Balkongemüse statt Supermarkt
Parallel zum digitalen Zeitalter dominieren Themen wie Umweltverschmutzung und Lebensmittelverschwendung die Agenda. Laut Bundeszentrum für Ernährung landen pro Jahr und Haushalt im Schnitt 6,7 Millionen Tonnen Lebensmittel im Mülleimer statt auf dem Teller. Die Art und Weise wie wir uns ernähren, hat erhebliche Auswirkungen auf den Ressourcenverbrauch. Sowohl für die Erzeugung als auch für die Vernichtung werden Rohstoffe, Energie und Wasser benötigt. Urbanes Gärtnern versucht sich diesem Problem in Städten anzunehmen.
Seinen Ursprung hat Urban Gardening in den 1970er Jahren als politischer Protest. Widerständler haben Grünflächen dahingehend verändert, dass sie heimlich Blumen oder Büsche pflanzten, um auf ökologische Probleme aufmerksam zu machen. Damals – noch unter dem Begriff Guerilla Gardening – war es meist illegal. Was als Protestaktion begann, entwickelte sich zu einem legalen Gartenbau in städtischer Umgebung.
Eine Garten-Avantgarde
Aktiv sind vor allem junge Menschen, die auf globale Herausforderungen und städtische Defizite reagieren. „Wir haben eine Art kulturelle Umcodierung erlebt. Früher drückte man sich – weil es unmodern, rückständig und mühsam wirkte. Heute gilt es tatsächlich als cool, fortschrittlich und vor allem auch als politisch, sich wieder in Subsistenzaktivitäten wie dem Urban Gardening zu betätigen“, erklärt Niko Paech, Professor für Plurale Ökonomik an der Universität Siegen. Es ist eine kleine Gegenbewegung zur digitalisierten Welt der Menschen. Sie besinnen sich zurück zur Natur und genießen die Möglichkeit des selbstständigen, ökologischen Wirkens.
Wer im dichten Stadtgefüge Platz für Pflanzen finden möchte, muss kreativ sein. Klassische Urban Gardening-Formen werden bisher vor allem auf Grünstreifen oder gemieteten Ackerparzellen angeboten. Eine innovative Art bietet Geco-Gardens. Das System hebt sich durch die Platzeinsparung von anderen Ansätzen ab. Ob öffentlicher Parkplatz, Innenhof oder privater Balkon: Auf versiegelten Plätzen ermöglicht es neue, flexibel aufgebaute Gartenflächen. Dabei werden die Themen Abfallrecycling, erneuerbare Energiegewinnung und ökologische Produktion in einem in sich geschlossenen Kreislauf abgedeckt.
Neben den nachhaltigen Aspekten steht ein weiterer Vorteil im Fokus: Für den Einkauf oder die Nutzung klassischer Urban Gardening-Systeme muss man zunächst eine gewisse Strecke zurücklegen. Das Geco-Gartensystem dagegen ist direkt zuhause aufgebaut.
Grundsätzlich kann im System alles angebaut werden: Von Gemüse über Kräuter bis hin zu verschiedenen Früchten. Dennoch ist eine komplette Selbstversorgung durch Urban Gardening auch mit Geco-Gardens nicht möglich. Vielmehr wird durch das eigene Anbauen ein Stück Selbstbestimmung und Gesundheitssinn im Menschen befriedigt. „Es entsteht ein gutes Lebensgefühl“, erklärt Prof. Dr. Niko Paech.
Das entstandene Gefühl ist ein Punkt, den Paech auch kritisch betrachtet: „Urban Gardening darf sich nicht als Art ‚Ablass’ entpuppen. Das Umweltproblem wird nicht gelöst, wenn sich jemand politisch und ökologisch auf der richtigen Seite sieht, weil er pro Woche vier Stunden im Urban Gardening-Projekt ist, am Wochenende aber den Flieger nutzt“.
Wird es jedoch aus Überzeugung betrieben, dann sieht er Chancen: „Wenn Menschen wirklich quantitativ einen Teil ihrer Nahrungsmittelversorgung in diesen Gärten erzeugen, um nicht immer in die Supermärkte rennen zu müssen, dann wird sich das auch halten“.
Ob der Trend nur ein Hype für das gute Gewissen ist oder ob Urban Gardening Menschen wirklich unabhängiger und Ressourcenverschwendung geringer macht, liegt an jedem selbst. Das Potenzial zum Konzept mit Zukunft ist vorhanden.