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Spuren der Erinnerung - auf den Wegen des Nationalsozialismus

QR-Code mit Fußabdruck
Fußspuren der Vergangenheit – QR-Codes des Projekts „Walkable History" führen zu den Schicksalen von jüdischen Menschen und Orten des Nationalsozialismus in Stuttgart. Ein interaktiver Weg zur Erinnerung und Aufklärung. | Quelle: Lilly Steiner
27. Jan. 2025

„Walkable History" - wie ein Projekt zwischen Vergangenheit und Gegenwart die Schicksale jüdischer Menschen erlebbar macht und wo man die Spuren des Nationalsozialismus noch heute in Stuttgart entdecken kann.  

Anhörung, Folterung, Verschleppung - dass sich diese grausamen Dinge hinter den Türen des Hotel Silber abgespielt haben, ahnt wohl niemand beim Anblick des unscheinbaren Gebäudes. Doch die heutige Gedenkstätte an den Nationalsozialismus diente ab 1939 als zentrales Büro der „Gestapo" - der Geheimen Staatspolizei des NS-Regimes. Hier wurden Gräueltaten gegen politische Gegner wie die Juden verübt, von denen heutzutage jegliche Spur verloren scheint. Oder etwa doch nicht? Das Projekt „Walkable History" begibt sich auf genau diese Spurensuche des Nationalsozialismus und der Schicksale deportierter Juden in Stuttgart - und verwendet dafür verbliebene Dokumente des Hotel Silbers.

„Walkable History" wurde 2022 von einem Team des Studiengangs Wirtschaftsingenieurwesen Medien (WING) an der Hochschule der Medien (HdM) ins Leben gerufen. In diesem Jahr setzen die beiden WING-Studentinnen Lilly Steiner und Franziska Dosch gemeinsam mit Henri Bornmann aus dem Studiengang Audiovisuelle Medien sowie drei internationalen Studierenden das Projekt fort.

Was das Hotel Silber mit dem Projekt verbindet

Im Rahmen von „Walkable History" wurde in den vergangenen Semestern eine Webseite entwickelt, die die Lebensgeschichten von zwei realen und einer fiktiven jüdischen Person darstellt. 

Ein besonderes Merkmal des Projekts ist dabei die Art und Weise, wie die Geschichten erzählt werden. Neben aufklärenden Texten und Audiodateien zu den individuellen Schicksalen gibt es interaktive Touren zu den Charakteren. „Die Lebenswege wurden in Form von begehbaren Routen durch Stuttgart nachgezeichnet", heißt es im Projektbeitrag des WING-Magazins „KNOWING". Die verschiedenen Routen führen die Besucher*innen zu vier bis sechs Lebensstationen der jeweiligen Person.   

Laut der Projekt- und Medienarchivseite der HdM stehe aber nicht nur das Schicksal der Einzelnen im Mittelpunkt, sondern auch die „Orte des Geschehens". Dabei wird der Fokus vor allem auf die Königstraße - Stuttgarts Hauptgeschäftsstraße -, den Killesberg und das Hotel Silber gelegt. Das Hotel Silber unterstützt ,,Walkable History’’ mit historischen Quellen und Originaldokumenten und verleiht dem Projekt dadurch nach „KNOWING": „besondere Tiefe und Authentizität". 

Das Hotel Silber
„Große Unterstützung": Das Hotel Silber trug zu „Walkable History" mit historischen Dokumenten bei. | Quelle: Heiko Wieland

Weitere Schritte und Perspektiven

Im Wintersemester 2024/25 wurde „Walkable History" weiterentwickelt. Ein neuer Prototyp der Webseite verbessert die Benutzerfreundlichkeit und integriert mehrsprachige Audiodateien. Zudem wurde die Lebensgeschichte von Alice Haarburger, einer Stuttgarter Künstlerin und Holocaust-Opfer, recherchiert.  

Dabei sei die Recherche besonders anspruchsvoll gewesen, da nur wenig zugängliches Material zur Verfügung gestanden habe, so Lilly Steiner. Durch umfangreiche Recherchearbeit konnte die bislang fiktive Geschichte schlussendlich durch die reale Biografie ersetzt werden.  

Alice Haarburger lebte von 1891 bis 1942. Aufgrund ihrer jüdischen Wurzeln durfte sie mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten keine Kunst mehr ausstellen. 1941 wurde sie nach Riga deportiert. An diesem Punkt verlieren sich laut „KNOWING" ihre Spuren, da sie vermutlich in einem Konzentrationslager ums Leben kam. 

In Gedenken an die Opfer - Stolpersteine
Direkt vor dem Haus von Alice Haarburger - Stolpersteine gegen das Vergessen. | Quelle: Lilly Steiner
Alice Haarburgers zweites Wohnhaus
Zweites Wohnhaus: Hier fand Alice Haarburger vor ihrer Deportation Zuflucht. | Quelle: Lilly Steiner
Das Haus vom Bund Bildender Künstlerinnen
Ort der Kunst: Im Haus des Bundes Bildender Künstlerinnen entstanden Alice Haarburgers Kunstwerke. | Quelle: Lilly Steiner

Dass „Walkable History" ein sensibles Thema behandelt, sei die Stärke des Projekts, so Lilly Steiner. Gerade weil sich „solche geschichtlichen Ereignisse wie zwischen den Jahren 1933 bis 1945 nicht nochmals wiederholen dürfen", müsse weiterhin darauf aufmerksam gemacht werden. Daher möchten die Studierenden besonders eine junge Zielgruppe ansprechen. „Mit ,Walkable History' kann man außerhalb von Lernorten wie Museen oder der Schule auf eine interaktive und ansprechende Weise mehr über die nationalsozialistische Geschichte Stuttgarts erfahren".

In Zukunft wird die Webseite um neue Geschichten erweitert. An den einzelnen Stationen sollen zudem QR-Codes neben Fußabdrücken auf dem Boden angebracht werden, die den Nutzer*innen ermöglichen, mehr über die jeweiligen Personen zu erfahren - „ein Symbol für die Schritte der Vergangenheit". 

„Mit ,Walkable History' kann man außerhalb von Lernorten wie Museen oder der Schule auf eine interaktive und ansprechende Weise mehr über die nationalsozialistische Geschichte Stuttgarts erfahren".

Lilly Steiner

Das Projekt hautnah erleben

Wer sich vorab einen ersten Eindruck von „Walkable History" verschaffen möchte, hat bei der MediaNight der HdM am 30. Januar dieses Jahres die Gelegenheit dazu. Dort wird der aktuelle Prototyp der Webseite ausgestellt und kann von den Besucher*innen getestet werden.