„Dass der Chatbot Verhaltenszüge einer Person annimmt und schreibt wie eine, davon sind wir noch einige Jahre entfernt.“
Wenn ein Toter als Chatbot weiterlebt
Eugenia Kuyda und Roman Mazurenko waren beste Freunde, bevor Roman 2015 im Alter von 34 Jahren in Moskau bei einem Autounfall starb. Die junge Russin konnte den Verlust nur schwer verarbeiten und hat einen Weg gefunden, mit ihrer Trauer umzugehen. Roman lebt heute weiter: zwar nicht physisch, aber als Chatbot.
Die Geschichte von Eugenia und Roman beschreibt eine Situation, die viele schon einmal durchleben mussten. Wer einen geliebten Menschen verliert, für den bricht buchstäblich eine Welt zusammen. Jeder Mensch durchlebt Trauer anders und geht unterschiedlich damit um. Chatbots stellen dabei eine ganz neue, ungewöhnliche Art der Trauerbegleitung dar. Was klingt wie Science-Fiction, ist heute Realität.
Chatbots werden bereits in vielen Bereichen unseres Alltags eingesetzt. Sei es beim Ändern der Kontonummer oder beim Abfragen des Lieferstatus der kürzlich bestellten Jacke. Chatbots verkürzen die Wartezeiten enorm und sind eine hilfreiche Ergänzung im Alltag. „So würde ich das für den Trauerprozess auch sehen, als Add-on, zu allem was der Trauernde sonst an Arbeit leistet, dass er mit der Trauer umgehen kann“, sagt Anja Wiggenhauser, die als Psychologin und systemische Beraterin arbeitet. Es sei nicht schlimm, wenn einen der Verstorbene auf irgendeine Art und Weise im Alltag begleite. Jeder Mensch habe seine persönlichen Rituale, mit der Trauer umzugehen. Manche nehmen Kontakt mit Toten auf, indem sie zum Grab gehen oder in Gedanken mit ihnen sprechen. Der Chatbot sei auch eine Form davon und deshalb völlig legitim in der Nutzung.
Ob ein solches System dazu beitragen kann, besser mit der Trauer umzugehen, dazu hat Anja Wiggenhauser folgende Meinung: „Ein Chatbot kann zu Beginn ganz gut helfen, das erste Loch zu überwinden.“ Die Nutzung solle aber schrittweise weniger werden, damit der Mensch auch langsam wieder ein aktives Leben anfangen kann. Das größte Risiko sei jedoch, wenn der Chatbot als Therapiemaßnahme ohne persönliche Begleitung verkauft und der Trauernde davon abhängig werde. Dann ziehe sich der Trauerprozess eben viel länger, so die Psychologin weiter.
„Gegenüber Methoden in der Therapie oder Psychologie bin ich sehr offen. Ich finde den Einsatz positiv, wenn es den Menschen hilft und die Risiken wie Abhängigkeit und Datenrechte beachtet werden,“ erläutert Anja Wiggenhauser.
Chatbots haben ihre Grenzen
Was im Kundenservice durch standardisierte Antworten des Chatbots sehr gut funktioniert, lässt sich nicht auf alle Anwendungsbereiche übertragen. Gerade in der Kommunikation mit einer verstorbenen Person. „Wenn es um ein hohes Maß an Empathie geht und das Gespräch sehr persönlich oder individuell wird, haben Chatbots ihre Grenzen,“ beschreibt Frederik Schröder. Er ist Geschäftsführer der knowhere GmbH – einem IT-Unternehmen aus Hamburg, das die Kommunikation via Chat automatisiert. Wenn aus vergangenen digitalen Unterhaltungen Nachrichten generiert werden, dann ist das nur ein Teil des Menschen, eine bestimmte Rolle, welche die Person im Netz eingenommen hat. Diese kleine Facette der verstorbenen Person nimmt Einfluss darauf, was der Trauernde als Nachricht erwartet und was das System tatsächlich antwortet. Der Chatbot werde keine eigenständigen Texte generieren, sondern er könne nur die hinterlegten Fragen beantworten, die er trainiert hat. Mehr nicht. Das System habe auf neue Fragen keine Antworten mehr und die Kommunikation sei ab diesem Punkt begrenzt, erklärt Schröder weiter.
Eugenia teilt diese Bedenken nicht, wie sie der Tageszeitung „Welt“ erklärt. Den Chatbot entwickelt sie weiter. Er hat ihr geholfen, die Trauer zu verarbeiten. Heute lebt Roman für sie in einer anderen Form weiter. Der Chatbot sei in erster Linie nicht zum Reden da – sondern zum Zuhören. „Das ist auch in Ordnung“, findet die Psychologin. Jeder entwickele persönliche Rituale im Umgang mit der Trauer. Alles sei gut, solange es hilft.