizeiliche Kriminalstatistik zeigte.

SKALA sammelt und analysiert Daten über vergangene Verbrechen und kann auf Grundlage von drei Datenpunkten – Ort, Zeit und Art des Vergehens – vorhersagen, an welchen Stellen das Risiko für ein weiteres Verbrechen überdurchschnittlich hoch ist. Das System hat die Möglichkeit, in die statistischen Berechnungen auch weitere Daten zu integrieren, wie zum Beispiel das Wetter oder den Bildungshintergrund der Bewohner. Obwohl das System nicht in der Lage ist, konkrete Verbrechen vorherzusagen, liefert es Hotspots, in denen die Wahrscheinlichkeit für ein Verbrechen etwa viermal so hoch ist. Die Polizei kann auf diese Prognose reagieren, indem sie beispielsweise verstärkt Streifen an diese Risiko-Orte schickt. Seit der Einführung von SKALA ist die Zahl der Wohnungseinbrüche in Nordrhein-Westfalen zurückgegangen. Laut der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen von 62.362 Fällen in 2015 auf 52.578 Fälle in 2016. Allerdings wird kontrovers diskutiert, ob das tatsächlich auf das Programm zurückzuführen ist. 

KI erkennt gefälschte Dokumente

Abgesehen von den genannten Anwendungen bietet KI weitere spannende Einsatzmöglichkeiten. Algorithmen sind in der Lage, gefälschte Dokumente zu erkennen. Ein Beispiel hierfür ist das Forschungsprojekt DOKIQ. DOKIQ steht für Dokumentenuntersuchungssoftware. Dieses Projekt wird an der Hochschule der Medien (HdM) Stuttgart im Institut für angewandte Künstliche Intelligenz durchgeführt. Ziel des Projekts ist es, den Einsatz von KI zu erforschen, um Dokumentenfälschungen automatisiert erkennen zu können. Geleitet wird das Projekt von Johannes Maucher, Professor für Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen.

Die Initiative für das DOKIQ-Projekt kam vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg (LKA). Maucher erklärt, wie das Projekt funktioniert: Die Polizei leitet verdächtige Dokumente, die überprüft werden sollen, an das LKA weiter. Dort kommt das DOKIQ-Tool zum Einsatz. Es entlastet die Mitarbeiter, da der Nachweis von Fälschungen mit manuellen Methoden sehr aufwändig ist. Beispielsweise hat das LKA über 400.000 verschiedene Stempel in ihrer Datenbank gesammelt. Den passenden Stempel manuell zu finden, würde extrem viel Zeit in Anspruch nehmen. In den letzten Jahren ist die Zahl der gefälschten Dokumente in Deutschland stark angestiegen. Im Jahr 2020 erreichte sie mit 10.895 gemeldeten Fällen zum ersten Mal den fünfstelligen Bereich. Dieses Phänomen ist auf den technologischen Fortschritt, wie den einfacheren Zugang zu Fälschungstechnologien, den verstärkten Einsatz von Dokumenten in digitalen Prozessen und die Zunahme von Migration zurückzuführen. Mit Hilfe des DOKIQ-Tools konnten in Baden-Württemberg im vergangenen Jahr schon etwa 300 Serienfälschungen identifiziert werden. Die KI hat den Überprüfungsprozess um das Vierfache beschleunigt, weil sie gefälschte Dokumente erkennen kann, die mit bloßem Auge nicht zu erkennen gewesen wären. Auch Serienfälschungen lassen sich mit dem Tool erkennen. Ein weiterer Aspekt des Systems ist es, Informationen über Drucker weltweit auszuwerten. DOKIQ kann erkennen, mit welchem Drucker und an welchem Ort ein Dokument gedruckt wurde. Allerdings handelt es sich bei dem Tool um ein Assistenzsystem, kein autonomes System. Das bedeutet, dass die KI zwar potenziell gefälschte Dokumente identifiziert, diese jedoch noch einmal menschlich überprüft werden müssen.

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Einsatz DOKIQ | Quelle: Prof. Dr. Johannes Maucher
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Einsatz DOKIQ | Quelle: Prof. Dr. Johannes Maucher
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Einsatz DOKIQ | Quelle: Prof. Dr. Johannes Maucher
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Einsatz DOKIQ | Quelle: Prof. Dr. Johannes Maucher
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Einsatz DOKIQ | Quelle: Prof. Dr. Johannes Maucher

Herausforderungen beim Einsatz von KI

Obwohl KI vielfältige Anwendungsmöglichkeiten schafft, gibt es auch Herausforderungen, die mit dem Einsatz verbunden sind. Derzeit existiert noch keine KI, die einen Täter wie „auf Knopfdruck“ liefern kann. Künstliche Intelligenz sollte daher niemals als universelle Lösung betrachtet werden. Sie dient lediglich als unterstützendes Werkzeug und kann dabei Fehler machen. Aus diesem Grund ist eine Überprüfung der von KI gelieferten Ergebnisse durch den Menschen unerlässlich. Es muss sichergestellt sein, dass die KI eigenständig keine Entscheidungen trifft: Der Mensch sollte stets in die Entscheidungen eingebunden sein, so Eike Bone-Winkel, Kriminologe und Landesvorsitzender beim Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) in Mecklenburg-Vorpommern. Ein weiteres Problem stellt die Finanzierung der Software dar, der öffentliche Dienst ist hier derzeit auch noch stark mit dem Thema der Digitalisierung beschäftigt. Bald könnten jedoch die finanziellen Mittel für Investitionen in die Technologie bereitstehen. Der Regierungsentwurf zum künftigen Haushalt des Landes Baden-Württembergs umfasst ein Volumen von 136 Milliarden Euro und beinhaltet laut des baden-württembergischen BDK-Landesvorsitzenden Steffen Mayer auch Gelder für KI-Projekte.

Konflikt mit KI und Datenschutz

Gleichzeitig ist der Datenschutz eine große Herausforderung beim Einsatz von KI. Algorithmen sind nur so gut wie die Daten, mit denen sie trainiert werden. KI-Systeme müssen für spezifische Einsatzzwecke mit eigens angepassten Daten angelernt werden. Derzeit wird KI vor allem zur Unterstützung, Automatisierung und Erleichterung von Prozessen eingesetzt, um auf den Wandel der Kriminalität im digitalen Raum zu reagieren. Die digitale Transformation bringt komplexe Datenmengen mit sich und erfordert komplizierte Ermittlungsverfahren. Polizisten handeln dabei stets im Rahmen eines Rechtsstatus. Eike Bone-Winkel vom BDK wies darauf hin, dass die Polizei beim Einsatz von KI eingeschränkt ist: Der EU AI Act legt konkrete Vorgaben für den Einsatz von KI fest, um sicherzustellen, dass KI-Systeme verantwortungsvoll eingesetzt werden. Auch die Datenschutz-Grundverordnung DSGVO spielt beim Einsatz von KI eine zentrale Rolle, da sie den Schutz personenbezogener Daten regelt und sicherstellt, dass die Grundrechte der Bürger, insbesondere deren Privatsphäre, geschützt bleibt. Sie verpflichtet Behörden dazu, personenbezogene Daten nur unter bestimmten Bedingungen zu sammeln.

Aber im Gegensatz zu Sicherheitsbeamten unterliegen Kriminelle solchen Einschränkungen nicht. Die Polizei ist also beim Einsatz solcher Technologien erheblich eingeschränkt durch den Gesetzgeber. In Baden-Württemberg wurde kürzlich angekündigt, dass VeRa eingeführt werden soll. Dies ist eine KI-gestützte Auswerte- und Analyseplattform zur Terrorismusbekämpfung und Aufklärung schwerster Straftaten. Die Einführung erfordert eine Änderung des Polizeigesetzes durch das Parlament. Einige Mitglieder der Landesregierung stehen laut dem BDK kritisch gegenüber so einer Änderung.

Der BDK organisiert Fachveranstaltungen

Zudem muss stets berücksichtigt werden, welche Fähigkeiten KI aktuell besitzt. Dies macht kontinuierliche Schulungen und Qualifizierungen unverzichtbar, um sicherzustellen, dass die Technologie richtig angewendet wird. Aus diesem Grund organisiert der BDK regelmäßig Fachveranstaltungen zum Thema KI. Im Rahmen der 18. Berliner Sicherheitsgespräche am 4. September 2024 kam die Polizei zu einem Fazit zum Thema Öffentlichkeitsarbeit. Das Vertrauen in polizeiliche Maßnahmen ist oft von Diskussionen über sensible Themen, wie die Telefonüberwachung oder die Vorratsdatenspeicherung, geprägt. Dies führt bei manchen Menschen zu Misstrauen. Für die Polizei ist es wichtig, klarzustellen, dass die Aufklärung von Straftaten und die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit ihr Ziel ist. Um das zu erreichen, sind moderne Werkzeuge erforderlich – was, wenn nötig, auch einen Eingriff in die Grundrechte zur Folge haben kann, so Steffen Mayer vom BDK Baden-Württemberg. Er warnt vor den Folgen der Technologie: „KI wird zukünftig noch wichtiger werden, in allen Lebensbereichen und damit auch bei uns in der Polizei. Gerade ist eine gewisse Goldgräberstimmung, die mit Vorsicht genossen werden muss.“

Sicherheitsgespräche BDK
Der BDK hat sich bei den 18. Berliner Sicherheitsgesprächen stark mit dem Thema „KI in der Kriminalitätsbekämpfung“ und den damit verbundenen Chancen und Risiken auseinandergesetzt. | Quelle: Sandra Ritschel
Michael Stübgen
Michael Stübgen, Innenminister des Landes Brandenburg, spricht in seiner Eröffnungsrede über den Einsatz von KI. | Quelle: Sandra Ritschel
Steffen Mayer
Steffen Mayer ist Landesvorsitzender des BDK Baden-Württemberg und Kriminalhauptkommissar. Im LKA ist er in der Abteilung Cybercrime und Digitale Spuren tätig. | Quelle: Steffen Mayer

„KI wird zukünftig noch wichtiger werden, in allen Lebensbereichen und damit auch bei uns bei der Polizei. Gerade ist eine gewisse Goldgräberstimmung, die mit Vorsicht genossen werden muss.“

Steffen Mayer, Landesvorsitzender des BDK Baden-Württemberg

Die Entwicklung vom Einsatz von KI bei der Polizei ist gerade mal am Anfang, wie Steffen Mayer betont. Auf der einen Seite stehen die immensen Chancen und Hoffnungen, die durch den technologischen Fortschritt entstehen. Auf der anderen Seite birgt die Technologie auch Gefahren. Wie der BDK mitteilte, können einige KI-Tools und Projekte nicht der Öffentlichkeit preisgegeben werden. Hier sei Diskretion nötig, um die Arbeit der Polizei zu schützen. Es ist zu beachten, dass die Tools auch von Kriminellen missbraucht werden können. Nach einer Studie der BITKOM wurde in den letzen Jahren von Kriminellen pro Jahr ein Gewinn von rund 200 Milliarden Euro durch Cybercrime erzielt. Von den Kriminellen werden unterschiedlichste Tools, darunter auch KI-Programmierassistenten, eingesetzt. Es stellt sich die Frage, welche Partei bei der KI-Nutzung die Oberhand hat. Ist es derzeit die Polizei, oder sind es doch die Kriminellen? Es bleibt offen, wie sich die KI-Technologie weiter entwickelt. Klar ist, dass sie eine immer zunehmend wichtigere Rolle in der Kriminalitätsbekämpfung spielen wird. Zudem wird der Einsatz von menschlichen Fähigkeiten niemals komplett von KI-Technologien ersetzt werden können und es ist essentiell, dass beim Einsatz solcher Technologien immer ein menschlicher Betrachter hinzugezogen werden muss.