Digital abgehängte Generation
Am Esstisch stapeln sich Papiere: Rechnungen, Versicherungsunterlagen, ein Brief von der Bank. „Wir stellen auf digitale Services um“, liest Karl-Heinz Noack laut vor und runzelt die Stirn. Christine Noack greift nach dem Schreiben, doch die Begriffe wie „TAN-Generator“ und „Authentifizierungsverfahren“ wirken wie eine Fremdsprache. Sie greift nach dem alten Smartphone, das ich ihnen geschenkt habe – doch der Blick auf den Bildschirm macht sie nur noch ratloser.
Hürden des digitalen Wandels
Viele Bereiche des Lebens werden digitalisiert. Beispielswiese bei der App der Deutschen Bahn: Die Plastik-Bahncards für das Portemonnaie werden nicht mehr ausgegeben und Sparpreis Bahntickets können nur noch über die App gekauft werden. Damit werden Menschen ohne Smartphone ausgeschlossen oder müssen um Hilfe bitten. Dienstleistungen, die früher in persönlichen Gesprächen oder auf dem Postweg erledigt wurden, lassen sich häufig nur noch online nutzen. Für viele Jüngere ist der Umgang mit moderner Technologie selbstverständlich –ältere Menschen werden mit der Herausforderung täglich konfrontiert.
Laut dem Achten Altersbericht des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend nutzen zwar viele ältere Menschen digitale Technologien, doch die Fähigkeiten sind je nach Lebenslauf und -situation unterschiedlich. Manche haben Freude daran, andere meiden sie bewusst oder scheitern an finanziellen und technischen Hürden. Barrieren wie fehlende technische Geräte, mangelnde Infrastruktur und die Komplexität moderner Anwendungen tauchen immer wieder auf. Die Probleme beginnen oft schon bei den Geräten. Wie ein Kursleiter von der Arbeitsgemeinschaft Senioren am PC Weinstadt berichtet: „Sie kriegen oft Geräte von ihren Kindern, abgelegte Altgeräte. Die Kinder kaufen sich etwas neues und die Großeltern bekommen die alte Geräte, die nicht mehr richtig funktionieren.“ Die Nutzungsbedingungen digitaler Services setzen außerdem Wissen voraus, das vielen nie vermittelt wurde – wie etwa der Umgang mit starken Passwörtern oder Authentifizierungsverfahren. Im D21 Digital-Index 2023/24 werden fünf Medien-Kernkompetenzen im Umgang mit digitalen Geräten definiert:
Gleichzeitig werden Technologien immer spezialisierter: Jede Anwendung, ob Online-Banking oder Krankenkassen-App, hat ihr eigenes Design und Bedienungsweise. Darüber hinaus ist die barrierefreie Gestaltung von Technologien wichtig. Beispielsweise sollten Apps und Webseiten intuitiv bedienbar sein. Das Kurzzeitgedächtnis baut im Alter ab. Deshalb ist es ausschlaggebend, dass die Senior*innen die Benutzeroberflächen wiedererkennen, um einfach navigieren zu können.
Angst vor Fehlern
Für viele ältere Menschen ist die Angst allgegenwärtig, in der digitalen Welt etwas falsch zu machen. Diese Unsicherheit betrifft nahezu alle digitalen Dienste. Besonders beim Online-Banking oder der Steuerklärung über „Elster“ gibt es große Sorgen. Die Eingabe sensibler Daten wie die Kontonummer oder Steuer-ID erscheint riskant, da mögliche Fehler weitreichende Folgen haben könnten. Der Gedanke daran, durch einen Klick Geld zu verlieren oder einem Hacker Zugriff auf das Konto zu gewähren, führt dazu, dass viele ältere Menschen solche Services gar nicht erst ausprobieren. Dies bestätigt auch die Goldberg Seniorenakademie: „Online-Banking mache ich nicht, da kann man ja alles verlieren. Die Angst davor ist riesig. Es ist ein riesiger Hemmschuh.“
Behördengänge und Bankbesuche werden so lange wie möglich analog erledigt. In anderen Fällen wird die Kontrolle über die digitalen Aktivitäten an Angehörige oder Dritte abgegeben. Dies erscheint als eine gute Lösung, die jedoch ebenfalls Risiken birgt, da sie von der Vertrauenswürdigkeit der Unterstützenden abhängt.
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Mögliche Lösungen
Bei digitalen Problemen sind Angehörige für viele ältere Menschen die Rettung. Kinder oder Enkelkinder springen ein, wenn eine App installiert oder ein digitales Formular ausgefüllt werden muss. Doch oft sind die Erklärungen zu schnell und bleiben deshalb unverständlich. Die Folge ist, dass ältere Menschen dieselben Fragen immer wieder stellen müssen, was sowohl für sie als auch für ihre Unterstützenden frustrierend sein kann.
Hier setzen Initiativen wie Senioren-Computerclubs und Internetcafés an, wie beispielsweise die Arbeitsgemeinschaft Senioren am PC Weinstadt und Goldberg Seniorenakademie. Sie bieten wöchentlich individuelle Sprechstunden an, in denen Senior*innen mit ihren eigenen Geräten und Schwierigkeiten kommen. Je nach Lerntempo und technischem Verständnis erhalten sie dort passende Unterstützung. Darüber hinaus gibt es Kurse, die sich gezielt den aktuellen Herausforderungen widmen, wie beispielsweise „Was ist der Unterschied zwischen Datenvolumen und WLAN?“ oder „Wie funktioniert die VVS App?“.
Die digitale Spaltung zeigt, dass mehr als nur individuelle Unterstützung notwendig ist. Die digitale Teilhabe älterer Menschen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Mit der Benutzung von Technologien gehen Selbstständigkeit und ein soziales Leben einher, dass der älteren Generation nicht vorenthalten werden darf. Sowohl die Kursleiter*innen der Computerkurse aus Weinstadt als auch aus Goldberg sind überzeugt, dass die eigentliche Herausforderung nicht am fehlenden Willen der Senior*innen liegt, neue Technologien zu erlernen. Sondern die Verantwortung vielmehr in der Politik und bei den Unternehmen liegt, deren Wissen über die Bedürfnisse der älteren Generation oft noch unzureichend ist.
Am Esstisch sitzt das ältere Ehepaar noch immer, die Unterlagen ordentlich gestapelt, das Smartphone liegt daneben. Christine Noack hält zögernd das Smartphone in der Hand, ihre Stirn in tiefe Falten gelegt. Sie öffnet den App-Store und sucht nach der Bank-App, die im Schreiben erwähnt wurde. Ihre Finger bewegen sich langsam und unsicher über den Bildschirm. Karl-Heinz Noack beobachtet sie aus dem Augenwinkel, die Arme verschränkt, sein Blick ist skeptisch und zugleich besorgt. Nach mehreren Versuchen erscheint endlich der Ladebalken. Christine Noack seufzt leise, hält das Smartphone etwas fester, aber schaut immer noch etwas unsicher. Die Technik ist greifbar nah, aber der Weg, sie wirklich zu verstehen, scheint noch weit.