Ich wollte kämpfen wie Jackie Chan
Sein Blick schweift über den Marktplatz in Freudenstadt. Er sucht nach Hindernissen. Gegenstände, die er in seinem Kopf zu einem Parkour vereint. Als er zufällig in die Richtung einer Bank schaut, schlage ich vor, dass wir uns setzen. Andy fügt sich, steht während des Interviews aber immer wieder auf, um sich zu bewegen. Für ihn hat alles in einer Kampfschule im Schwarzwald angefangen. Später ging er raus in die Welt, um an Wettkämpfen teilzunehmen und als Stuntman zu arbeiten. Doch bei seinem ersten Dreh lag Andy bewusstlos am Boden in einer Halle in Bangkok.
Du hast deinen Eltern zu Liebe nach deinem Realschulabschluss, eine Ausbildung als Orthopädie-Schuhmacher gemacht. Mit 19 Jahren bis du dann aber als Stuntman nach Bangkok gereist. Was hat dich dazu motiviert?
Ich wusste genau, was ich in meinem Leben machen will. Schon als kleiner Pimpfer. Etwas Anderes kann ich mir bis heute einfach nicht vorstellen. Deswegen habe ich da auch alles drangesetzt.
Warst du ein sportliches Kind?
Ich habe immer, immer Sport gemacht. Ich komme aus einer Familie, in der Sport gefördert wird. Früher war ich öfter Skifahren und dann, zusammen mit meinem Bruder, auch Skispringen. Aber irgendwann bin ich beim Kampfsport hängen geblieben.
Wie hat sich das weiterentwickelt?
Ich habe gerne Jackie-Chan-Filme geschaut und wollte mich auch so bewegen können. Er springt überall hoch und runter und kann kämpfen wie eine Granate. In der Kampfsportschule hatte ich das Glück, einen Trainer zu haben, der auch Akrobatik mit uns gemacht hat. Jetzt nicht sehr viel, nur zwei bis drei Sachen eigentlich. Aber das hat mich dann so gepackt, dass ich die Matratze aus meinem Bett genommen, in den Garten geschmissen und meine ersten Saltos versucht habe (lacht).
Wie lief dein erster Dreh als Stuntman in Bangkok?
War relativ cool. Ich hatte einen Kampf mit Jonny Messner, dem Schauspieler von Anakonda. Er hat den Abstand aber nicht beachtet und mir total ein blaues Auge verpasst. Alle waren geschockt und haben gesagt: „Andy müssen wir auswechseln, den müssen wir auswechseln.“ Aber ich habe gesagt: „Nein, ich mache jetzt weiter, ich drehe das zu Ende. Das ist mein Tape, das ist mein Kampf, das mache ich jetzt.“ Dann waren alle Stuntmans, auch die Erfahrenen, so geflashed und haben mir gegenüber großen Respekt gezeigt.
Du machst Parkour und Freerunning. Gibt es einen Unterschied?
Parkour ist die klassische Methode. Das heißt man rennt von A nach B, effizient und möglichst schnell. Freerunning ist eher das Spielen mit der Umgebung. Da sind dann Schrauben, Saltos und ja, Akrobatik, mit dabei.
Kombinierst du beides miteinander?
Ja ich finde, wenn man nur Saltos macht ist das ein bisschen einseitig. Und wenn man nur Parkour macht auch. Deswegen mache ich eine gesunde Mischung aus beidem. Glaube ich.
Stichwort Verletzungen
Ich habe Probleme mit dem linken Knie. Blaue Flecken oder Verstauchungen sind normal. Zurzeit ist mein linkes Handgelenk hier ziemlich durch. Und ja, das war es eigentlich. In Mexico habe ich mir meinen Mittelfuß gebrochen, meinen rechten, ...
Andy zeigt abwechselnd auf alle möglichen Körperteile. Irgendwann höre ich auf mitzuzählen. Für kurze Zeit bleibt sein Finger unterhalb einer kleinen Narbe auf der Oberlippe liegen.
Meine Oberlippe musste einmal genäht werden. Ein bisschen sieht man es noch heute. Ich hatte eine Parkourshow und musste einen Rückwärtssalto, von den Schultern eines Kumpels, machen. Und in dem Moment, als ich abgesprungen bin, war er total lommelig. Ich war dann ohnmächtig und meine Zähne waren locker. Da hatte ich zu kämpfen. Weil ich nicht essen und nicht gescheit trinken konnte und vor allem lachen tat richtig weh.
Die Narbe wird größer, als seine Mundwinkel nach oben wandern.
Das hört sich dann doch nicht ganz ungefährlich an. Hast du inzwischen keine Angst mehr?
Doch. Ich denke sogar, dass Angst wichtig ist. Es ist wichtig, dass man seinen Körper selbst einschätzen kann. Die Angst kann man sich an- und abtrainieren. Aber sie sollte nie übergreifen.
Nach deiner Zeit in Bangkok hattest du Produktionen und Shows in mehreren Ländern. In Deutschland sieht man dich im Tatort oder beim Polizeiruf. Im amerikanischen Film „Street Run“ spielst du das Stuntdouble des „Chroniken von Narnia“-Stars William Moseley. Seit eineinhalb Jahren lebst du nun in Mexico. Warum?
Mexico City ist halt das Hollywood der spanischsprachigen Länder. Dort wird relativ viel gedreht. Ich habe gewusst, dass ich hier in Freudenstadt auf Dauer nicht viel erreichen kann. Ich musste wieder ins Ausland. Das war immer mein Ziel und ich denke, dass ich in Mexiko gute Chancen habe. Parkour ist keine normale Sportart, die immer im Fernsehen kommt. Es läuft vieles über Facebook, Instagram oder Youtube. Und im Schwarzwald kann ich nicht so guten Content produzieren. Mexico City ist da halt der Parkour-Heaven.
Parkour-Heaven?
Ja, ich glaube, dass Parkour dort akzeptierter ist. Mexiko hat viele Straßenkinder und die können sich kein Skateboard oder BMX leisten. Die machen alle Parkour, weil sie dafür nur Schuhe brauchen. Und im Notfall geht es auch barfuß.
Wo trainierst du?
In Mexiko-City hat es viele Spots und der beste Spot ist für mich die Universität. Es ist eine Riesenfläche mit diversen Gebäuden, die ungefähr zwei bis vier Stockwerke hoch sind und alle ein Flachdach haben. Am Wochenende kann man sich das wie eine verlassene Insel vorstellen, weil alles von hohen Mauern umgeben ist. Die Polizei kann nicht rein, in der Uni sind nur Sicherheitskräfte.
Das heißt?
Dass mit der Polizei sage ich jetzt genauso, weil die meisten Polizisten in Mexiko korrupt sind. Auch wenn du nichts machst, die verknacken dich einfach so.
Hast du schon mal so seine Situation erlebt?
Wir hatten eine Parkour-Jam auf einem öffentlichen Platz. Dann kam ein Polizist vorbei und hat gesagte: „Springen ist verboten, nur Laufen ist erlaubt.“ Alle haben ihn ausgelacht. Der hat dann aber seine Kollegen gerufen und es kamen fünf oder sechs Streifenwagen. Die haben dann drei, vier - ich glaube vier - Leute von uns mitgenommen. Einfach so. Nach drei Stunden durften sie wieder gehen. Die wollten natürlich nur einen Grund finden, um Geld zu scheffeln. Aber das hat sich dann geklärt. Weißt du, wir im Parkour, wir wollen nichts zerstören. Wir machen wirklich keinen Unfug.
Hat dich der Sport verändert?
Ich denke, die Mischung aus dem Sport und der Reiserei hat mich ein bisschen offener und selbstsicherer gemacht. Ich hatte immer Schiss davor, alleine ins Ausland zu gehen. Und wenn ich jetzt daran denke, dass ich alleine in Mexico City bin, einer der gefährlichsten Städte der Welt, das ist schon eine krasse Wandlung (lacht).
Du versuchst dein Können auch weiterzugeben, in dem du Workshops gibst.
Ja, letzte Woche war ich an der Kepler-Schule in Freudenstadt. Da hatte ich zwei sechste Klassen. Jungen, Mädchen. Sportlich, nicht sportlich. Es gab wirklich krasse Unterschiede. Abends als ich ins Auto gestiegen bin, war ich echt fasziniert und habe gedacht: „Wow, die haben wirklich alle, alle mitgemacht.“
Was lernen die Kinder von dir?
Im Schulsport muss man immer so ein bisschen aufpassen, weil man da schnell Ärger mit den Eltern bekommt. Deswegen mache ich mit den Kiddies immer nur so zwei, drei, vier Basics. Den Präzisionssprung, also von A nach B springen, wie man sich abrollt, einen Wandsprung und dann noch verschiedene Techniken, um über kleine Mauern zu kommen.
Andy legt seine Hände an das Geländer der silberfarbenen Metallbank. Soweit auseinander, dass sein Körper dazwischen passt. Seine Beine drücken ihn vom staubigen Weg ab, er springt circa 30 cm hoch. Das wars. Er simuliert nur.
Du in fünf Jahren.
Früher war es mir wichtig bei jedem Film mitzumachen. Bei dem, bei dem, bei dem. Aber solange Du dein Leben irgendwie lebst und glücklich bist, ist es egal, ob du Filme drehst oder mit Kiddies arbeitest. Das ist dann gar nicht mehr so wichtig, wie es mir früher immer vorkam. In fünf Jahren habe ich hoffentlich eine Parkourhalle, in einer größeren Stadt in Deutschland.
Zum Abschluss gehen wir zu einem größeren Steinblock in der Nähe der Stadtkirche. Einen Salto zeigt Andy mir dann doch noch.