Flugmodus an. Corona aus.
Ein Mann läuft in das Flughafenterminal. Die Maske bedeckt lediglich sein Kinn. Außerdem schnäuzt er sich die Nase. Während er das benutzte Taschentuch in die Hosentasche schiebt, macht er noch keine Anstalten, seine Maske vernünftig aufzuziehen. Ich habe während meiner Reise immer wieder das Gefühl, manche Menschen denken, Corona sei passé, sobald sie im Urlaub sind.
Von Stuttgart aus fliege ich nach Lanzarote. Der Flug wird vier Stunden dauern. Zwei Stunden vorab bin ich am Flughafen. Der Mund-Nasen-Schutz wird stets mein Gesicht bedecken. Er wird in diesem Urlaub mein treuer Begleiter. Das wurde mir schon beim Packen meines Koffers klar. Nicht nur Badehose, Shirts und Sonnencreme stehen auf meiner Packliste. Ganz oben steht in Großbuchstaben das, was ich auf keinen Fall vergessen darf: Mundschutze.
Ich stehe nun also mitten im Stuttgarter Flughafenterminal. Die Hallen sind leerer als sonst, die Schlange zum Einchecken ist dennoch sehr lang. Von Mindestabstand kann hier nicht die Rede sein. Ich reise mit meinem Vater und meinem Bruder. Wir haben bereits online eingecheckt und können die Schlange umgehen. Nur noch schnell unser Gepäck abgeben und durch die Sicherheitskontrolle. An den Gates herrscht die gleiche Unruhe wie immer. Bevor wir abfliegen kaufen wir uns noch etwas zu essen. Wir setzen uns in den Restaurant-Bereich. Noch einmal die Maske abziehen. Noch einmal frei atmen. Ich habe keine Lust, die Maske noch weitere vier Stunden, die der Flug dauert, zu tragen. Aber ich mache es gerne. Ich will in den Urlaub. Also Maske auf und ab zum Boarding.
Es ist erst das dritte Mal nach der Corona-Auszeit, dass das Flugzeug von Stuttgart nach Lanzarote fliegt. Das Boarding findet in Gruppen statt. Die hinteren Reihen zuerst, damit sie nicht an den Passagieren der vorderen Plätze vorbeilaufen. Den ganzen Flug über ist meine Nase und mein Mund bedeckt. Ein beklemmendes Gefühl, aber weniger schlimm als gedacht. Zum Essen und Trinken darf ich die Maske kurz herunterziehen. Es ist ungewohnt, die Stewardessen nicht lächeln zu sehen. Wie Arzthelferinnen laufen sie durch den Gang. Ich schaue umher. Das Kindergeschrei ist dasselbe wie immer, doch überall sehe ich Masken. Sehr unpersönlich. Nach der Landung freue ich mich auf den Urlaub. Die Maske bleibt weiterhin auf.
Vor der Reise musste ich ein Formular ausfüllen. Ich muss versichern, dass ich nicht mit dem Corona-Virus infiziert bin oder mit einer positiv getesteten Person in Kontakt war. Den generierten QR-Code muss ich nach der Ankunft vorzeigen. Am Gepäckband markieren Klebestreifen den Mindestabstand. Ich bin froh, als wir das Flughafengebäude verlassen. Sofort ziehe ich meine Maske ab. Endlich wieder frische Luft. Nun kann der Urlaub beginnen.
Wir fahren mit dem Mietwagen zu unserer Ferienwohnung. Auf dem Rücksitz liegt ein Zettel, welcher darauf hinweist, dass das Auto desinfiziert wurde. Corona ist allgegenwärtig. An der Wohnung treffen wir unsere Bekannte. Patricia hat uns die Unterkunft vermittelt. Wir seien die ersten, die die Wohnung nach der Corona-Krise beziehen.
Der Tourismus auf Lanzarote ist nicht vergleichbar zu den Vorjahren. Auf meine Anfrage teilt der Flughafen Lanzarote mit, dass es im Juli 2.691 Operationen (Ankünfte und Abflüge) gab. Dies sei etwa die Hälfte im Vergleich zum gleichen Monat 2019.
Als ich sechs Monate alt war, kam ich zum ersten Mal auf diese kanarische Insel. Seit 21 Jahren also verbringe ich fast jährlich meinen Sommerurlaub auf Lanzarote. Es ist wie eine zweite Heimat. Ich habe schon jede Sehenswürdigkeit gesehen und muss an keiner Sightseeing-Tour mehr teilnehmen. So hat es sich aber für die Einheimischen während des Lockdowns angefühlt, erzählt unsere Bekannte Patricia: wie eine Sightseeing-Tour. Die Straßen waren leer und sie konnte in gedrosseltem Tempo Natur und Landschaft genießen.
Die Spanier hatten eine der striktesten Ausgangssperren der Welt. Sie durften das Zuhause nur verlassen, um zur Arbeit zu gelangen, Einkäufe zu erledigen oder mit dem Hund Gassi zu gehen. Da somit nur noch wenige Leute unterwegs waren, fühlte sich der Weg zur Arbeit für Patricia eben wie eine Sightseeing-Tour an. Seit dem 11. Mai dürfen die Bewohner der Kanaren wieder uneingeschränkter aus dem Haus.
Mitte August hatte die deutsche Bundesregierung Spanien erneut zum Risikogebiet erklärt. Von touristischen und nicht notwendigen Reisen in das südeuropäische Land wird bis zum jetztigen Zeitpunkt abgeraten. Einzige Ausnahme waren die kanarischen Inseln. Die Infektionsrate sei hier gering genug gewesen. Anfang September wurden schließlich aber auch die Kanaren als Risikogebiet eingestuft.
Am ersten Urlaubstag fahren wir zu einem Strand im Norden der Insel. Das Gefühl ist wie immer unbeschreiblich. Der Duft des Meeres, der durch den Wind in meine Nase geblasen wird. Der Sand, der bei jedem Schritt durch die Zehen rieselt. Darauf freue ich mich das ganze Jahr schon, seit Januar, als wir die Reise buchten. Es sind weniger Badegäste vor Ort als in den Jahren zuvor. Niemand liegt dicht auf dicht, wie es sonst schon war. Ich habe es gehasst, wenn sich Großfamilien unmittelbar neben uns gelegt haben. Die Ruhe entspannt mich.
Nach einer Abkühlung im Atlantik spielen mein Bruder und ich Beachball. Wir suchen uns eine freie Stelle, damit wir niemandem zu nahekommen. Nach wenigen Ballwechseln kommt eine Frau zu uns. Sie ist die Aufsicht. Nett begrüßt sie uns in ihrem neongelben Shirt und der roten Badehose. Sie weist uns dann darauf hin, dass Sport am Strand zu zweit oder in Gruppen verboten ist. „Solo deportivas individuales“, sagt sie. Enttäuscht aber verständnisvoll laufen wir zu unseren Handtüchern zurück und sonnen uns. Währenddessen beobachten wir, wie sie noch zweimal einschreiten muss. Auch andere wissen nichts vom Verbot. Als wir gehen, sehen wir ein Schild am Eingang. Es besagt, dass Sport in Gruppen von 10 bis 18 Uhr verboten ist. Wer lesen kann, ist klar im Vorteil.
Am Abend spazieren wir noch über die Strandpromenade von Puerto del Carmen. In den Jahren zuvor musste man sich durch Menschenmassen quetschen, die einem entgegenkommen. Dieses Mal können wir den Mindestabstand von 1.5 Meter gut einhalten. Naja, könnten wir. Manche Touristen scheint das aber nicht zu interessieren. Oftmals weiche ich noch im letzten Moment aus. Es ist Urlaub, da vergessen manche, in welcher Lage sich die Welt befindet.
Mich schockieren aber vielmehr die unzähligen Rollläden, die heruntergefahren sind. Hinter ihnen verbergen sich Restaurants und Shops, die vorerst nicht öffnen. Die ganzen geschlossenen Bars und Restaurants machen mich traurig. Sonst war die „Avenida“ ein lebendiger Ort mit viel Musik, Farbe und Menschen. Nun ist man auch hier auf dem Boden der Tatsachen gelandet. Selbst die Lokale, die geöffnet haben, sind nur sparsam besucht. „Wie für jedes Reiseziel ist die Situation schwierig“, sagt mir Denis Garcia von der Tourismusbehörde Lanzarotes.
Durch die Corona-Krise und damit verbundene Einschränkungen und Risiken reisen weniger Menschen auf die kanarische Insel. Laut einer Statistik der Tourismusbehörde reisten im Juli des vergangenen Jahres 331.877 Personen nach Lanzarote. In diesem Juli waren es 107.576. Also nur etwa ein Drittel an Touristen im Vergleich zum Vorjahr.
Dass weniger Leute auf der Insel sind, merke ich auch einen Tag später an einem anderen Strand. Eine lange Küste, die zu einem ausgedehnten Spaziergang einlädt. Oft war er trotz der Größe voll. Dieses Jahr ist es sehr gemütlich und man kommt niemandem in die Quere. Ich finde Gefallen daran, dass die Insel so leer ist. Man hat mehr Platz und Freiraum und kann die Insel entspannter genießen.
Doch Corona ist nicht passé. In Spanien gilt die Maskenpflicht beispielsweise auch an öffentlichen Räumen, die sich im Freien befinden. Am Strand oder der Promenade sehe ich aber nur vereinzelt Menschen, die einen Mundschutz tragen. Auch ich trage keinen, weil ich es so nicht gewohnt bin. Es schleicht sich also auch bei mir eine Nachlässigkeit ein. Ich mache mir gar nicht mehr so viele Gedanken. Ich bin entspannter im Urlaubsmodus.
Im Supermarkt achte ich nicht mehr so genau auf den Abstand. Wenn ich die Chorizo, eine spanische Wurst, haben möchte, schlängel ich mich auch mal an den anderen Kunden vorbei. Den Mindestabstand beachte ich dabei nicht. Jeder macht das so, das beobachte ich auch in Deutschland. Zwar trage ich beim Einkaufen eine Maske, wie es vorgeschrieben ist, wenn ich aber nicht muss, bleiben mein Mund und meine Nase unbedeckt. Ich bin im Urlaub und da habe ich noch weniger Lust auf Einschränkungen als daheim. Ich glaube, viele Leute denken ähnlich und deshalb steigen die Corona-Fallzahlen in Deutschland seit Mitte Juli wieder stetig. Mutmaßlich eine Auswirkung der Urlaubssaison.
Einen Besuch im Kakteenpark wollen wir uns nicht nehmen lassen. Doch schon am Eingang muss ich den Kopf schütteln. Trotz Maskenpflicht im ganzen Park macht eine junge Dame ein Selfie. Den Mundschutz nimmt sie dafür ab. Unverständlich, denn am Eingang sind einige Personen in unmittelbarer Nähe. Ich finde es nicht schlimm, wenn man die Maske mal kurz abzieht. Dann sollte aber niemand Fremdes in der Nähe sein. So beobachte ich es auch bei vielen anderen. Auch ich mache das teilweise. Wir sind an der frischen Luft, so kenne ich es aus der Heimat.
Nachdem wir im Kakteenpark waren, kehren wir noch in ein Bistro in einem alten Dorf ein. Wir bestellen eine Käseplatte und einen Cafe con Hielo, einen Kaffee mit Eiswürfel. Wir sitzen gemütlich in der Sonne bis uns auffällt, dass wir keine Kontaktdaten hinterlassen müssen. Was in Deutschland schon Standard ist, muss man hier nicht machen. Auch in einer Strandbar, in der wir an einem anderen Tag sind, müssen wir kein Formular ausfüllen.
Mir fällt immer wieder auf, dass ich Corona vergesse. Der Urlaub lässt mich entspannen. Doch genauso oft werde ich an den Virus erinnert. Maske aufziehen, Abstandsmarkierungen und der Geruch von Desinfektionsmittel. Es gehört zum neuen Alltag, ob im Urlaub oder zu Hause. Viele wollen Corona im Urlaub vergessen, doch das darf man nie. Es ist ein anderer Urlaub. Er hat gleich viel positive wie negative Aspekte.
Den Rest unseres Aufenthalts gehen wir hauptsächlich an unseren Lieblingsstrand. Er besteht aus mehreren großen und kleinen Buchten. Dort, wo wir sind, ist es schön leer, da man ein Stückchen über einen Hügel laufen muss. Die beiden großen Buchten nebenan sind deutlich überlaufener. Trotzdem merkt man, dass niemand dem Nächsten zu nahekommen will. Vorsicht ist geboten. Wenn einmal Platz ist, kann man auch wieder Beachball spielen. Solange man niemanden gefährdet, sehen es alle entspannt.
Nach einer Woche steht dann schon wieder der Rückflug an. Das Einchecken und der Gang durch die Sicherheitskontrolle dauern fast eine Stunde. Warum? Die Abstandsregelung wird vom Flughafenpersonal sehr ernst genommen. Im Bereich der Kontrolle befinden sich nur wenige Passagiere. Nachdem ich endlich durchgescannt wurde, habe ich ein Déjà-Vu. Einige Restaurants und Läden im zollfreien Bereich sind geschlossen. Der Tourismus ist hart getroffen.
Als es zum Boarding geht, mache ich mich auf einen Einstieg nach Sitzreihen gefasst. Fehlanzeige. Laut Tui fly solle das Gruppenboarding immer stattfinden. Warum es hier nicht so war, kann sich der Tui-Mitarbeiter Sören Ladehof nicht erklären. Solche Unachtsamkeiten stelle ich aber auch bei mir fest. Beim Anstehen für das Boarding merke ich, wie ich immer wieder den Mindestabstand missachte.
Wir landen erst nachts in Stuttgart. Der Weg zur Gepäckausgabe ist weit. Ich lasse meinen Urlaub Revue passieren. Er war anders und mit Einschränkungen verbunden. Doch die Insel war so leer wie nie und ich war froh, überhaupt einmal abschalten zu können. Eine Maske zu tragen, Abstand zu halten sowie die Hände zu desinfizieren sind der momentane Alltag und ein kleines Opfer für einen wunderschönen Urlaub. Auf dem Weg zum Gepäckband will ich mir an einer Station die Hände desinfizieren. Der Spender ist leer. Der Urlaub ist vorbei.