„Ihre Biographie zeigt, dass es in den ersten Jahren des Hitler-Faschismus durchaus Widerstand gab”
Konflikt im Stuttgarter Westen
Im vergangenen Jahr ergriff der gemeinnützige Verein „Die Anstifter” Initiative mit der Aktion „Ein Platz für Betty Rosenfeld”. Die Petition fordert eine Umbenennung des Stuttgarter Bismarckplatzes und zählt bereits mehr als eintausend Unterschriften. Doch wer war Betty Rosenfeld und wieso könnte ihr Name in Zukunft im Herzen des Stuttgarter Westens hängen?
Dr. Klaus Kunkel ist Teil des Vorstands der „AnStifter”. Auch gerade, weil der Bismarckplatz ein zentraler Ort sei, auf dem viel Leben stattfinde, sei die Wahl für eine Umbenennung auf ihn gefallen. Kunkel ist der Meinung, dass Betty Rosenfeld in Stuttgart bis heute eher unbekannt sei. Eine Umbenennung solle ihr Engagement ehren und an sie erinnern, sowie stellvertretend für ihre Familie und andere Opfer des NS-Regimes stehen: „Ihre Biographie zeigt, dass es in den ersten Jahren des Hitler-Faschismus durchaus Widerstand gab“, so Kunkel. Für ihn verkörpere die Widerstandskämpferin Werte des Humanismus und Antifaschismus. Sie sei als eine der wenigen engagierten Menschen in der NS-Zeit eine bewundernswerte Frau. Eine Benennung des Platzes nach Bismarck hingegen sei nicht mit den Werten unserer Demokratie zu vereinbaren: Der ehemalige Reichskanzler ließ seine politischen Gegner verhaften, verbot Parteien und zensierte die Presse. Die drei seiner sogenannten Einigungskriege kosteten hunderttausenden Menschen das Leben. Kunkel berichtet mir, dass Frauen in Straßen- und Platznamen generell unterrepräsentiert seien.
Betty Rosenfeld wird im Jahr 1907 in Stuttgart geboren. Sie wächst in einer wohlhabenden jüdischen Familie auf und geht im Westen zur Schule. Später macht sie am Katharinenhospital eine Ausbildung zur Krankenschwester. Im Alter von 20 Jahren beginnt Rosenfeld, sich politisch zu engagieren und macht sich unter anderem für die Gleichberechtigung von Frauen stark. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 ist die politische Linke in großer Gefahr: Bekannte und Freunde von Betty Rosenfeld kommen in Haft. Sie selbst ist im Untergrund aktiv und verfasst Flugblätter. Als die Nationalsozialisten zwei Jahre später die Nürnberger Rassengesetze erlassen, verschärft sich die Judenverfolgung sehr, weshalb sie sich gezwungen sieht, nach Palästina zu fliehen. Später hilft sie im spanischen Bürgerkrieg im Kampf gegen die Faschisten. Sie gelangt 1938 nach Frankreich und landet dort in Gefangenschaft. Als Deutschland 1942 die Auslieferung von Juden fordert, wird Betty Rosenfeld zusammen mit knapp 1000 weiteren Menschen in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Dort wird sie im Alter von 35 Jahren ermordet.
Als bis jetzt einzige Partei im Bezirksbeirat hat die CDU sich gegen eine Umbenennung des Ortes starkgemacht. Am Bismarckplatz hängen Plakate mit der Aufschrift „Bismarckplatz muss Bismarckplatz bleiben“. Der CDU Vertreter Richard Holberg berichtet, dass die Partei bei einer Umbenennung mehr Nach- als Vorteile sehe: Der Bismarckplatz diene als Orientierungspunkt, sein Name habe eine lange Tradition. Bei einer Umbenennung müssten zum Beispiel Adressen geändert werden, was für Anwohner und Gewerbe eher lästig als sinnvoll sei. Ich frage ihn, wie Bismarck innerhalb der Fraktion bewertet wird - schließlich hat er Katholiken verfolgen und die Vorgängerpartei der CDU verbieten lassen. Es fällt der Begriff „Licht und Schatten“: Dinge wie die Verfolgung von politischen Gegnern oder Kriege seien in der Partei kritisch gesehen, während Bismarcks Sozialgesetzgebung und Reichsgründung überwiegend positiv wahrgenommen würden. „Als Gesellschaft sehen wir Bismarck heute differenzierter als noch zur Zeit, in der der Platz seinen Namen bekommen hat”. Es bestehe dennoch keine Notwendigkeit, den Platz umzubenennen. Die CDU hält außerdem Umbenennungen für einen „unreifen” Umgang mit der Vergangenheit, da diese zum Vergessen der Geschichte führe. Diese Aussage ist laut Kunkel von den „AnStiftern” nicht vernünftig zu Ende gedacht. Die Vergangenheit werde nicht verdrängt, sondern lediglich auf historischer Grundlage bewertet. So entstehe ein neues, weniger positives Bild von Bismarck.
Die Diskussion ist noch nicht vorbei
Ich erfahre, dass es Pläne für eine öffentliche Podiumsdiskussion zwischen den AnStiftern und der CDU gegeben hat, jedoch ohne Ergebnis. „Diese politische Auseinandersetzung muss jetzt geführt werden“, sagt mir Herr Kunkel. Er will die Diskussion öffentlich führen und zeigen, dass ein großer Teil der Menschen im Westen der Initiative verständnisvoll gegenübersteht. Die CDU sieht das anders: Viele Leute hätten im direkten Gespräch ihr Unverständnis geäußert und seien froh, eine Stimme gegen die Aktion zu haben. Letztendlich wird die Entscheidung vom Gemeinderat gefällt.