Wenn die Zeit entgleist
Mit 400.000 Gästen pro Tag und einem Netz von 220 Kilometern ist die S-Bahn ein wichtiger Bestandteil für die Mobilität innerhalb der Stadt. Jedoch tauchen sehr häufig Verspätungen auf, die sich über Stunden hinauszögern und den Alltag der Pendler und Vielfahrer erschweren.
Die Ursachen für Verspätungen seien sehr unterschiedlich, meint DB-Ausbildungs- und Betriebslehrer Dirk Wöllner. Die Infrastruktur spiele hierbei eine große Rolle. Abgenutzte Weichen, die nicht mehr funktionieren oder Signal- und Stellwerkstörungen unterbrechen die Fahrt. Auch Fahrzeugstörungen oder Fremdkörper im Gleis gehören zu Problemfaktoren.
Alles für die Sicherheit
Eine kurze Unterbrechung der Zugfahrt führt zu stundenlangen Verzögerungen im gesamten Netz. Um die Frage „Warum eigentlich?“ zu beantworten, ist es wichtig, den Aufbau des S-Bahn-Netzes zu kennen: Es gibt nur eine Stammstrecke und alle Züge müssen deshalb hintereinanderfahren. Dabei sind die Strecken in Blöcke aufgeteilt, die einen Sicherheitsabstand zwischen den Zügen gewährleisten soll. Wenn also eine Störung zustande kommt, muss eine S-Bahn so lange warten, bis alle Fahrzeuge vor ihr weitergefahren sind. Darüber hinaus muss ein Sicherheitsabstand von mindestens einem Streckenblock eingehalten werden. Hinzu kommt, dass die Stammstrecke nicht nur von S-Bahnen genutzt, sondern mit anderen Zuggattungen geteilt werden. Gemeint sind hier beispielsweise Regionalbahnen.
Laut Statistiken war im August dieses Jahres die Pünktlichkeit sehr gut. Auf die Frage, warum sich ab September die Zahlen verschlechtert haben, antwortet Pressesprecher Reinhold Willing: „Es kamen in der Hauptverkehrszeit Störungen zustande, für die wir keine Erklärung haben.“ Wieder waren die Ursachen unterschiedlich. Ergänzend sagt Wöllner: „Es kommt auch schonmal vor, dass ein Ast oder eine Flasche in den Weichen zu einer Störung führt.“
Die Haltezeitüberschreitung als Bonus
Wenn es erst mal Verspätungen gibt, kommt es an den Haltestellen zu weiteren Verzögerungen. Die angestauten Fahrgäste an den Bahnsteigen versuchen in eine überfüllte S-Bahn einzusteigen. Die Türen können nicht geschlossen werden. Die Haltezeit verlängert sich um weitere Minuten und verhindert die Zugfolge. Sogenannte „S-Bahn-Helfer“ in gelben Westen haben hier ihren Einsatz. Sobald ein Zug ankommt, versuchen sie die einsteigenden Reisenden so gut wie möglich an den Türen zu verteilen. Dadurch beschleunigen sie die Ein- und Ausstiegsvorgänge. Diese Methode bringe rasche Abhilfe, meint Willing.
Ein Multitasking-Job
Lokführer, die während der Fahrt viele Aufgaben zu bewältigen haben, übernehmen in Verspätungssituationen auch eine wichtige Rolle. Durchsagen an Fahrgäste sind dabei nur ein kleiner Teil. Sie müssen den Zug mit Höchstgeschwindigkeit fahren, dabei den Fahrplan, die nächsten Haltestellen und Sicherheitssignale immer im Auge behalten. „Dabei dürfen wirklich keine Fehler passieren“, so Wöllner.
Nicht zu vergessen, die Sicherheitsfahrschaltung, kurz „Sifa“. Ein wichtiger Vorgang, bei dem der Fahrer seinen Fuß permanent auf einem Pedal hält und alle 30 Sekunden anhebt, damit das Fahrzeug keine Zwangsbremsung unternimmt. Das stellt sicher, dass der Lokführer weder schläft noch in Ohnmacht gefallen ist.
„Ein guter Lokführer bedient die Sifa im Schlaf“, scherzt Wöllner. Er war selbst einmal Lokführer und fügt hinzu: „Bei so vielen Aufgaben gleichzeitig kann es in Stresssituationen auch vorkommen, dass Lokführer in der Kundenkommunikation eine Aussage misslingt.“
Störungen reduzieren
„Das Schienennetz hat ein komplexes System. Daher muss es gut überwacht werden, um auf der sicheren Seite zu sein. Deshalb wird es immer Verspätungen geben“, erklärt Wöllner.
Um die Instandhaltung des S-Bahn-Netzes zu optimieren, gibt es jedoch technische Erweiterungen, wie beispielsweise die digitale Weichendiagnose „DIANA“. Dieses System kann die Beanspruchung von Weichen besser ablesen und erkennen. Sobald ein Fehler auftritt, wird das beim Stellwerk signalisiert und ein Reparaturteam macht sich auf den Weg. Bis jetzt wurde „Diana“ noch nicht an jeder Weiche im Netz installiert. Doch laut Pressesprecher Willing soll eine Nachrüstung folgen: „Das Diagnosesystem hat die Störanfälligkeit mit der momentanen Ausstattung um 20 Prozent reduziert.“
Wenn die Prozentzahlen nach dem Ausbau weiter steigen, würde das die Vielfahrer und Pendler freuen.