Von der „Kolonie der Würde“ zum Waffenarsenal
Noch immer ist der Forschungsstand dürftig. Die vom deutschen Paul Schäfer gegründete Sekte Colonia Dignidad wirft bis heute viele Rätsel auf. Was man jedoch weiß: Die Zustände, die dort herrschten, waren menschenunwürdig.
Mit der Gründung der freien Kirche „Private Sociale Mission e.V.“ legte Paul Schäfer 1956 in Deutschland den Grundstein für das, was folgte. Kurze Zeit später wurde zusätzlich ein Jugendheim gegründet, das sich auf die Erziehung von vernachlässigten, schwierigen Kindern spezialisierte.
Als 1961 die Staatsanwaltschaft Bonn wegen sexuellem Kindesmissbrauch innerhalb seines Heimes gegen Schäfer ermittelte, floh dieser nach Chile. Dort erwarb er Land, um das Fundament für seine „Kolonie der Würde“ zu schaffen. Mit Versprechungen lockte er Mitglieder aus Deutschland an, die ihrem „heiligen Vater“ folgten. Kinder freuten sich auf eine Chorausfahrt, die Eltern unterschrieben die dafür notwendige Vollmacht. So wurden circa 50 Minderjährige nach Südamerika entführt. Die Sekte wuchs rapide und innerhalb von drei Jahren hatte Schäfer rund 300 Anhänger auf seinem chilenischen Grundstück vereint.
Arbeit ist für uns Gottesdienst
Das Leben in der Kolonie bedeutete nicht nur strenge Geschlechtertrennung, physische sowie psychische Bestrafungen und Kindesmissbrauch, sondern auch harte körperliche Arbeit. Es wurde Tage und Nächte lang durchgearbeitet. Unter dem Motto „Arbeit ist Gottesdienst“ wurde der christliche Glaube der Mitglieder ausgenutzt. Durch landwirtschaftliche Erzeugnisse, Autowerkstätten, Krankenhäuser und andere Einrichtungen wurde die Kolonie unabhängig und konnte sich selbst finanzieren. Doch nicht nur finanziell war die Colonia Dignidad stark. Die Macht der deutschen Auswanderersekte wurde auch außerhalb des Stacheldrahtzauns beinahe unaufhaltsam.
Es hatte verschiedene Gründe, dass die Kolonie so organisiert und mächtig werden konnte. Mit ausschlaggebend hierfür war der Führungskreis, welcher aus Personen wie Kurt Schnellenkamp, Hartmut Hopp und Hugo Baar bestand. Der Führungskreis war essenziell für die Colonia Dignidad und brachte ein weitläufiges Netzwerk mit sich, welches bis zur chilenischen und deutschen Regierung reichte. Somit hatte die Kolonie Zugänge zu den wichtigsten Personen aus der Politik. Dazu gehörte beispielsweise Chiles Diktator Augusto Pinochet, welcher wiederum den Kontakt zum chilenischen Geheimdienst DINA herstellte. Diese Beziehungen haben es Schäfer und den Schlüsselcharakteren der Kolonie ermöglicht, die Straftaten über Jahrzehnte hinweg durchzuführen, ohne dass dagegen vorgegangen wurde. Politiker, Behörden und Justiz aus Chile und Deutschland waren involviert. Die Misshandlungen wurden geduldet, die Colonia Dignidad unterstützt. Schäfer bildete seinen engsten Vertrautenkreis, welcher innerhalb der Kolonie als „Die Herren“ auftrat und beratend agierte. Selbstverständlich war dieser Kreis auch in der Führungsebene vertreten.
Einige Mitglieder aus der Führungsebene waren, wie Schäfer selbst, im zweiten Weltkrieg involviert. Durch diese Kontakte war der Zugang zu Waffen für den Sektenführer relativ einfach. Mit den Jahren entwickelte die Colonia Dignidad mit der Herstellung und Lagerung von Waffen ein weiteres Standbein. Durch die damalige Diktatur des Pinochet-Regimes in Chile und die engen Verbindungen zu dieser wurden Schäfer auch hier keine Steine in den Weg gelegt. Im Gegenteil: Die Kolonie war maßgeblich beim Waffenschmuggel und der Waffenlagerung für das Pinochet-Regime involviert und hatte so gleichzeitig die Möglichkeit, selbst aufzurüsten. Sie wurde zu einem wichtigen Vermittler und konnte dadurch noch mehr an Macht und Einfluss gewinnen. Zu den Schlüsselorganisationen zählten beispielsweise die Obst- und Weinbaufirma von Giuseppe Canepa sowie die Terrororganisation Patria Y Libertad, welche eng verbündet mit der Colonia Dignidad war. Mitglieder der Führungsebene nutzten ihre privaten Firmen, um die Machenschaften mit den Waffen zu decken. Darunter auch der deutsche Nationalsozialist Gerhard Mertins, der unter dem Schutz seines Unternehmens MEREX AG jahrelang heimlich Waffen schmuggelte. Auch die Kontakte zum chilenischen Militär waren ausschlaggebende Faktoren, welche wieder einmal verdeutlichen, wie weitläufig und mächtig Schäfers Beziehungen in den Bereichen Politik und Militär waren. Die Kolonie wurde Teil des militärischen Spionageprojektes ANDREA und auch sonst in die Handlungen vom chilenischen Geheimdienst DINA sowie dem chilenischen Heer SIM mit einbezogen. Diese Tatsachen lassen das Ausmaß der Einflüsse der Kolonie klar werden. Schäfers persönliches Waffenarsenal war geschaffen.
Die Komplexität von Paul Schäfers Netzwerken lässt sich nur begrenzt zusammenfassen und die Geschichte der Colonia Dignidad beinhaltet weitaus mehr, als sich in diesem Beitrag darstellen lässt. Das Thema Waffen ist somit nur ein Bruchteil davon.
Für mehr Informationen empfehlen wir folgende Webseite: https://colonia-dignidad.com/ sowie die Bücher „Colonia Dignidad - auf den Spuren eines deutschen Verbrechens in Chile“ von Dieter Maier und „Das Blendwerk: Von der Colonia Dignidad zur Villa Baviera“ von Horst Rückert.