Metropolitan Jungle
Seit fast 100 Jahren bewundern Besucher die Schaugärten der Wilhelma. Die Botanik bietet nicht nur eine Heimat für eine breite Artenvielfalt, sondern auch eine Konstante im Leben der Bewohner Stuttgarts – einer sich stets wandelnden Stadt. Genau das sei für Dr. Björn Schäfer, Leiter der Botanik in der Wilhelma, das Schöne an seinem Beruf. „Wenn man einmal weiß, wo ein Edelweiß wächst, dann kann man nach einem Jahr wiederkommen, auf denselben Felsen steigen und das Edelweiß ist immer noch da.“ Gleiches gelte für die Pflanzen in der Wilhelma.
Schon mit neun Jahren wusste Dr. Schäfer, was er werden wollte: Verhaltensbiologe. Im Laufe seines Biologiestudiums entdeckte er jedoch seine Leidenschaft für die Botanik. Diese sei reproduzierbar, nicht so hektisch. Genau das will er auch den Besuchern bieten. Einen Ort abseits der Hektik der Großstadt, um sich mithilfe der Ruhe der Pflanzen erholen zu können. Wir fragen ihn nach seinem Lieblingsort zum Entspannen. Er sagt, das sei abhängig von der Jahreszeit: „Im Januar ist es das Amazonashaus, im Februar der Wintergarten mit seinen Zitrusbäumen."
Um das Gefühl des „woanders Seins“ den Besuchern zu ermöglichen, hat man 545.000 Hektar Regenwald aus dem Amazonas als Vorlage genommen und im Tropenhaus eine Kopie erstellt. Mit rund 300 verschiedenen Arten benötigt es einen enormen Aufwand an Planung und Struktur, damit sich jede Pflanze optimal und natürlich entwickeln kann. Hierfür erfasst Dr. Schäfer seit mehr als sieben Jahren Daten über jede einzelne Pflanze. So erhält jedes Gewächs den geeigneten Platz und die perfekte Pflege. Was die Besucher letztlich von der Arbeit sehen: Ein natürlicher, exotischer Ort inmitten von Autos und Straßenbahnen, um sich eine Auszeit nehmen zu können.
Täglich erfreuen sich zehn- bis zwölftausend Besucher an den Tropenhäusern. Doch nicht jeder gehe respektvoll damit um. „Lausbuben-Diebstähle“ unreifer Mangos, Zitronen oder ähnlichem gebe es immer wieder. Man finde die Früchte dann meistens irgendwo draußen im Gebüsch, wo sie die Menschen liegen lassen. Schlimmer aber sei es, wenn Leute mit Fachwissen gezielt wertvolle Pflanzen klauen. Ab und an landen diese auch auf dem Schwarzmarkt. „Zusammen mit dem Tier- und Pflanzenhandel verdient man mehr Geld als mit dem Drogenhandel", erzählt uns Dr. Björn Schäfer.
Die Großzahl der Besucher sind jedoch wahre Botanik-Liebhaber und genießen ihren Aufenthalt. Von Stammbesuchern bis hin zu Leuten, die extra mit Fernbussen anreisen, nur um die Magnolien blühen zu sehen, sei alles dabei. Jeder nutze diese Umgebung anders. Viele besuchen bewusst die wechselnden Ausstellungen in den Schauhäusern, um die vielfältigen Facetten der Pflanzenwelt zu erleben. Die Dauerausstellungen sind allerdings auch gut besucht und werden bewusst nicht verändert. So können Großeltern ihren Enkeln erzählen, dass es hier genauso aussah, als sie selber jung waren.
Auch viele Künstler zieht es in die Tropenhäuser. Lea, angehende Kunststudentin, sitzt mit ihren Stiften auf einer Bank in einem der Gewächshäuser. Vor sich eine Blüte, ihr Blick ist konzentriert auf ihre Zeichnung gerichtet. „Pflanzen sind für mich mehr als nur hübsche Deko. Ihre Farben und Strukturen faszinieren mich", erklärt sie. Sie bestechen durch eine einzigartige Architektur, die sich nie verändert und doch unendliche Perspektiven ermöglicht. Ihre Schönheit liege in einer anderen Welt. Einer Welt, in der man seine Gedanken vergisst und sich in den Kompositionen der Linien verliert.
So bietet die Botanik der Wilhelma einen Ort der Ruhe, Lehre und Erholung vom Stuttgarter Alltag und begleitet schon viele Generationen.